Die 2011 ins Leben gerufene Bildungsinitiative „Teach for Austria“ soll bessere Zukunftschancen für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche schaffen. Sogenannte „Fellows“ arbeiten zwei Jahre lang als volle Lehrkräfte in Schulen an sozialen Brennpunkten. Margot Landl hat für progress online mit dem Gründer Walter Emberger gesprochen und einen der Fellows in seinen Unterricht begleitet.
Wien-Brigittenau: In der Neuen Mittelschule Pöchlarnstraße läutet es zur fünften Stunde. Der Fellow Johannes Steiner (29) betritt die vierte Klasse, in der er nun das zweite Jahr unterrichtet. Die Schule mit Montessori-Schwerpunkt besuchen hauptsächlich SchülerInnen aus bildungsfernen Schichten. Viele von ihnen haben Migrationshintergrund und daher oft Schwierigkeiten, dem deutschsprachigen Unterricht folgen zu können. Zehn Jungen und dreizehn Mädchen sitzen in der Abschlussklasse, die Johannes jetzt unterrichten wird, alle um die vierzehn Jahre alt. Sie begrüßen ihren Geschichtelehrer herzlich. „Fellow“ ist das englische Wort für „Kumpel“.
Johannes scheint für seine SchülerInnen eine Mischung zwischen diesem und einem Lehrer zu sein. „Sie wissen nicht, dass ich kein normaler Lehrer bin“, erklärt er. Und man kann beobachten, dass die Jugendlichen – unter anderem auch aufgrund seines jugendlichen Auftretens – einen besonderen Zugang zu ihm zu haben. „Er schimpft nicht so viel“, meint die 13-jährige Asmira. „Ja, und er macht es mit Action“, pflichtet ihr ihre Klassenkameradin Alyssa bei. Burak aus der hintersten Reihe lässt sich schließlich zum größten Kompliment hinreißen, das man von einem 15-Jährigen als Lehrer wohl bekommen kann: „Er ist cool!“ Dennoch bemüht sich Johannes, bei allem, oft über den normalen Unterricht hinausgehenden Engagement für seine Schützlinge, die Balance zur Professionalität bei der Lehre zu wahren: „Meine SchülerInnen fassen schnell Vertrauen zu mir und erzählen mir dann auch von persönlichen Problemen. Trotzdem muss die Grenze zwischen Freund und Lehrer klar definiert bleiben.“
Win-Win-Situation
Die Bildungsinitiative „Teach for Austria“ wurde 2011 als unabhängige und gemeinnützige Organisation von dem Wirtschaftsfachmann Walter Emberger nach internationalem Vorbild gegründet. Mit dem Schuljahr 2012/13 ist das Programm in Wien und Salzburg, der Heimat Embergers, gestartet. 2015 soll es auf ein weiteres Bundesland in Österreich ausgedehnt werden. Größere Städte sind vorerst das Ziel des Projekts, da es dort vermehrt soziale Brennpunkte gibt. „Es wäre beispielsweise eine unternehmerische Herausforderung für Ex-Fellows, neue Standorte zu eröffnen“, meint Emberger.
Um zu den Fellows von „Teach for Austria“ zu gehören, müssen die BewerberInnen hohe Qualifikationsstandards erfüllen. So müssen sie mindestens ein abgeschlossenes Bachelorstudium mit besonders guten Noten vorweisen können. Auch Berufs- und Auslandserfahrung sind bei der Bewerbung von Vorteil. Fellows sind also keine LehramtsabsolventInnen, sondern „Young Professionals“. Ein Trend, aus welchen Fachrichtungen die BewerberInnen kommen, lässt sich dabei nicht feststellen. Von Soziologie über BWL bis zu Informatik ist alles dabei. Psychische Voraussetzungen wie Belastbarkeit, Kommunikations- und Motivationsfähigkeit, Reflexion, Kritikfähigkeit und Durchhaltevermögen werden in einem mehrstufigen Bewerbungsverfahren getestet.
Nur etwa zehn Prozent der BewerberInnen werden schließlich ausgewählt und einer Hauptschule oder Neuen Mittelschule zugeteilt, die als sozialer Brennpunkt gilt. In dieser bekommen sie zwei bis maximal drei Jahre eine volle Lehrverpflichtung. Bezüglich der Fächer können Präferenzen angegeben werden, üblicherweise werden aber mehrere Fächer gleichzeitig unterrichtet. In einer sechswöchigen Sommerakademie werden die Fellows durch PädagogInnen auf ihre Tätigkeit als LehrerIn vorbereitet. Während ihrer Arbeit bekommen sie Unterstützung durch TrainerInnen, die davor verschiedene Berufe ausgeübt haben. Ständige Weiterbildung ist Pflicht, ebenso sollen sich die Fellows gegenseitig helfen.
Nur zu einem geringen Teil wird die Initiative „Teach for Austria“ staatlich finanziert. Die Fellows erhalten zwar gewöhnliche LehrerInnengehälter, die Organisation finanziert sich jedoch hauptsächlich durch Firmen und Stiftungen. „Wir betrachten Bildung aus einer ökonomischen Perspektive“, so Walter Emberger. „Innovationsbewusste Firmen, die die SchülerInnen als zukünftige MitarbeiterInnen betrachten, haben ein Interesse daran, deren Ausbildung zu fördern.“ Im wirtschaftlichen Sinne sollen SchülerInnen, Fellows und Firmen gleichermaßen von dem Programm profitieren. Daher können auch nur die besten zehn Prozent des Landes unterrichten. Als Vorbild dient Finnland, das Land mit der besten Pisa-Studie. Da es dort jährlich etwa zehn Mal so viele BewerberInnen wie Studienplätze gibt, existiert für das Lehramtsstudium eine Eignungsprüfung. Auch bei „Teach for Austria“ existiert so eine strenge Selektion, wodurch der Beruf eine starke Aufwertung erfährt – allerdings ohne Lehramtsstudium.
Frische Impulse für das Schulsystem
Die Idee ist nicht neu und orientiert sich stark an der Vorbildorganisation „Teach for America“. International betrachtet ist die Initiative „Teach for Austria“ einer von 32 Mitgliedern der weltweiten Initiative „Teach for all“. „Die Fellows haben einen anderen Zugang zu ihrer Tätigkeit als LehrerIn und können frische Impulse ins System bringen“, erklärt der Gründer der Initiative Walter Emberger. „Außerdem sind sie eine gute Ergänzung für das Lehrerkollegium. Von Eltern, DirektorInnen wie auch LehrerInnen bekommen wir laufend positive Rückmeldungen.“ Auch die Fellows sollen von dem Exkurs profitieren, auf den Prospekten der Organisation ist der Slogan „Win Win“ abgedruckt: „Die Fellows lernen viel für sich selbst und gehen auch manchmal an ihre Grenzen. Sie stellen sich neuen Herausforderungen und lernen davon“, meint Emberger. Viele Firmen betrachtet die Tätigkeit bei „Teach for Austria“ positiv und als Leadership-Training. Die Arbeit bei der Organisation bietet die Möglichkeit, Kontakte zu PartnerInnen aus Politik, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft zu knüpfen. Ein Alumni-Netzwerk soll dafür sorgen, dass ehemalige Fellows der Organisation erhalten bleiben und weiter auf verschiedenste Weise im Bildungsbereich tätig werden. Der Mehrwert zeigt sich also nicht nur in der Persönlichkeitsentwicklung, sondern auch im Lebenslauf der Fellows.
Der angehende Fellow Anna Grüssinger hat „Teach for Austria“ online entdeckt. „Ich habe mich näher informiert und einen Fellow kontaktiert, um konkrete Nachfragen stellen zu können“, berichtet die Absolventin einer Journalismus-FH, die zusätzlich eine Ausbildung zur Tanzpädagogin gemacht hat. Nachdem sie den mehrstufigen Bewerbungsprozess durchlaufen hat, ist sie nun eine von 35 zukünftigen Fellows, die aus 650 BewerberInnen ausgewählt wurden. Anna sieht den Job als neue Herausforderung: „Ich bin mir sicher, dadurch spannende Impulse erhalten zu können. Aber ich denke, man muss es wirklich wollen.“ Sie kann sich vorstellen, alles zu unterrichten - „außer vielleicht Naturwissenschaften.“
Fit für die Leistungsgesellschaft
„Wir wollen Schülerinnen und Schüler für das spätere Leben in einer Leistungsgesellschaft fit machen“, erklärt Walter Emberger. „Die Erwartungen der Eltern von SchülerInnen, die Hauptschulen und Neuen Mittelschulen besuchen, sind oft sehr niedrig. Doch man darf durchaus hohe Erwartungen an Kinder setzen. Denn sie wollen sich miteinander messen.“ Eine frühe Selektion der SchülerInnen sei nicht von Vorteil, da so die Chancen der Kinder eingeschränkt werden. Emberger selbst bekam als Jugendlicher nur durch die Fürsprache eines engagierten Lehrers die Chance, ein Gymnasium zu besuchen und eine höhere Bildung zu genießen.
Er stammt aus einer Schneiderfamilie und ist, wie er selbst sagt, immer noch der Einzige mit Matura in seiner Familie. Nach der Matura studierte er an der WU Wien Handelswissenschaften und promovierte anschließend in Volkswirtschaft. Danach arbeitete er in Frankreich und der Schweiz. Zuletzt war er Studienlehrgangsleiter für Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Salzburg. „Die soziale Herkunft darf nicht ausschlaggebend für eine spätere Karriere sein“, meint er. Nachdem er bereits vor vielen Jahren auf die Initiative „Teach for America“ gestoßen war, etablierte Emberger das Programm auch in Österreich. Auf die Frage, woher er die Motivation dafür gewann, antwortet er schlicht: „Das ist es, man weiß es!“
Motivation für berufliche Ziele
Auch Johannes Steiner will seine SchülerInnen zu mehr Selbstvertrauen und Engagement bewegen. „Eine meiner Schülerinnen wollte vor kurzem eine Lehre beginnen. Ich habe zu ihr gesagt: ‚Das ist natürlich okay, aber du kannst mehr!' Jetzt hat sie sich dafür entschieden, einen höheren Bildungsweg einzuschlagen“, berichtet Johannes und man merkt ihm die Freude über diesen Erfolg an. Und er ergänzt: „Aber das ist natürlich eine Ausnahme. Es reicht schon, wenn die Kinder gern in die Schule gehen.“ Die anderen SchülerInnen von Johannes haben bereits eine fixe Vorstellung davon, was sie nach der Schule machen möchten. Asmira will eine Ausbildung zur Kindergartenpädagogin machen und Alyssa will die Fachschule für Tourismus absolvieren. Burak möchte eine Lehre als Installateur beginnen und danach, wie viele seiner Schulkollegen, Polizist werden. Durch „Teach for Austria“ sollen die SchülerInnen motiviert werden, sich eigenständig Ziele zu setzen und dafür zu arbeiten – eine Qualität, die auch ihre späteren ArbeitgeberInnen sehr schätzen werden.
Besonders während der Stunde merkt man den Willen des Fellows, die SchülerInnen zu motivieren. Johannes lässt sich durch falsche Aussagen nicht beirren, sondern besteht mit einem hartnäckigen „Das könnt ihr, das weiß ich!“ auf die richtigen Antworten. Die SchülerInnen ihrerseits reagieren auf den jungen engagierten Lehrer sehr positiv und arbeiten die ganze Stunde lang mit. „Es ist in diesem Bereich ein großer Vorteil, ein Mann zu sein“, meint Johannes, „es gibt schließlich so wenige Hauptschullehrer. Für die Jungs ist es oft gut, auch männliche Lehrer zu haben.“ Auch für Walter Emberger ist es ein Ziel, den Männeranteil unter den Fellows zu erhöhen. Im ersten Jahrgang war das Verhältnis Eins zu Vier, mittlerweile ist der Prozentsatz der männlichen Followers auf dreißig Prozent angestiegen.
Nur eine kurze Episode?
Um sich bei „Teach for Austria“ zu bewerben, ist Johannes extra aus Äthiopien nach Österreich zurückgekehrt. Dort hatte er an einem Bildungsprojekt der NGO Project-E mitgearbeitet. Doch als ihm seine Schwester von einem von ihr über die Organisation gelesenen Artikel erzählte, konnte er sich in dem angeforderten Profil zu hundert Prozent wiedererkennen. Seine Wunschfächer waren Geographie, Geschichte und Englisch. Englisch ist sein Hauptfach, die Sprache, die er durch seine Auslandsaufenthalte gut beherrscht und in der er auch seine beiden universitären Abschlussarbeiten verfasst hat. Zusätzlich unterrichtet er noch Musikerziehung und Werken.
Sich immer wieder neu erfinden
Johannes ist ein Fellow des ersten Jahrgangs und kann zwei Universitätsabschlüsse vorweisen. Der gebürtige Oberösterreicher hat in Salzburg Politikwissenschaft und in Amsterdam International Development studiert. Ebenso hat er in Uganda und Äthiopien an Bildungsprojekten mitgearbeitet. „Bildung bedingt für mich Entwicklung und Bildung sollte es für jede und jeden geben. Sie sollte unabhängig vom Einkommen der Eltern sein.“, erklärt Johannes. „Für mich ist die Initiative mehr als ein Job. Es ist das, woran ich glaube.“ Was er nach seiner Zeit bei „Teach for Austria“ machen möchte, weiß er noch nicht. Er kann sich vorstellen, wieder nach Afrika zu gehen, eine andere Aufgabe bei „Teach for Austria“ zu übernehmen oder vielleicht auch weiterhin als Lehrer zu arbeiten. Dafür müsste er jedoch das Lehramtsstudium nachholen.
„Ein Viertel bis ein Drittel der Fellows werden nach dem Ablauf ihrer Zeit LehrerInnen“, erzählt Walter Emberger. Doch sie betreten den Beruf seiner Ansicht nach mit einem durch ihre vorherigen Tätigkeiten erweiterten Horizont. „Auch LehrerInnen sollten immer wieder neue, außerschulische Erfahrungen sammeln“, meint Emberger. „Personen, die im Finanz-, Bank- oder Beratungsbereich arbeiten, müssen sich alle paar Jahre neu erfinden. Die Gesellschaft ändert sich stetig und schnell und mit ihr auch das Bildungssystem.“ Permanente Anpassung an aktuelle Herausforderungen zählt für ihn dabei mehr als Kontinuität.
Auf die Frage, welche Werte er den SchülerInnen neben dem Fachwissen vermitteln möchte, antwortet er: „Sie sollen an sich glauben. Beispielsweise sollen Kinder mit Migrationshintergrund und nichtdeutscher Muttersprache erkennen, dass ihre Zweisprachigkeit etwas Wertvolles ist. Sie dürfen sich ruhig etwas zutrauen.“ Abschließend konstatiert Emberger: „Unserer Gesellschaft ist das Bewusstsein abhandengekommen, dass Leistung gut ist und sich lohnt. Aber stetiges Lernen ist wichtig und notwendig. Und oft zahlt es sich aus, den schwierigeren Weg zu gehen.“
Link: http://www.teachforaustria.at/
Die Autorin Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaften an der Universität Wien.