Studentin. Mutter. Alleinerziehend
Student_innen mit Betreuungspflichten stechen im Unialltag kaum hervor und bleiben meist unbemerkt. Ab und zu fällt ein Kleinkind auf, das in der Vorlesung mal ein bisschen lauter wird und auf das manche Professor_innen oder Mitstudierende dann mit Neugier, Interesse oder genervtem Kopfschütteln reagieren. Ein paar Sekunden gibt es dann bei einigen Aufmerksamkeit für die außergewöhnliche Situation, in der sich Studierende, die auch Eltern sind, befinden. Dann aber wenden sich die meisten Studierenden wieder Ausführungen über Marx, Algebraformeln oder der neuesten Gesetzesnovelle zu. Die Mutter oder der Vater und das Kind geraten schnell wieder in Vergessenheit. Gerade in Zeiten des immer stärker werdenden Leistungsdruckes ist es für viele Studierende wohl kaum vorstellbar, was es bedeuten muss, neben Studium, eventuellem Beruf und Aktivismus auch noch ein Kind zu versorgen und zu betreuen. Besonders prekär ist dabei die Situation alleinerziehender Student_innen, die vielfach Mehrfachbelastungen ausgesetzt sind, um Kind, Studium und Arbeit unter einen Hut zu bekommen. Von Seiten der Universität oder der Politik bekommen sie dabei wenig Unterstützung. Julia Stadlbauer, 30 Jahre alt und Studentin der Sozioökonomie und Gender Studies, kennt die Herausforderungen als alleinerziehende Mutter einer Vierjährigen nur zu gut. Gemeinsam mit anderen studierenden Alleinerziehenden hat sie deshalb begonnen, sich selbst zu organisieren und zu vertreten, in einer Plattform namens „Aufstand der Alleinerziehenden“. „Manche sagen „Ja, du studierst ja“ - und glauben, das ist ein Spaß oder ein leichtes Leben, aber das ist es eigentlich gar nicht. Ein Studium hat eine komplett andere Bedeutung, wenn man ein Kind hat und Bildung als Chance sieht, irgendwann einen fixen, sicheren Job zu bekommen. Es geht dann wirklich um eine existentielle Frage“, erklärt Stadlbauer im Gespräch mit progress. Die junge Frau wurde während des Bachelorstudiums Mutter und bemerkte sehr schnell die enormen Veränderungen, die damit auch für ihr Studium einhergingen.
Kein Sonderstatus.
Gerade die Anwesenheitspflicht bei Seminaren ist für Alleinerziehende vielfach schwer mit der Kinderbetreuung zu vereinbaren. Oft fallen für die Betroffenen vermehrt Fehlstunden an, weil das Kind krank wird, es zum Arzt oder zur Ärztin gebracht werden muss oder Termine in der Schule etc. anstehen und keine andere Person zur Verfügung steht, um diese Verpflichtungen wahrzunehmen. Gespart wird dann allzu oft bei den eigenen Bedürfnissen. So geht es auch Stadlbauer: „Ich nehme mir für mich selbst nicht frei. Ich spare mir die potentiellen Fehlstunden immer auf, falls meine Tochter krank werden sollte, damit ich einfach noch einen Spielraum habe. Bei manchen Seminaren musste ich aber trotzdem entweder aufhören oder durch Extraleistung kompensieren.“ Ihre Verweise auf die besondere Situation als alleinerziehende Studierende werden dabei von den Verantwortlichen immer wieder mit den Worten „Andere haben auch Gründe und die sind alle wichtig, man kann da keinen Unterschied machen“ abgewiesen. Dass die Betreuungspflicht als Care Work eine Arbeit darstellt, die oberste Priorität hat und gerade in Ein- Eltern-Haushalten oft nicht anders organisiert werden kann, wird in vielen Fällen nicht anerkannt. Wäre es so undenkbar, für Alleinerziehende im Studium die Strukturen etwas mehr an ihre Bedürfnisse anzupassen? In Deutschland gibt es beispielsweise an manchen Unis Systeme, in denen Studierende mit Betreuungspflichten die erste Wahl bei der Anmeldung haben, wenn ein neuer Kurs ausgeschrieben wird, um die bestmögliche Vereinbarkeit zwischen Kind und Studium zu ermöglichen.
Zwischen Disziplinierung und Selbstausbeutung.
Um jedoch im Spannungsfeld zwischen Kind und Studium, das viel Zeitmanagement und Einsatz erfordert, dennoch die Ausbildung abschließen zu können, nehmen die meisten alleinerziehenden Eltern große persönliche Einschränkungen auf sich. Die Freiheit, sich den Uni-Alltag selbst zu gestalten und einzuteilen, die viele Studierende schätzen, existiert bei dem Großteil der Alleinerziehenden dabei nicht. Viele würden sich wünschen, einmal alle Texte von der Lektüreliste lesen zu können, sich in aktivistischen Gruppen zu engagieren oder am Abend auf ein Bier mit Studienkolleg_innen zu gehen, aber meist bleibt keine Zeit dafür. Dadurch, dass die Lebensabläufe und Tagesrhythmen von Studierenden und Alleinerziehenden mit Kleinkindern so stark divergieren, sind betroffene Mütter und Väter im Hochschulbetrieb kaum sichtbar, auf ihre prekäre Situation wird deshalb auch oft wenig Rücksicht genommen. „In der Nacht, wenn meine Tochter schläft, setze ich mich dann hin und les’ endlich die Texte und ich brauch dann doppelt so lang, aber ich muss das einfach konsequent machen, sonst komm ich nicht weiter. Das grenzt halt extrem an Selbstausbeutung“, meint Stadlbauer. Anderen Studierenden, welche die alleinige Obsorge über ein Kind haben, geht es ähnlich. „Im Bachelor habe ich glaub’ ich regelmäßig zwischen 4.30 und 5.00 Uhr den Wecker gestellt, damit ich dann noch Zeit hab’, um die Aufgaben zu machen. Ich hab’ immer wieder Rügen bekommen, weil ich dann einfach müde war und ich mehr Fehler gemacht habe, als wenn ich wacher gewesen wäre. Man konnte wirklich sehen, an welchen Tagen es mir besser und schlechter ging“, erinnert sich die 26-jährige Fedora Chudoba, die einen sechsjährigen Sohn hat und in der Schwangerschaft ihr Studium der Transkulturellen Kommunikation begann. Einmal stellte sie ein Professor deshalb sogar zur Rede und meinte, bei einer ihrer Aufgaben hätte er kein Wort verstehen können. „Ich hab mir gedacht, ja, da hat das Baby länger geschrien, aber das kann ich nicht hinschreiben, weil jeder hat gute Gründe.“
Alleinerziehende in der Armutsfalle.
Studierende, die alleine ein Kind zu betreuen haben, sind wie Alleinerziehende im Allgemeinen außerdem stärker von Armut betroffen als andere Bevölkerungsgruppen. „Ein-Eltern-Haushalte sind zu über 30% armutsgefährdet. Wenn man das mit den 14,4%, die in der Gesamtbevölkerung von Armut betroffen sind, vergleicht, ist das sehr erhöht“, erläutert Manuela Wade, die bei der Volkshilfe Österreich tätig ist und am Institut für Politikwissenschaften Fakultät der Uni Wien u.a. Sozialpolitik und Armutsbekämpfung unterrichtet. Auch Iris Hanebeck, 28-jährige Studentin im Master der Internationalen Entwicklung und Mutter eines Vierjährigen, kämpft seit Jahren mit der prekären finanziellen Situation als Alleinerziehende im Studium: „Von der staatlichen Seite, vom Jugendamt, hab ich keinen Unterhaltsvorschuss gekriegt und auch vom Vater keinen Unterhalt, die Behörden haben mich zum Sozialamt geschickt. Dort wurde mir gesagt: „Du musst dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen!“ - das ist sich mit Studium und Kind nicht ausgegangen. Bis heute arbeite ich zwar jeden Sommer und jeden Winter auf Saisonarbeit, aber unter dem Semester geht sich das nicht aus. Kind und Uni sind da einfach voll ausfüllend.“ Bei Chudoba übte vor allem die Koppelung des Stipendiums an den Studienerfolg großen Druck aus, weshalb sie kurz nach der Geburt mit der Uni fortsetzen musste. „Ich habe meine STEOP Ende Januar geschrieben, am 13. Februar ist mein Kind zur Welt gekommen und mit ersten März war ich wieder an der Uni. Weil ich’s gebraucht hab, ich hatte kein Geld. Ich hab’ 500€ die ganze Schwangerschaft hindurch gehabt pro Monat, weil die Stipendienstelle gesagt hat, meine Eltern sind ja reich genug, sie waren aber gegen das Kind. Mit der Geburt des Kindes war klar, ich krieg‘ mehr Geld, aber ich muss im Studium bleiben und so hab ich ein drei Wochen altes Kind an die Uni geschleppt.“
Unterhaltssicherung für alle.
Mehrere Organisationen, u.a. die Bundesjugendvertretung (BJV), die gesetzliche Interessensvertretung von Kindern und Jugendlichen in Österreich, fordern zur Bekämpfung der Armut bei Alleinerziehenden starke Veränderungen im Bereich der Unterhaltssicherung. Im Rahmen der derzeitigen BJV-Kampagne „Armut ist kein Kinderspiel“ wird dabei vor allem auf die Zusammenhänge mit der steigenden Kinderarmut in Österreich aufmerksam gemacht. In einer Medienaktion am Heldenplatz stellte die Bundesjugendvertretung deshalb vor kurzem eine TV-Diskussion nach, bei der die Spitzenkandidat_innen aller Parlamentsparteien vor der Nationalratswahl ihr Bekenntnis zu einer Unterhaltssicherung abgaben. „Jedes 5. Kind in Österreich ist von Armut betroffen oder bedroht. Unsere Aktion soll die Parteien an ihr Versprechen erinnern, das sie im Vorfeld der letzten Nationalratswahl abgegeben haben: Sie haben sich alle für eine staatliche Unterhaltssicherung ausgesprochen. Bis jetzt steht die dringend notwendige Umsetzung jedoch aus“, erklärt BJV-Vorsitzende Caroline Pavitsits. Dass bestehende Unterhaltsansprüche oft unerfüllt bleiben und staatliche Unterhaltsvorschüsse nicht lückenlos gewährleistet werden, widerspricht Art. 27 der Kinderrechtskonvention, die Österreich ratifiziert hat. Auch ein garantierter Mindestunterhalt in ausreichender Höhe ist Teil der Forderung der Kampagne und würde Betroffene stark entlasten. Denn ständige finanzielle Engpässe sind eine Belastung für Eltern und Kinder, die sich in einer permanenten Stresssituation befinden.
Genug jetzt.
Die Politik wäre aus diesen Gründen gefragt, Maßnahmen zu setzen, um gerade Alleinerziehende, die sehr oft in dieser schwierigen Situation sind, nicht im Stich zu lassen. Schon bisher waren die gesetzlichen Regelungen nicht geeignet, um der starken Armutsgefährdung bei Alleinerziehenden entgegenzuwirken. Gerade von den aktuellen familienpolitischen Änderungen der Regierung, wie dem Familienbonus oder den Diskussionen um die Mindestsicherung, sehen sich Betroffene in Zukunft noch stärkeren negativen Auswirkungen ausgesetzt. Denn die vorgeschlagenen Modelle nehmen kaum auf die prekären Verhältnisse von Alleinerziehenden Rücksicht, gehen jedoch mit Kürzungen anderer wichtiger familienpolitischer Leistungen einher. Das nehmen viele Alleinerziehende jedoch nicht mehr einfach so hin, deshalb beginnen sie sich nun in Form einer Selbstvertretung zu organisieren. Auch für Iris Hanebeck war dies die Motivation, sich trotz ihrer knappen zeitlichen Ressourcen im Aufstand der Alleinerziehenden zu engagieren: „Für mich war Ausschlag die schwarz-blaue Regierung und die neue Familien- und Steuerpolitik. Das war für mich dann der endgültige Schnitt, jetzt müssen mein eigenes Leben und meine eigenen Verhältnisse politisiert werden, da habe ich eine Gruppe gesucht, die sich politisch zu wehren anfängt.“
Julia Rainer hat Internationale Entwicklung in Wien studiert. Sie ist Studentin der Rechtswissenschaften und Sprecherin des Frauenkomitees der Bundesjugendvertretung.