2012 wird es kein Sommerlager auf Utøya geben. Man ist derweil bemüht, die Insel emotional zurückzugewinnen.
Täglich strömen mehrere hundert Menschen auf die kleine, dicht bewaldete Insel, die etwa 30 Kilometer von der norwegischen Hauptstadt Oslo entfernt in einem Binnensee liegt. Grund ist eine Aktion der norwegischen ArbeiterInnenjugend AUF (Arbeidernes Ungdomsfylking). Die Insel Utøya, die am 22. Juli 2011 durch die Attentate Anders Behring Breiviks als Ort des Schreckens weltweit Bekanntheit erlangte, wurde in der letzten Märzwoche von der Jugendorganisation der Arbeiderpartiet geöffnet, um mit den Menschen in Dialog zu treten.
WIEDERAUFBAU - PHYSISCH UND PSYCHISCH. Um wieder ein Sommerlager auf Utøya veranstalten zu können, muss noch einiges getan werden. „Einige Gebäude sind bei dem Vorfall am 22. Juli beschädigt worden“, erzählt Gro Bratelli Jamholt. „Sorgfältige Arbeit ist notwendig, um Utøya wieder aufzubauen.“ Jamholt ist Projektleiterin bei den Aufbauarbeiten auf der Insel und sich der Schwierigkeiten der aktuellen Situation bewusst. „Der physische Schaden ist nicht beträchtlich und kann repariert werden“, meint sie: „Es ist ein größerer Aufwand, Utøya emotional zurückzugewinnen.“
Die Insel Utøya befindet sich seit 1950 im Privatbesitz der AUF und wird vorrangig für politische Lager, Kurse und Versammlungen anderer Art genutzt. Der 22. Juli 2011 hat die Insel verändert. 69 der etwa 600 LagerteilnehmerInnen wurden von dem Rechtsextremisten Breivik erschossen oder ertranken bei der Flucht. Trotz des Vorfalls wollte man Tage und Wochen darauf eine Neuauflage des Sommercamps im Jahr 2012 nicht ausschließen, dem Terror stattdessen entschieden entgegentreten. Nach dem Motto „Taking back Utøya“ postulierten AUF und Arbeiderpartiet Stärke und Einigkeit.
Seit Ende Februar ist es nun aber beschlossen: Dieses Jahr wird es kein Lager geben. „Es ist praktisch unmöglich und es fühlt sich auch nicht richtig an, dieses Jahr ein politisches Sommerlager auf Utøya abzuhalten“, sagt AUF-Chef Eskil Pedersen im Interview mit der norwegischen Zeitung Verdens Gang: „Das neue Utøya muss erst noch bereit gemacht werden, bevor wir hier wieder ein solches Lager veranstalten können.“
DACHORGANISATION IN WIEN. Auch internationale Solidarität mit AUF soll helfen, den Weg zurück zum Alltag zu finden. Johan Hassel ist Generalsekretär der International Union of Socialist Youth (IUSY), die ihren Sitz in Wien hat. „IUSY und AUF haben eine gute Kooperation und wir unterstützen AUF bei ihrem Vorhaben, Utøya zurückzugewinnen“, bestätigt Hassel.
Nur drei Tage nach den Attentaten Breiviks fand das IUSY World Festival, an dem insgesamt etwa 2500 junge AktivistInnen teilnahmen, am Attersee in Oberösterreich statt. „Es wurden auch etwa 100 Personen erwartet, die direkt von Utøya zum Attersee kommen sollten“, erzählt Johan Hassel: „Wir teilen dieselben Werte und gehören derselben Organisation an.“
Die Attentate Breiviks haben in der Folge eine laute Debatte über einen spürbaren Rechtsruck in Skandinavien und generell in Europa ausgelöst: „Es ist wichtig, daran zu denken, dass die Anschläge in Oslo und Utøya von einem einzelnen Mann getragen wurden. Aber hinter ihm steht eine Ideologie. Eine rechtsextreme Ideologie, die die Menschen separieren will“, so Hassel. „Das haben wir in Europa schon einmal gesehen und wenn man Europa heute betrachtet, ist klar, dass es zurück ist.“ Umso wichtiger sei es, gegen jede Form von Diskriminierung einzutreten und den Wert einer multikulturellen Gesellschaft zu betonen, ist der IUSY- Generalsekretär überzeugt.
MEHR OFFENHEIT, MEHR DEMOKRATIE. Norwegens Ministerpräsident Jens Stoltenberg antwortete auf den Anschlag im letzten Sommer mit einem Aufruf zu noch mehr Offenheit und hielt die norwegische Demokratie hoch. In zahlreichen Medien wurde er für sein souveränes Vorgehen gelobt. Bei der Gedenkfeier am Osloer Rathausplatz drei Tage nach den Attentaten, zu der sich zwischen 150.000 und 300.000 Menschen versammelt hatten, herrschte neben Trauer auch ein wenig Euphorie. Unter dem Motto „Wir gemeinsam gegen Terrorhandlungen“ streckten die Trauernden ihre mitgebrachten Blumen in den Himmel. „Morgen beweisen wir, dass die norwegische Demokratie sogar stärker geworden ist“, hatte Stoltenberg verkündet: „Niemand kann uns stumm bomben, niemand kann uns stumm schießen, niemand kann uns davor abschrecken, Norweger zu sein.“ Johan Hassel ist stolz auf die Reaktion seines Gesinnungsgefährten.
START-UP-PHASE. Neun Monate nach dem Anschlag auf Utøya steckt der Wiederaufbau der Campanlage noch in der Planung. „Wir befinden uns erst in der Start-up-Phase, konkrete Pläne werden veröffentlicht, wenn es soweit ist“, sagt Projektleiterin Jamholt und fügt noch hinzu: „Wir werden Utøya noch besser und schöner als vor dem 22. Juli gestalten, sodass neue Generationen junger Menschen in Zukunft den Ort in guter Erinnerung behalten können.“ Für den 22. Juli 2012 ist jedenfalls schon eine gebührende Markierung geplant. Um das Projekt Utøya unterstützen zu können, wurde auch ein Spendenkonto angelegt.
Linktipp und Spendenkontodaten: utøya.no