Alexander Gotter

Mic statt Aktenkoffer

  • 21.10.2013, 15:31

Enge Jeans, schlichtes blaues Shirt und bedachte Antworten: Der 26-jährige Österreicher Gerard wirkt nicht wie der typische Rapper. Mit seinem neuen Album „Blausicht“ erobert er im Moment die deutschsprachige Rapszene und gibt ihr neue Maßstäbe.

Enge Jeans, schlichtes blaues Shirt und bedachte Antworten: Der 26-jährige Österreicher Gerard wirkt nicht wie der typische Rapper. Mit seinem neuen Album „Blausicht“ erobert er im Moment die deutschsprachige Rapszene und gibt ihr neue Maßstäbe.

progress: Die „Generation Maybe“- Thematik zieht sich wie ein roter Faden durch dein Album „Blausicht“. Folgendes Zitat stammt vom Journalisten Oliver Jeges: „Wir 20- bis 30-Jährigen sind eine Generation ohne Eigenschaften. Gut ausgebildet, aber ohne Plan, ohne Mut, ohne Biss. Weil alles möglich ist, sind alle heillos überfordert.“ Was würdest du ihm entgegnen?

Gerard: Ich tue mir recht schwer, wenn ich als Generationssprecher gesehen werde. Ich sage immer, dass ich von mir, meinem Umfeld und meinen Freunden rede. Da trifft das auf jeden Fall auf einige zu, weil viele Freunde gerade mit dem Studium fertig werden. Die überlegen jetzt, ob sie vielleicht noch etwas studieren oder einen Master im Ausland machen sollen. Für mich ist Studium ein Graubereich: Du bist zwar kein Schüler mehr, musst aber gleichzeitig noch keine Steuern oder Sozialversicherung zahlen.

Du hast einmal gesagt, du probierst das mit dem professionellen Musikmachen auch stellvertretend für die Leute aus, die sich noch nicht trauen, das zu tun, was sie wirklich wollen. Wann wusstest du, was du wirklich willst?

Eigentlich ab dem Moment, wo es keine andere Möglichkeit mehr gegeben hat. Ich habe nach meinem Jus-Studium noch das Gerichtsjahr gemacht und da einfach gemerkt, was ein echter Job an Energie und Zeit frisst. Wenn du jeden Tag um acht dort sein musst und um halb vier heimkommst, hast du nicht mehr den Nerv, dass du noch kreativ tätig bist. Ich wusste einfach, entweder mache ich eine normale Arbeit oder eben Musik. Ich wollte ja schon immer Musik machen, aber bisher war nie in Aussicht, dass man davon leben kann.

Du warst der Tour-Support des Berliner Rappers Prinz Pi. Hat diese Erfahrung deine Entscheidung einfacher gemacht? Zu welchem Zeitpunkt im Studium ist die gefallen?

Die Pi-Tour ist etwa in das letzte dreiviertel Jahr meines Studiums gefallen und war ein halbes Jahr immer an den Wochenenden. Das war dann schon Hardcore: Ich bin teilweise erst um sieben Uhr mit dem Nachtzug aus Berlin gekommen und hatte um neun am Morgen eine Prüfung. In der Prüfungszeit blieben nur drei Tage Zeit zum Lernen, wo du sonst sechs oder sieben hast. Körperlich und psychisch hätte ich das nicht länger geschafft. Aber ich habe auf der Tour jedenfalls gemerkt, dass die auch nur mit Wasser kochen, das ermutigt einen. Wenn es der schafft, warum sollte ich das nicht schaffen?

Eine juristische Laufbahn kommt für dich nicht in Betracht?

Beim Gerichtsjahr habe ich einfach gemerkt, dass ich da nicht mit ganzem Elan dabei war. Ich habe viele Schlampigkeitsfehler gemacht. Die Richterin dachte, dass ich völlig verloren bin. Die wusste, dass ich eigentlich etwas ganz anderes verfolge. Wenn ich eine juristische Laufbahn eingeschlagen hätte, wäre ich untergegangen. Aber ich hoffe, dass ich das auch nie muss.

Hat dir dein Studium dann etwas gebracht?

Auf jeden Fall. Es war auch nicht so, dass es mich überhaupt nicht interessiert hat. Sonst könnte man das nicht sechs Jahre lang durchziehen. Und ich habe dadurch Sitzfleisch und Disziplin erlangt. Ich habe durch das Studium gelernt, strukturiert zu sein, und viel über Zeitmanagement erfahren. Ich bin kein „Künstler-Künstler“, der Termine verpennt. Und auch Selbstbewusstsein habe ich bekommen. Als ich bei meiner ersten Jus-Prüfung die riesige Anzahl der Bücher gesehen habe, habe ich mich gefragt: Wie soll das denn gehen? Aber dann sitzt man einfach längere Zeit an etwas und auf einmal hast du den Dreh heraus.

Deine Texte wirken auf den ersten Blick melancholisch, doch auf den zweiten erkennt man das Optimistische daran. Zudem formulierst du Zeilen oft so, dass man sowohl ein „ich“, als auch ein „wir“ einfügen könnte. Das macht sie für die HörerInnen interessant. Machst du das bewusst?

Ich versuche Tracks und Konzepte so zu gestalten, dass man etwas hineininterpretieren kann. Auch wenn ich selbst Musik höre, gefällt mir das bei Songs immer sehr gut. Auf „Verschwommen“ gibt es so ein Element, wo ich den Namen Nora nenne, ein anderer aber stattdessen vielleicht Lisa im Kopf hört. Bezüglich des Zweifels: Der Song „Standby“ ist etwa nicht auf dem Album, weil er noch viel zu orientierungslos war. Ich finde, dass das Album positiv ist. Sogar auf dem Track „Nichts“, wo es um den Tod einer Freundin geht, gibt es ein optimistisches Element, wenn ich rappe: „Das Drama von damals ist heute nicht der Rede wert.“ Also blöd gesagt: Wenn du noch gewartet hättest, würdest du heute darüber lachen.

Hinter dem Track „Wie neu“ steckt eine Kritik an der österreichischen Freunderlwirtschaft. Gegen wen richtet sich der Song und bist du eigentlich ein politischer Mensch?

Politisch … – es geht so. Ich habe mir schon immer die Wahlkonfrontationen angesehen und überlege mir genau, wen ich wähle. Ich lese mir auch Wahlprogramme durch. Aber der Track bezieht sich nicht nur auf Parteipolitik. Er richtet sich auch gegen veraltete Strukturen und das nicht nur in Österreich. Ich habe einfach das Gefühl, dass ganz allgemein viele alte Dogmen existieren. Das kann man auch auf die Major Labels ummünzen. Wenn man einen Jungen mit Visionen ranlassen und ein bisschen riskieren würde, würde vieles besser laufen.

Auf „Manchmal“ und „Lissabon“ rappst du über sehr persönliche Dinge wie etwa das Thema Beziehung. Gibt es da eine Grenze für dich, wie viel Persönliches du in einem Track niederschreibst?

Eigentlich nicht. Im Endeffekt halte ich sie sehr allgemein. Ich werde oft gefragt, ob ich mich nicht angreifbar mache. Aber selbst wenn du darüber rappst, dass dich die Frau verlassen hat, hat das jeder in einem gewissen Alter schon erlebt. Das heißt jetzt nicht, dass du als Mensch schlecht bist (lacht). Auch wenn etwas extrem persönlich wirkt, kannst du als Künstler stets selbst bestimmen, wie viel davon wahr ist.

Versuchst du mit den elektronischen Einflüssen auf deiner Platte, Deutschrap auch für die breitere Masse zu öffnen?

Ja, das war eigentlich immer so geplant, wobei das jetzt so strategisch klingt. Mir ist das völlig egal, ob man unsere Musik noch als Hip Hop sieht oder nicht. Ich höre auch oft, dass es Indie oder Pop sei. Ich persönlich finde, dass es voll Hip Hop ist, sonst würde es wohl auch keine Referenzen auf Leute wie Hudson Mohawke geben. Der kommt ja auch ursprünglich aus dem Rap.

 

Die Autoren studieren Rechtswissenschaften und Sozioökonomie in Wien.