Zwischen Homosexualität und Migration

  • 19.11.2012, 13:52

Ewa Dziedzic ist Mitgründerin des Vereins zur Integration und Förderung von homosexuellen Migrant_innen (MiGaY). PROGRESS erzählt sie von der Arbeit des Vereins und über die Unsichtbarkeit migrantischer Homosexualität.
Die Fragen stellte Oona Kroisleitner.

Ewa Dziedzic ist Mitgründerin des Vereins zur Integration und Förderung von homosexuellen Migrant_innen (MiGaY). progress erzählt sie von der Arbeit des Vereins und über die Unsichtbarkeit migrantischer Homosexualität. Die Fragen stellte Oona Kroisleitner.

progress: MiGaY wurde 2009 gegründet. Was waren damals eure Motive?

Ewa Dziedzic: Ich habe bereits 2004 mit einem Freund aus Istanbul einen Verein für lesbische, schwule und Transgender-Migrant_innen mit dem Namen Vienna Mix gegründet. Bis dahin gab es zwar LGBT- und Migrant_innenvereine, aber keine Anlaufstelle für Menschen, die in diese Schnittstelle zwischen Sexualität und Migrationshintergrund fallen. Wir wollten sichtbar machen, dass Migrant_innen, wenn sie homosexuell oder Transgender sind, oft mit anderen Diskriminierungserfahrungen zu kämpfen haben.

progress: Mit welchen Problemen wurdet ihr konfrontiert?

Dziedzic: Bei einigen Migrant_innenvereinen wurde uns gesagt: „Das gibt es bei uns nicht, wir haben keine Homos“. Bei den LGBT-Vereinen fand man, dass der Migrationshintergrund egal sei, sie wären für alle Lesben, Schwule und Trans-Personen da. Insofern war die Situation schwierig. Und aus Vienna Mix wurde schnell eine Art Beratungsstelle. Aber eine Beratungsstelle auf ehrenamtlicher Basis ohne Subventionen zu führen war nicht einfach und wir haben Vienna Mix dann 2006 aufgelöst. Es haben sich aber weiterhin Menschen gemeldet, die Hilfe oder nur Austausch suchten. Wir wussten also, dass es in Österreich einen Verein zu dieser Thematik braucht. 2008 rief mich dann Yavuz an und präsentierte mir die Idee, eine Zeitschrift herauszubringen.

progress: Was sind die Probleme, mit denen Leute zu euch kommen?

Dziedzic: Allgemein ist die Unsichtbarkeit dieser Schnittstelle ein großes Problem. Wir betreuen auch immer wieder Asylfälle, denn Homosexualität gilt nicht explizit als Asylgrund. In vielen Ländern ist die Situation für homosexuelle Frauen und Männer sowie Transgender Personen unerträglich, aber sie haben oft keinerlei Basis, einen Asylantrag zu stellen. Dann kommt dazu, dass viele Angst davor haben, ihre Orientierung anzugeben, weil sie wissen, dass die Gefahr, dass es im „Heimatland“ jemand erfährt sehr groß ist. Aber auch innerhalb der Communities in Österreich ist die Situation oft nicht einfach.

prgress: Macht die Kategorie Geschlecht auch einen Unterschied aus?

Dziedzic: Fakt ist, dass wir auch in Europa nach wie vor patriarchale Strukturen haben, Lesben leben irgendwo am Rande. Sehr viele Frauen die zu Vienna Mix oder MiGaY kamen, sahen aufgrund ihrer ökonomischen Lage oder der Migrationsgeschichte kaum eine Möglichkeit als Frau alleine oder mit einer anderen Frau gemeinsam zu leben. Denn sie kommen schnell in eine Argumentationsnot gegenüber ihren Familien. Außerdem haben viele einen starken Bezug zu ihren Herkunfts-Communities hier in Österreich, wo sie das auch permanent argumentieren müssen. Nach dem Motto: eine Frau über 30, die nicht verheiratet ist und keine Kinder hat, ist keine richtige Frau.

progress: Und männliche Homosexualität ist sichtbarer?

Dziedzic: Ja, aber schwule Männer werden dafür oft als die größere „Bedrohung“ angesehen. Wenn man ein „aktiver“ schwuler Mann ist,  bleibt er vielleicht immer noch der Mann und behauptet seine Maskulinität. Wenn er hingegen „passiv“ ist, gilt er schnell als verweiblicht; allein daran sieht man, wie stark verankert die Vorstellung von Geschlechtergrenzen ist. Bei Transgender-Personen kommt durch die Geschlechtsüberschreitung eine Grenzüberschreitung dazu, die dann nochmal andere Probleme aufwirft. Allein das Aufbrechen einer angeblichen Dichotomie zwischen Mann und Frau, wird als Bedrohung wahrgenommen. Und Tatsache ist, dass Menschen nach wie vor aufgrund ihrer Geschlechteridentität eingesperrt werden.

progress: Hat sich seit ihr Vienna Mix gegründet habt die Wahrnehmung der Probleme geändert?

Dziedzic: In den „migrantischen“ Vereinen war es von Anfang an schwieriger. Wir haben hier z.B. die Erfahrung gemacht, dass wir unsere Zeitung bei ihnen vorbeigebracht haben und kaum haben wir uns umgedreht, wurde sie schon in den Mistkübel entsorgt. Die Verneinung von Sexualität ist immer aktuell und ich habe viele verheiratete Migrant_innen kennen gelernt, die meinten, dass sie sich nie trauen würden, zu einem etablierten „migrantischen“ Verein zu gehen und dort über ihre Sexualität zu reden. Und was die  LGBT-Vereine anbelangt:  so groß die Skepsis Vienna Mix und MiGaY gegenüber anfangs war, sind sie heute froh, dass es uns gibt. Also einen Verein, der genau diese Schnittstelle anspricht. Es gibt also viel Unterstützung, aber es existieren auch noch immer Lokale, die schwule Männer, die „migrantisch“ aussehen, nicht reinlassen. Junge Männer zwischen 17 und 30 stehen oft unter Generalverdacht, dass sie Stricher seien.

progress: Wie lässt sich die Situation homosexueller Migrant_innen in Stadt und Land vergleichen?

Dziedzic: Ich glaube, es ist schon als Migrant_in in Wien leichter, als in einem kleinen Kaff in Niederösterreich. Als meine Familie 1992 in so ein „Kaff“ gezogen ist – zuvor wohnten wir nach Umzug aus Polen zwei Jahre in Wien – waren wir die erste migrantische Familie dort. Als ich mich mit 16 geoutet habe, habe ich das vor meiner Familie und ein paar guten Freund_innen getan. Aber es war für mich damals noch unvorstellbar, sich öffentlich zu outen. Vielleicht war es die Angst zu hören: „Jetzt ist sie eh schon eine Ausländerin und dann auch noch eine Lesbe“.  Sehr viele Leute kommen nach Wien, weil sie hier mehr Freiräume wittern, weil es urbaner ist und eine Großstadt mehr Anonymität bietet. Und die Wahrscheinlichkeit bei zwei Millionen Menschen mehr Gleichgesinnte zu finden, ist größer als in einem Steiermärkischen Dorf.

progress: Ist es in migrantischen Communities und Familien schwerer, sich zu outen?                 

Dziedzic: Man muss aufpassen, dass man nicht alles auf den Migrationshintergrund schiebt. Es herrscht leider ein sehr homogenes Bild von Migrant_innen vor. Oft macht es einen Unterschied, ob es sich um die zweite oder dritte Generation der so genannten Gastarbeiter_innenfamilien, die aus sehr traditionellen Strukturen kommen, handelt, oder um Migrant_innen, die in Istanbul gelebt haben oder am Sankt Georg Kolleg waren. Und dann gibt es  noch das Phänomen, dass das durch die Migration hervorgerufene Gefühl der „Entwurzelung“ für einige ein Grund mehr ist, umso verstärkter auf bestimmte Traditionen und Werte des Herkunftslandes zu beharren.

                                                                                                                                                                                                                                                       

progress: Wie zeigt sich das?    

Dziedzic: Ein Beispiel: Als ich meiner Mutter gesagt habe, dass ich mich in eine Frau verliebt habe, war sie vor allem froh, dass ich nicht schwanger bin. Sie meinte dann, dass es nicht so schlimm ist, aber in Polen durfte das niemand erfahren. Jahre später war meine Mutter völlig überrascht, weil das Thema Homosexualität auch im polnischen Fernsehen besprochen wurde. Sie hat bis `89 nichts davon gehört. Die Frage „Ist es einfacher, sich in Kärnten zu outen oder doch in Wien leichter als in Krakau“ ist nicht pauschal zu beantworten. Das hängt manchmal davon ab, ob deine Familie seit Jahren den katholischen Familienverband unterstützt und du in Wien lebst oder du in Kärnten aus einer Familie kommst die sagt: „Naja, kann man nix machen“.

progress: Was muss sich in Zukunft ändern? Welche Forderungen habt ihr?

Dziedzic: In unterschiedlichen Bereichen so einiges. Zum Beispiel muss garantiert sein, dass es ein selbstständiges Aufenthaltsrecht für Migrantinnen gibt. Es kann nicht sein, dass Frauen wegen des Aufenthaltsrechts ihres Mannes an ihn gebunden sind.
Klar wirkt sich auch jede Verschärfung im Fremdenrecht auf Migrant_innen, egal welcher sexuellen Orientierung, aus. Auf der anderen Seite sind es die LGBT-Rechte. Seit 2010 gibt es die eingetragene Partner_innenschaft in Österreich, es existieren aber noch immer über 50 Ungleichbehandlungen gegenüber der Ehe. Angefangen davon, dass man den Nachnamen verliert, wenn man sich eintragen lässt, bis dahin, dass gleichgeschlechtliche Paare keine Kinder adoptieren dürfen.
Grundsätzlich geht es darum, dass jeder Mensch die Möglichkeit haben sollte, gleichberechtigt an der Gesellschaft partizipieren zu können, sichtbar zu sein, ohne mit physischer oder psychischer Gewalt konfrontiert zu werden.

 

AutorInnen: Oona Kroisleitner