Zwischen Autonomie und WM
Katalonien hat in diesem Sommer gebebt: Vor Ärger über den beschränkten Autonomiestatus und vor Freude über den Sieg Spaniens bei der Fußball-Weltmeisterschaft
Katalonien hat in diesem Sommer gebebt: Vor Ärger über den beschränkten Autonomiestatus und vor Freude über den Sieg Spaniens bei der Fußball-Weltmeisterschaft
In den katalanischen Tageszeitungen wechseln sich wochenlang fußballbegeisterte pro-spanische Schlagzeilen mit empörten Kommentaren zum Autonomiestatut und der „katalanischen Frage” ab. La Razon etwa verkündet drei Tage vor dem WM-Finale „España vence unida“ (Spanien gewinnt vereint) und sogar das in Barcelona ansässige Tagesblatt La Vanguardia stimmt in die Fußball-Begeisterung ein und titelt Spanien- freundlicher als gewohnt „Todos jugamos juntos“ (Wir spielen alle gemeinsam). In der Rubrik Opinión findet sich dann aber doch auch der gewohnte katalan-nationalistische Ton. „Katalonien, alte Nation Europas (so drückt es das Statut aus), verdient Respekt. Dass es ja niemand herabsetze!” Katalonien scheint in der Frage über sein Verhältnis zu Spanien mehr als zwiegespalten. Während sich die Hälfte der KatalanInnen von Spanien unterdrückt oder sogar besetzt fühlt, ist die andere Hälfte sehr zufrieden mit ihrer doppelten Identität.
Doch woher rührt diese jahrzehntelange Diskussion um die katalanische Unabhängigkeit, die auch nach Jahrhunderten der politischen Zugehörigkeit zu Spanien nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat?
Katalonien als Großmacht. Noch heute erinnern sich die KatalanInnen gerne an die einstige Größe Kataloniens, das sich im Mittelalter über weite Teile des Mittelmeerraums, von Valencia und Mallorca bis nach Neapel und den Inseln Sizilien, Korsika und Sardinien zog. Die Erklärung für den glühenden Nationalstolz der meisten KatalanInnen ist wohl in der jüngeren Geschichte der nun autonomen Region Catalunya zu finden, die lange Zeit vor allem durch Unterdrückung geprägt war. In der Zeit der Diktatur Francos (1939–1975) wurde die katalanische Kultur und Sprache aus dem öffentlichen Leben verbannt. Katalanisch konnte nur zuhause gesprochen werden. Auf der Straße mussten Strafen befürchtet werden. „Meine Eltern sind beide aus anderen Regionen Spaniens hierher nach Barcelona gezogen“, erklärt mir meine Freundin Cristina. „Während der Zeit der Diktatur haben sie deswegen zuhause auch immer nur Spanisch gesprochen. Deswegen habe ich Katalanisch dann erst recht spät in der Schule gelernt. Bei den Kindern mit katalanischen Eltern hat die Sprache zuhause überlebt. Anderswo hätten sie es nicht sprechen dürfen.“
Verbreitung des Katalanischen. Nach dem Tod Francos 1975 wurde die demokratische Landesregierung wiederhergestellt. Seitdem kann das Català wieder überall auf den Straßen gehört und auf Plakaten und Straßenschildern, in Zeitungen und in Büchern gelesen werden. Spanisch und Katalanisch sind seither die offiziellen Sprachen Kataloniens. Katalanisch ist allerdings die erste Bildungssprache in den Schulen und Universitäten. Die von vielen KatalanInnen ersehnte gänzliche Separation von Spanien, blieb jedoch ein unerfüllter Wunsch. Ihre Unabhängigkeit und Identität betonen sie seither vor allem über ihre Sprache. Deswegen legt auch die katalanische Landesregierung viel Wert auf die Verbreitung derselben. Im Rahmen eines normalització genannten Prozesses versucht die regionale Regierung den vielen, aus anderen Teilen Spaniens, Zugewanderten die katalanische Sprache näherzubringen. Durch Kampagnen für die Verbreitung des Katalanischen, das Anbieten unentgeltlicher Sprachkurse und Förderungen der katalanischsprachigen Literatur, ist es gelungen die einstige Position des Català zumindest teilweise wiederherzustellen.
Kurz nach Ende der Diktatur wurde die Autonomie bestimmter Regionen, darunter auch der Comunitat Autònoma de Catalunya durch die spanische Verfassung 1978 anerkannt. Ein Jahr später wurde ihre unabhängige Position mit dem Estatut d’Autonomia de Catalunya 1979, dem ersten Autonomiestatut Kataloniens, das als eine Art eigene Verfassung für Katalonien, verstanden werden kann, weiter gestärkt. Mit dem Autonomiestatut 2006 ist neuerlich Bewegung in die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen gekommen. Dieses kommt der Forderung der KatalanInnen nach mehr wirtschaftlichen und finanziellen Kompetenzen für die Region größtenteils nach. Die der Region Catalunya garantierte Unabhängigkeit wurde aber vom spanischen Zentralstaat als zu weitgehend empfunden. Unter anderem bezeichnet der erste Artikel Katalonien als „Nation“, ein anderer bezeichnet das Katalanische als „vorrangige Sprache“ vor dem Spanischen und ein weiterer Artikel will den Vorrang des katalanischen Zivilrechts, das seit jeher eigenständig neben dem spanischen besteht, normieren. Diese umstrittenen Punkte wurden im Juli 2010 vom spanischen Verfassungsgericht als verfassungswidrig aufgehoben.
Würde des Landes. Als Reaktion auf dieses Urteil wurde vom Präsidenten der Generalitat de Catalunya, José Montilla, zur Demonstration aufgerufen: „Um für die Würde eines Landes zu kämpfen muss man vieles tun. Wenn es zu einem Angriff darauf kommt, muss man auf die Straßen gehen.“
„Ich verstehe die Aufregung nicht. Ich bin Katalanin. Auch zuhause rede ich katalanisch. Aber ich finde den Rest von Spanien auch sehr schön“, empört sich meine Kollegin Mari und meint bezüglich der angekündigten Demonstration: „Ich werde dort bestimmt nicht hingehen!“.
„Spanien muss endlich verstehen, dass Katalonien ein eigenes Land mit eigener Kultur ist. Wenn wir unsere Kultur nicht pflegen, wird sie irgendwann in der spanischen untergehen.“ meint meine Bekannte Marta. Und mein Vermieter Paco zuckt nur mit den Schultern und bemerkt „Ich bin zwar Katalane, aber ich gehe nicht zur Demonstration. Das bringt ohnehin nichts.“ So viele KatalanInnen zu diesem Thema befragt werden, so viele Meinungen werden herauskommen. Aber egal ob diese der Autonomie positiv oder negativ gegenüberstehen – keine Katalanin und keinen Katalanen lässt das Thema kalt.