Zwei Tage Mitmach-Feminismus
Das Femcamp hat sich den Slogan „Feminismus für alle“ auf die Fahnen geheftet. Was mit Siebdruck schnell auf T-Shirts und Taschen gedruckt ist, erweist sich in der gelebten Praxis als immerwährende Herausforderung. Denn anders als im Mainstream suggeriert, ist der feministische Diskurs facettenreich und hört längst nicht bei Binnen-I, Quotenregelung oder Hymne auf.
Das Femcamp hat sich den Slogan „Feminismus für alle“ auf die Fahnen geheftet. Was mit Siebdruck schnell auf T-Shirts und Taschen gedruckt ist, erweist sich in der gelebten Praxis als immerwährende Herausforderung. Denn anders als im Mainstream suggeriert, ist der feministische Diskurs facettenreich und hört längst nicht bei Binnen-I, Quotenregelung oder Hymne auf.
„Wohoo!“ Unter Begeisterungsrufen verlässt eine kleine Gruppe junger Menschen das Museumsquartier in Richtung Mariahilfer Straße. Gelächter. Für sie startet der zweite Tag des Femcamps außerhalb der aufgeheitzten Räume. Ihr heutiger Programmpunkt: Aktivismus statt Austausch. Sie wirbeln die Bücher in einer Großbuchhandlung auf oder, genauer gesagt, sortieren diese neu, um zu irritieren.. „Ich bin schwanger“ landet im Männer-Regal, ein dicker Wälzer in der Frauen-Abteilung und Erklärbücher à la „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ bekommen Fantasy-Gesellschaft. So weit, so symbolisch. Gesellschaftlichen Konventionen Kontrapunkte zu setzen kann auch Spaß machen.
Während die „Bücher-Anarchist*innen“ freudig von dannen ziehen, setzen sich die verbliebenen Femcamp-Teilnehmer*innen mit mitunter selbst erlebten Diskriminierungen und Verletzungen auseinander. Barrierefreiheit sowie Strategien gegen sexuelle Belästigung im (halb-)öffentlichen Raum stehen auf der morgens im Plenum festgelegten Agenda. Schwere Kost. Und doch: Alltag für viele.
FEMINISMUS WEITERDENKEN. Die Sessions der dritten Auflage des Femcamp sind dicht gedrängt, die Themenpalette ist breit. Es ist eine Mischung aus Gesprächsrunden, DIY-Workshops und Vorträgen von und mit den über 140 Teilnehmer*innen zu Themen wie Abtreibung, Ableismus, Transmisogynie, E-Mail-Verschlüsselung, bedingungsloses Grundeinkommen, Polyamorie, LGBTIQ-Refugees, Improvisationstheater, globale Produktionsverhältnisse, Asexualität und psychische Krankheiten.
Das Femcamp ist als ein Barcamp, also eine Art Mitmach-Konferenz, konzipiert, bei der jede*r Sessions vorschlagen und abhalten kann – mit wesentlichen Einschränkungen für Cis-Männer (Anm.: Cisgender wird analog zu Transgender verwendet) und einer Awareness-Policy, die aus dem queer-feministischen Grundverständnis herrührt: Wenn (mehrfach) Benachteiligten Stimmen gegeben werden und Machtstrukturen unterlaufen werden sollen, müssen die Barcamp-Regeln modifiziert werden, um nicht erneut vorherrschende Verhältnisse zu reproduzieren. „Barcamps sind allgemein sehr männerdominiert, dazu wollen wir ein Gegengewicht schaffen“, meint Mahriah, eine der Organisator*innen. Denn das „Offen für alle“ bei herkömmlichen Barcamps ist entsprechend der gesellschaftlichen Machtlogiken ziemlich ausschließend.
Den Femcamp-Organisator*innen ist dennoch bewusst: Für alle sichere Räume zu schaffen ist nicht möglich. „Wir versuchen viele Dinge zu berücksichtigen und nicht unbedacht an die Sache heranzugehen, um so zumindest einen ‚safer space’ zu kreieren“, so Heike vom Orgateam. Plakatives Positiv-Beispiel dafür sind die Pronomen-Sticker. Dadurch passiert falsches Ansprechen seltener und gleichzeitig wird sichtbar gemacht, dass es mehr gibt als „männlich“ und „weiblich“.
1 + 1 IST NICHT IMMER 2. Wie wenige sichere Räume es in der „wirklichen Welt“ gibt, ist für Nicht-Betroffene schwer nachvollziehbar. Der Mainstream-Feminismus beschränkt sich vielfach auf die Probleme akademisch gebildeter, weißer Frauen und ignoriert Klassismus, Rassismus, Ableismus, Homo- oder Transfeindlichkeit – und, dass viele Menschen von mehreren Diskriminierungsformen gleichzeitig betroffen sind. Was das bedeutet, erklärt Malaika Bunzenthal. Die Aktivistin (#notjustsad, #schauhin) hat im Vorfeld des Femcamps einen Workshop zu Mehrfachdiskriminierung gehalten: „Es gibt verschiedene Formen von Diskriminierung und diese verstärken sich gegenseitig. Nehmen wir zum Beispiel Sexismus und Rassismus und schauen uns den klassischen GenderPayGap an: Weiße Frauen verdienen weniger als weiße Männer, aber schwarze Frauen verdienen noch weniger.“
Von der Fußgängerzone dringt unpassender Swing durch die fest verschlossenen Fenster, es ist drückend heiß. „Was in dem Raum passiert, bleibt auch hier“, stellt Brigitte am Beginn ihrer Session zu Street Harassment fest. Alle nicken. Ihre Geschichten tragen die Teilnehmer*innen in die letzte Silvesternacht, in ein U-Bahn-Abteil und auf eine Party. Es sind Erzählungen von Angst, Scham, Wut und Hilflosigkeit. Ihnen gegenüber werden Gegenstrategien und Bestärkungen gestellt. Die knapp kalkulierte Zeit fliegt dahin. Die Teilnehmer*innen der nächsten Session zur Gründung einer FLIT*-Improtheatergruppe sammeln sich bereits vor der Tür. Plakate werden zusammengerollt, Sessel gestapelt. Dazwischen ein schneller Kaffee. Oder ein Bällebad.
Im Saal nebenan berichtet die Verlegerin Ingrid Pointecker von klassischen unsicheren Räumen. Sie spricht in ihrer gut besuchten Session über Selbstständigkeit fast eine Warnung vor herkömmlichen männerdominierten Wirtschaftskammer-Events aus. Was eine da erlebe, sei manchmal „starker Tobak“: „Ich wurde bei einer Netzwerk-Veranstaltung in der Hofburg zur Begrüßung erst einmal nach meinem Chef gefragt.“
DAS DILEMMA MIT DEN CIS-MÄNNERN. Das heurige Femcamp ist ein bisschen weniger akademisch als im Vorjahr, aber insgesamt eine sehr weiße und abled Veranstaltung. Mit dem Wollen allein sind Inklusion und Diversität also noch lange nicht erreicht. Für Diskussionen vor Ort sorgt auch die Frage, inwiefern die Teilnahme von Cis-Männern bei einem queerfeministischen Barcamp nicht kontraproduktiv sei. „Das Femcamp 2015 ist bewusst als ein Raum für alle Geschlechter ausgelegt, die miteinander Ideen für eine bessere Welt denken und teilen können“, kommentieren Mahriah und Heike diese Debatte. „Wir hätten jedoch [bei den Morgenplena] die Möglichkeit, dass Sessions auch in geschlossenen Gruppen stattfinden können, beispielsweise ohne Cis-Männer, besser kommunizieren sollen.“
Die Informatikerin Katharina Spiel löst in ihrer Session das „Cis-Männer-Dilemma“ auf ihre eigene Art: Sie hält ihren Elektronik-Bastel-Workshop am zweiten Femcamp-Tag „aus Trotz“ und als Antwort auf Männer-dominierte IT-Sessions vom Vortrag. „Ich habe mein ganzes Studium lang Inhalte von Cis-Männern erklärt bekommen und es reicht.“ Bei ihrer Bastel-Session dürfen Cis-Männer dennoch anwesend sein. Spiel grinst: „Als stille Zuhörer.“
Cornelia Grobner ist freie Journalistin und Doktoratsstudentin im Fachbereich Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg.
Weiterführende Links
FemCamp 2015
Queerness als Programm: #unitfestival
Barcamp Austria
Intersektionalität
Zu den Kategorien Schwarz/Weiß
Was heißt Ableismus
Class Trouble: Wie viel „Klasse“ hat die queer-feministische Praxis? Immer mehr und doch zu wenig
Warum da so viele Sternchen* sind