Wenn Zweiteilen nicht mehr ausreicht
Madeleine Garbsch, Leiterin der Beratungsstelle Psychologische Studentenberatung, spricht mit PROGRESS über Leistungsdruck, Ritalin und die Belastung, Arbeit und Studium zu verknüpfen.
Madeleine Garbsch, Leiterin der Beratungsstelle Psychologische Studentenberatung, spricht mit PROGRESS über Leistungsdruck, Ritalin und die Belastung, Arbeit und Studium zu verknüpfen.
PROGRESS: Was für Aufgaben hat die Psychologische Stundentenberatung und wer kommt zu Ihnen?
MADELEINE GARBSCH: Wir sind für alle Studienwerber – also Schüler im Maturajahr – und für die Studierenden in ganz vielen Belangen zuständig, sowohl im universitären als auch nicht-universitären Bereich. Dies umfasst allerdings nicht den pragmatischen, organisatorischen Teil, wie Stipendienansuchen, sondern alle Probleme, die die Person an sich betreffen.
Welche Probleme werden häufig angesprochen?
Besonders häufig geht es hier einerseits um Fragen bezüglich der Studienwahl und des Studienwechsels, andererseits um Lernprobleme und Prüfungsangst oder Probleme im Persönlichkeitsbereich. Wir haben auch Klienten, die sich schwer tun, an der Uni Anschluss zu finden – für die gibt es beispielsweise Selbsterfahrungsgruppen. Wenn jemand Schwierigkeiten mit dem Lernen hat, können sogenannte Lerntrainings in der Gruppe helfen, z.B. mit Hilfe von Zeitmanagement und Lernmethoden. Oder wenn es Unsicherheiten bei der Studienwahl gibt, evaluieren wir einzeln mit der betreffenden Person, welches Studium vielleicht interessant sein könnte. Es kommen auch Personen, die Probleme im psychischen Bereich haben, wie Beziehungsprobleme oder Essstörungen. Alle diese Themen können sich auf das Studium auswirken, auch wenn sie jetzt nicht unmittelbar was mit dem Uni-Bereich zu tun haben.
Ist die Hilfe, die Sie anbieten, eher kurz- oder langfristig angelegt?
Klar ist, dass jeder Studierende, der ein Problem hat, zu uns kommen kann. Dass sie oder er langfristig bei uns bleiben kann, wird aber seltener, weil wir immer mehr Zulauf haben. Wir können an Angebote von außen vermitteln und so als eine Art Schnittstelle agieren. Es wird sehr genau darauf geschaut, was dieser Person helfen kann – das muss ja nicht immer jahrelange Therapie bedeuten. Wir sind eine Anlaufstelle, wenn etwas nicht in Ordnung ist, und bieten eine gute Möglichkeit, etwas anzugehen.
Welche geschlechterspezifischen Unterschiede gibt es bei Ihren KlientInnen?
Rund 70 Prozent unserer Klient-Innen sind weiblich, da sich Frauen einfach öfter und schneller Hilfe holen. Bei den Männern steckt meistens eine viel längere Leidensgeschichte dahinter, bevor sie den Weg zu uns finden.
Haben sich die Probleme im Laufe der Zeit verändert?
Wir haben dies nicht empirisch untersucht, aber meine Kollegen und ich haben den Eindruck, dass der Druck auf die Studierenden zunimmt. Die Anforderungen des Studiums steigen und auch der finanzielle Druck, die Prüfungen und das Studium möglichst rasch zu erledigen, nimmt zu – beispielsweise wegen Studiengebühren. Grundsätzlich ist ein gewisser Druck gut, um Leistung zu erbringen, zu viel Druck wirkt aber kontraproduktiv.
Wie kann das vermieden werden?
Da wir jeden Menschen als Individuum sehen, kann man auch keine allgemeinen Tipps geben. Wir schauen, was dieser spezifischen Person Druck macht, erst dann versuchen wir dagegen zu arbeiten und den Druck zu nehmen. Der Druck kann von innen kommen, wie etwa mangelndes Selbstbewusstsein oder Perfektionismus und infolge das schlechte Gefühl, vielleicht noch ein Semester länger zu brauchen. Es gibt aber natürlich auch Druck von außen, wenn Eltern wegen der Studiendauer Druck machen oder wenn sich die Eltern ein bestimmtes Studienfach wünschen. Wir versuchen, den Personen Lösungsansätze für ihre Probleme zu geben.
Besteht zwischen Ihnen und StudienprogrammleiterInnen ein direkter Kontakt, um Probleme anzusprechen?
Ein direkter Kontakt diesbezüglich besteht nicht, die offiziellen Stellen von der Universität würden sich da ans Ministerium wenden. Ich bin überzeugt, den verantwortlichen Personen auf der Uni ist schon bewusst, dass die Studierenden unter Druck stehen. Wir haben zwar Kontakt mit einigen Leuten von der Uni, aber das ist sehr individuell – zum Beispiel wenn ein Student oder eine Studentin auffällig geworden ist oder wir an einer Sitzung teilnehmen sollen.
Ist bei Ihnen Arbeiten neben dem Studieren ein Thema?
Unsere Wahrnehmung ist, dass nahezu alle Studierenden nebenbei arbeiten. Manchmal müssen sich diese zwei- oder sogar dreiteilen. Gerade Diplomanden arbeiten manchmal bis zu 30 Stunden pro Woche und wir müssen ihnen dann sagen, dass man so im Allgemeinen keine Diplomarbeit schreiben kann. Das geht einfach nicht, außer in Einzelfällen vielleicht.
Haben Sie in der Praxis auch von Mitteln zur Konzentrationssteigerung, wie etwa Ritalin, gehört?
Das wird von den Medien hochgefahren, ist aber dort sicher mehr Thema als bei uns. Die Studierenden wissen es, wir wissen es. Ab und zu werden vor allem Kollegen, die die Lerntrainings machen, gefragt, wie sich solche Mittel auswirken. Aber ich kann nicht behaupten, dass das großen Platz bei uns einnimmt. Es kommen keinesfalls viele zu uns und erzählen, dass sie Ritalin oder Ähnliches nehmen – vielleicht sagen sie es uns auch nicht. Es ist zweischneidig zu betrachten, die Berichterstattung kann sicherlich auch abschrecken. Auf der anderen Seite wird dieses Thema dadurch öffentlich gemacht und kann jemanden auch erst auf die Idee bringen. Es ist sicher ein Problem, vor fünf Jahren war das noch nicht so.
Woran liegt es, dass immer mehr Studierende Hilfe suchen?
Auch darüber haben wir keine genauen Untersuchungen. Wir vermuten, dass sowohl die Hemmschwelle für psychologische Beratung sinkt, aber auch, dass der steigende Druck auf die Studierenden Grund dafür ist. Hauptsächlich kommen die Leute über Mundpropaganda und über das Internet zu uns, aber wir versuchen schon, die Erstsemestrigen zu erreichen, indem unsere Kontaktdaten in den Unterlagen enthalten sind, die jeder am Anfang des Studiums bekommt.
Wer finanziert die Beratungsstelle?
In Wien sind wir 15 beratende Personen – bis auf einen Mitarbeiter alles Psychologen – und werden vom Wissenschaftsministerium finanziert. Ich würde mir aber wünschen, dass wir mehr Personal bekommen, weil wir steigende Klientenzahlen haben und diese nicht mehr optimal betreuen können, wenn es noch mehr werden. Letztes Jahr waren insgesamt 4.000 Klienten bei der Beratungsstelle, mit denen mehr als 14.000 Beratungskontakte stattfanden. Die Tendenz ist eindeutig, es kommen immer mehr Leute und wir sind wirklich am Limit.