Wenn Bildung vererbt wird
Trotz des Anstiegs der Studierendenzahlen sind Personen aus nichtakademischem Milieu an den Universitäten stark unterrepräsentiert. Claudia Aurednik hat mit „working class academics“ über die Probleme von Kindern aus nicht privilegierten Elternhäusern im Bildungssystem gesprochen.
Trotz des Anstiegs der Studierendenzahlen sind Personen aus nichtakademischem Milieu an den Universitäten stark unterrepräsentiert. Claudia Aurednik hat mit „working class academics“ über die Probleme von Kindern aus nicht privilegierten Elternhäusern im Bildungssystem gesprochen.
„Einmal hat uns ein Student erzählt, dass er Germanistik studieren wollte und das Studienfach im Vorlesungsverzeichnis der Universität Wien nicht gefunden hat. Daraufhin hat er ein anderes Studienfach inskribiert, weil ihm die Bezeichnung Deutsche Philologie unbekannt war“, erzählt der Bildungssoziologe Ingolf Erler (35). Erler hat während seines Studiums an der Universität Wien ein Referat für Kinder aus nicht privilegierten Elternhäusern gegründet, in dem er sich gemeinsam mit anderen theoretisch mit Ausschlussmechanismen des österreichischen Bildungssystems auseinandergesetzt hat. 2007 hat er das Buch Keine Chance für Lisa Simpson? Soziale Ungleichheit im Bildungssystem herausgegeben. Erler selbst ist in einem kleinen Industrieort in der Obersteiermark aufgewachsen. Sein Vater hatte einen Installateurbetrieb und seine Mutter war Bürokauffrau: „Zu Beginn waren sie angesichts meines Soziologiestudiums etwas irritiert, weil ich zuvor eine HTL gemacht hatte. Dennoch haben sie meine Entscheidung akzeptiert.“ Im Laufe seines Studiums wurde Ingolf Erler von den Schriften Pierre Bourdieus geprägt. „In unserer Gesellschaft zählt Bildung zu den Dingen, die Ungleichheit erzeugen, ohne dass dies gleich auffällt.“ Dieser Aspekt hat auch auf die Selbstwahrnehmung der Betroffenen enorme Auswirkungen, ergänzt Erler: „Denn diejenigen, die im Bildungssystem scheitern, suchen die Schuld bei sich selbst. Sie machen nicht die strukturellen Bedingungen dafür verantwortlich.“ Die Universität betrachtet Erler als Teil des gesamten österreichischen Bildungssystems: „Das Schulsystem funktioniert wie eine Pyramide. Unten kommen alle rein und oben an der Spitze befinden sich nur wenige. Denn Bildung hat die Funktion, Menschen zu selektieren und nur bestimmte in gewisse Positionen aufrücken zu lassen. Zudem geht die Universität immer davon aus, dass sie eine elitäre Ausbildung ist.“ Ingolf Erler erläutert, dass an der Hochschule auch subtile Mechanismen wirken: „Es gibt dort eine Unmenge an Abkürzungen und Hierarchien. Menschen aus einem nichtakademischen Milieu müssen erst lernen, mit ProfessorInnen auf Augenhöhe zu sprechen. Leute, die in einem akademischen Umfeld aufwachsen, fällt es viel leichter, sich vor ProfessorInnen zu inszenieren.“ Doch gerade die symbolische Ebene und die subtilen Mechanismen werden nach Erler oft übersehen und in Untersuchungen vernachlässigt. Eine Problematik stellt auch dar, dass im österreichischen Bildungssystem besonders früh selektiert wird. In Ländern mit hohem AkademikerInnenanteil ist das anders. „Im Bildungssystem der skandinavischen Länder steht die Förderung der einzelnen Personen viel stärker im Vordergrund. Dort lässt man die Leute in einem gemeinsamen Schulverband und fördert gerade jene, die Schwierigkeiten haben. Bei uns wird eher nach der Elitenförderung gefragt und so werden Leute, die bereits einen akademischen Background haben, gefördert.“ Erler betont dabei auch die unterschiedliche Verantwortung für Bildung: „In den skandinavischen Ländern ist die Gesellschaft für das einzelne Kind verantwortlich. Und die hat natürlich viel bessere Möglichkeiten Kinder zu fördern als die einzelnen Eltern.“
Für Personen aus nichtakademischen Familien werden in bildungspolitischen Debatten unterschiedliche Begriffe verwendet. Oft wird von „Personen aus bildungsfernen Schichten“, „kulturell und sozial benachteiligten Personen“ oder „Arbeiterkindern“ gesprochen. „Die Bezeichnung der Arbeiterklasse ist schwierig, weil Klasse in der Alltagssprache nicht als soziologischer, sondern als ideologischer Begriff verstanden wird. Gleichzeitig ist das oftmals dahinterstehende Bild des weißen, männlichen Fabrikarbeiters überholt“, erklärt Ingolf Erler: „Außerdem zählen häufig auch Kinder von LandwirtInnen zu dieser Gruppe, obwohl sie sich selbst dieser kaum zuordnen würden.“ Begriffe wie „bildungsferne Schicht“ oder „kulturell und sozial benachteiligte Person“ sind für ihn noch schwieriger fassbar: „Denn kein Mensch würde sich selbst so bezeichnen.“
Initiative Arbeiter-kind.at In Deutschland hat Katja Urbatsch 2008 die Initiative Arbeiterkind. de gegründet. Die Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil von Kindern aus nichtakademischen Familien an den Hochschulen zu erhöhen und unterstützt betroffene Menschen auf ihrem Weg zu einem erfolgreichen Studienabschluss. Mittlerweile umfasst das Netzwerk 5000 ehrenamtliche MentorInnen und 70 lokalen Gruppen. Arbeiter-Kind.at ist der österreichische Ableger des sozialen Netzwerks, bei dem auch Natascha Miljkovic (34) aktiv ist. Sie hat mit dem Begriff Arbeiterkind keine Probleme und hat sich von der Initiative gleich angesprochen gefühlt: „Vor zwei Jahren habe ich in einem Magazin ein Interview mit Katja Urbatsch gelesen und darin meine eigene Lebensgeschichte wiedererkannt. Denn mein Vater war ein Gastarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien, der in den 1970er Jahren nach Österreich gekommen ist und in Oberösterreich meine Mutter kennengelernt hat.“ Natascha Miljkovic hat vor einigen Monaten eine Firma gegründet und ist als Wissenschaftsberaterin an Universitäten tätig. 2007 hat sie ihre Dissertation am Institut für Zoologie abgeschlossen. Bei Arbeiter-Kind.at ist sie im Organisationsteam tätig. Dort kümmert sie sich primär um die Bekanntheit des Netzwerks an den Universitäten. Außerdem ist sie in Wien als Mentorin für Studierende der Naturwissenschaften aktiv. Eine höhere Ausbildung zu absolvieren war ainnert sich: „In der Volksschule wurde meinen Eltern noch gesagt, dass ein Kind aus einer Gastarbeiterfamilie nicht ins Gymnasium gehen muss. Doch meine Eltern haben sich trotzdem dafür entschieden, weil sie selbst nicht den Zugang zu höherer Bildung gehabt hatten.“
Während des Studiums an der Universität Wien hatte Natascha Miljkovic keine Probleme mit ihrer familiären Herkunft. Doch im Gymnasium hatte sie ihre soziale Stellung deutlich zu spüren bekommen: „Dort wurde mir vermittelt, ich wäre ein Nichts. MitschülerInnen aus Anwalts- oder Arztfamilien wurden viel besser behandelt als ich. Eine derart extreme, ungerechte Behandlung habe ich nachher nie wieder erlebt.“ Die negativen Erfahrungen aus der Schulzeit haben sich auch auf Miljkovics Verhalten zu Beginn ihres Studiums ausgewirkt: „Durch die permanente Demotivation in der Schule war ich in der ersten Zeit sehr schüchtern. Ich habe mich beispielsweise nicht getraut, jemanden nach dem Hörsaal zu fragen. Aber nachdem ich meine Zurückhaltung überwunden hatte, habe ich keine größeren Probleme während meines Studiums gehabt.“ Miljkovic erzählt, dass ihre Eltern sich nicht in ihre Studienwahl eingemischt hätten: „Meine Eltern wollten nur, dass ich die Matura mache. Und ich denke, dass ein Studium, das man sich selbst aussucht, für einen selbst viel mehr Wert hat.“ Natascha Miljkovic reflektiert über die gesellschaftliche Stellung von Menschen aus nichtakademischen Familien: „Bis heute ist es ein Stigma, aus einer Arbeiterfamilie zu kommen. Deshalb sind wir bei Arbeiter-Kind.at auch stolz darauf, dass die Nationalratspräsidentin Barbara Prammer unser erstes Testimonial war. Dass sie aus einer Bergarbeiterfamilie kommt, wissen nur wenige.“ Miljkovic merkt an, dass viele Studierende aus nichtakademischen Familien besondere Probleme haben: „Viele haben zu wenig Selbstbewusstsein und sehen ihre Möglichkeiten nicht. Das ist schade, denn dabei geht sehr viel Potenzial verloren.“
ArbeiterInnenmilieu „Meine Eltern haben sich gewünscht, dass ich einen polytechnischen Lehrgang und eine Lehre mache oder mich für eine HAK oder HTL entscheide“, erzählt Bernhard Bergler (22) und ergänzt: „Ich habe mich nach der Hauptschule bei meinen Eltern durchsetzen müssen, um aufs Gymnasium zu gehen. Nach der Matura war es dann für sie nachvollziehbar, dass ich ein Studium beginnen werde.“ Vor zwei Jahren war Bernhard Bergler Sprecher der Initiative Arbeiter-Kind.at. Das Engagement musste er dann aufgrund des Studiums ruhen lassen. Derzeit macht er seinen Bachelorabschluss am Institut für Politikwissenschaft und studiert Bildungswissenschaft an der Universität Wien. Bergler kommt aus dem Bezirk Liezen in der Obersteiermark. Sein Vater war Koch und Konditormeister und arbeitet derzeit als Hausmeister. Seine Mutter ist seit seiner Geburt Hausfrau. Unter dem Studium der Politikwissenschaft haben sich seine Eltern nichts vorstellen können: „Mit Medizin oder Jus können Menschen etwas anfangen. Aber es fällt ihnen schwer sich vorzustellen, was ein Studium der Politikwissenschaft ist und welche beruflichen Aussichten man mit diesem hat.“ Die Unterschiede zwischen ihm und Kindern aus akademischen Familien hat Bergler während seines Studiums rasch bemerkt: „Für Akademikerkinder ist es selbstverständlich, dass die Eltern helfen und die Arbeiten korrigieren. Oft habe ich in Gesprächen bemerkt, dass sie aus einer mir unbekannten Welt kommen.“ Bis heute hat er das Problem, dass er nicht genügend akademische FreundInnen hat, die seine Arbeiten Korrektur lesen und mit ihm über diese diskutieren. Außerdem hätten Studierende aus dem akademischen Milieu, nach Bergler, den Vorteil, während ihres Studiums auch mental unterstützt zu werden. „Bei anderen Eltern ist es selbstverständlich, dass das Kind auf eine höhere Schule geht und anschließend ein Studium beginnt. Von nichtakademischen Eltern werden Studierende oftmals entmutigt, während Kinder aus Akademikerfamilien ermutigt werden“, reflektiert Bergler.
Auch der akademische Habitus ist für ihn befremdend. Er erinnert sich an eine Episode während des Erstsemestrigen-Tutoriums an der Politikwissenschaft: „Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich mit anderen Arbeiterkindern an der Wand gestanden bin und wir uns sehr unsicher verhalten haben. Da ist einer geradlinig zum Studiendekan gelaufen und hat mit ihm über handgemachte italienische Schuhe gesprochen. Damit hab ich überhaupt nichts anfangen können.“ Doch trotz der Probleme an der Universität lässt sich Bernhard Bergler nicht entmutigen. Für StudienanfängerInnen mit einer ähnlichen Ausgangsposition hat er folgende Ratschläge: „Man sollte niemals aufgeben und sich rechtzeitig Hilfe holen. Auch die Schwierigkeiten an der Universität sollte man nicht auf sich beziehen, denn oft krankt es an der Struktur des Hochschulsystems.“