Vier Quadratmeter

  • 20.09.2012, 01:49

Es war ein Morgen wie jeder andere, als Markus (25) vor sechs Jahren wegen vermuteten Besitzes und Verkaufs von Cannabis ohne Vorwarnung festgenommen und für fast zwei Monate in Untersuchungshaft gesteckt wurde. Im Gespräch mit der PROGRESS-Redaktion erzählte er von schlaflosen Nächten, Sonntagen im Knast und Zeit, die nicht verrann.

"Ich war für sechs Wochen in der Justizanstalt Eisenstadt inhaftiert. Über  Persönliches möchte ich nicht sprechen. Aber über den Alltag kann ich berichten. Am ersten Tag kennst du dich erst mal gar nicht aus. Die erste Woche war ich in Einzelhaft. Die Wärter haben auf mich vergessen beim Spazierengehen. Ich habe den anderen zugesehen, als sie im Hof ihre Runden zogen. Und so bin ich vier Tage nur in der Zelle gesessen. Das war einfach …
In meiner Zelle gab es ein kleines Loch in der Wand. Da konnte man Kopfhörer anstecken und Radio hören. Ö3, Krone Hitradio, Radio Burgenland. Super. Der Kontakt zur Außenwelt ist minimal. Ich habe Briefe bekommen. Die waren immer schon geöffnet und gelesen. In der ersten Woche hatte ich zu niemandem Kontakt, auch Besuch war nicht erlaubt. Der kam erst später und ist immer mit einer Glaswand von dir getrennt. Außerdem steht immer ein Jusstudent daneben und hört zu, damit niemand über den Fall redet. Die Polizei sagt dir, du wirst bald wieder entlassen. Aber schnell realisierst du: Das stimmt nicht.

Handschellen. Verhaftet wurde ich zu Hause, an einem Mittwoch in der Früh, kurz nachdem ich aufgestanden bin. Es hat geläutet, aber ich konnte durch den Spion niemanden erkennen. Ich habe gefragt, wer da ist. „Polizei, aufmachen!“ Ich war versteinert. Es hat gegen die Tür gedonnert. Ich habe aufgemacht, zwei von ihnen haben sich auf mich gestürzt, ich hatte sofort Handschellen am Rücken. Die Polizei hat in meinem Zimmer drei Gramm Gras gefunden. Das war dumm. Sie haben mich mit Anschuldigungen überhäuft, dass ich ein Drogenboss sei. Sie haben mir die Achter um die Handgelenke geschlossen und mich mitgenommen. Für alle sichtbar wurde ich durch die Einkaufsstraße abgeführt. Auf der Wache wurde ich verhört, den ganzen Tag. Sie haben mich angelogen und mich eingeschüchtert. Als sie mir wen geschickt haben, die Vertrauen zu mir aufgebaut hat, bin ich auf sie reingefallen. Sie hat mich zum Reden gebracht. Ich hab mich verhaspelt und bekam Angst. Sie wissen, ein junger Typ, der kennt seine Rechte nicht. Das nutzen sie aus. Ich bin ihnen ins Messer gelaufen. Nach Eisenstadt kommen nur Leute mit kurzen Haftstrafen und Untersuchungshaft. Wer trotzdem länger dort ist, kann auch arbeiten gehen. Als Kugelschreiberabpacker, als Gärtner, als Koch – aber in die Küche kommt man nicht so leicht, da wollen alle hin. Mit der Zeit bekommt man Privilegien. Aber wenn du arbeiten gehst, wirst du erst recht wieder grundlos permanent von den Aufsehern angeschnauzt und musst dich mit ihnen auseinandersetzen. Ich war also nur in der Drogentherapiegruppe. Das war Ablenkung und zugleich ein kleines Kabarett. Ansonsten habe ich mich für alles, was irgendwie gegangen ist, angemeldet. Ich habe mich auch immer zum Arzt einschreiben lassen. Die Tabletten nahm ich aber nicht. Ständig wurde mir etwas verschrieben: Schlaftabletten, Antidepressiva und so. Da kommst du als Kiffer rein und gehst als Tablettensüchtler raus.

23 Stunden Zelle, 1 Stunde Hofgang. Der Alltag ist im Gefängnis so, dass du relativ früh geweckt wirst. Am Vormittag kann man eine Stunde raus gehen. Dann ist Mittagessen. Und dann macht man die ganze Zeit nichts. Oder man geht zum Arzt. Auch in die Kirche hätte ich gehen können. Nach meiner Einzelhaft wurde ich in eine Fünferzelle verlegt. 20 Quadratmeter, also rund vier für jeden, mit vergitterten Fenstern. Es sind dort nur Männer. Ich war einer der Jüngsten. Jünger war nur ein 14Jähriger, ein 16Jähriger und dann kam schon ich mit meinen 19 Jahren damals. Der Älteste war 74. Er ist auch wegen Gras gesessen. Seine Frau ist gestorben und hat ihm Schulden hinterlassen. Er war Pensionist, hatte keine Arbeit, hat nicht gewusst, wie er die Schulden zurückzahlen soll. Dann hat er Gras angebaut. Was sollte er sonst machen? Ich hatte immer normales Gewand an. In Eisenstadt gibt es keine Anstaltskleidung. Alle hatten normales Gewand an. Duschen konnten wir nur einmal in der Woche. Einmal, als wir zum Arzt gefahren wurden, waren zwei Ungarn mit. Sie wurden von den Aufsehern niedergemacht und als „Ausländer“ und „Scheiß Tschuschen“ beschimpft. Das war sehr heftig. Als Ausländer hast du es überhaupt schwieriger. Du kriegst keinen guten Anwalt, die Anwälte kommen teilweise nicht einmal. Dir wird ständig mit Abschiebung gedroht. Und wenn du Ausländer bist, halten sie dich auf jeden Fall bis zum Prozess in Untersuchungshaft. Viele haben auch gesagt, dass die Gefängnisse in Österreich beispielsweise im Vergleich zu Albanien viel schlimmer seien. Ich bin nicht dafür, dass man Menschen einsperrt – das war ich auch davor nicht. Aber es ist eine schwierige Frage. Vor allem bei MörderInnen, beispielsweise. Man sollte differenzieren: Zwischen Menschen, die anderen schaden, und Dingen wie dem Konsum von Marihuana. Und: Die Ausbildung von PolizistInnen und RichterInnen ist zu schlecht. Es wird viel zu unsorgfältig mit dem Leben von Leuten umgegangen. Wenn ich Geschichten höre, wie dass jemand nach 17 Jahren unschuldig entlassen wird – das darf einfach nicht passieren. Was willst du ihm geben, damit das jemals wieder gut ist? Das Schlimme an der U-Haft ist, dass du nie weißt, was los ist, was draußen passiert, wie lang du noch dort bist. Die Zeit vergeht extrem langsam. Sechs Wochen sind mir vorgekommen wie ein halbes Jahr. Einschlafen ist sehr schwer. Es gibt keine Bewegung, keinen Auslauf. Und auch das Kiffen ist weggefallen. In der Einzelhaft habe ich mich hingelegt, sobald es dunkel war. Dann sind vier Stunden vergangen, bis ich endlich eingeschlafen bin. Das kommt dir wie eine Ewigkeit vor.

Entlassung. Und dann war es aus, dann stehst du da. Was mach ich jetzt? Das war davor immer in weiter Ferne. Mir wurde ja oft gesagt, dass ich schon bald gehen könne. Das hat nie gestimmt. Wenn sowas passiert, hörst du auf, in kleinen Schritten und an die nähere Zukunft zu denken. Meine Entlassung war ganz plötzlich. Es hat geheißen, ich solle aus der Zelle raus, die Richterin möchte mich sehen. Als ich in ihr Büro kam, war sie nicht einmal da. Nur ihre Vertretung. Sie sagte, dass ich entlassen würde. Leiwand! Aber ich war auch völlig überrumpelt. Ich habe nur kurz meine Sachen geholt. Ich bin raus, hab meine Mama angerufen. Die hat’s gar nicht mehr gepackt. Und dann hat mich mein Vater abgeholt. Wir sind nach Hause gefahren. Pizza essen.“

Markus (25), Name von der Redaktion geändert, will anonym
bleiben. Nach der Untersuchungshaft wurde er zu einer
bedingten Haftstrafe verurteilt.

AutorInnen: Markus