Verlorenes Geld: Perus Pensionssystem

  • 30.05.2020, 22:31
In Peru wird seit fast 30 Jahren mit Pensionsgeldern spekuliert. Was macht Corona mit dem südamerikanischen Land? Eine kurze Reise über den Atlantik.

Während in Europa die Corona-Maßnahmen bereits gelockert werden, steigen im südamerikanischen Peru die Fallzahlen weiter an. Dabei bedroht das Virus nicht nur die wirtschaftliche Existenz vieler Menschen, sondern zeigt in der Krisensituation vor allem die Schwächen eines längst brüchigen Sozialsystems auf.

Gegensätze Schon bei meiner Ankunft in Peru bemerke ich sofort die Kluft zwischen arm und reich: einerseits halbfertige Häuser und Straßenhunde, andererseits Nobelviertel und Shoppingmalls. Ein Kulturschock, der mir noch länger in Erinnerung bleiben wird. Unzählige Marktverkäufer_innen bieten auf den Straßen ihre Produkte an, das Leben findet generell mehr draußen als drinnen statt. Mit Ausbruch der Corona-Epidemie hat sich der Zustand hier schlagartig verändert und zwingt mehrere Millionen Menschen in eine Notlage.

Inoffizielle Arbeit Laut INEI (Nationales Institut für Statistik und Informatik) befinden sich nur rund 30 Prozent der peruanischen Bevölkerung in einem festen Angestelltenverhältnis; der Rest arbeitet inoffiziell (ohne Anspruch auf Sozialleistungen und Krankenversicherung) unter anderem als Straßenverkäufer_innen, Betreiber_innen von Internetcafés oder im Tourismus. Letztere haben sicherlich am meisten mit den derzeitigen Einschränkungen zu kämpfen, da seit Bekanntwerden der Infektionskrankheit die Reisefreiheit fast zum Erliegen gekommen ist. Besonders in der Tourismusmetropole Cusco sind unzählige Reisebüros und Hostels von den Regelungen betroffen und müssen im schlimmsten Fall ihr Geschäft aufgeben.

Steigende Arbeitslosigkeit und eine grundsätzlich hohe Armutsquote konfrontieren die Regierung nun mit der Frage nach entsprechender finanzieller Unterstützung und bringen die Abgeordneten in Handlungszwang. Über Beihilfen und Förderungen für besonders gefährdete Familien hinaus umfasst der Corona-Notfallplan auch eine Freigabe von bis zu 25 Prozent der Pensionsfonds für Arbeiter_innen. Diese werden allerdings von privaten Institutionen verwaltet und sind zu großen Teilen in Aktien angelegt.

Spekulation mit der Pension In Peru stehen Arbeiter_innen vor einer überschaubaren Entscheidung bezüglich Pensionsvorsorge: AFP (Privater Pensionsfonds) oder ONP (Staatlich standardisierte Renten). Während die ONP gleichbleibende, aber relativ niedrige Renten bezahlt, legt die AFP das Geld während der Berufstätigkeit in Aktien an und verdient gleichzeitig – selbst bei Wertverlust – noch per Provision mit. Ab der Pensionierung mit 65 Jahren wird das Geld in der Regel in Raten ausgezahlt, die auf eine Lebensdauer von 110 Jahren ausgelegt sind – wer vorher stirbt, hinterlässt der AFP den Rest. Angesichts der niedrigen Lebenserwartung und zusätzlicher Kooperationen mit den größten Banken Perus sollte damit die finanzielle Ausgangslage dieser Institutionen erklärt sein.

Rodrigo, ein befreundeter Peruaner, hat nach zwei Jahren Berufstätigkeit bei einer staatlichen Organisation gekündigt und ist nun seit vier Jahren arbeitslos. Auf das damals angesparte Geld darf er erst mit 65 Jahren zugreifen – bis dahin verwahrt die AFP seine Pension und investiert das Geld in verschiedenste Aktien. Als ich ihn nach dem bereits eingezahlten Pensionsgeld frage, antwortet er nur: „Für mich ist es verlorenes Geld.“

Unterstützung „poco a poco“ Am 3. April 2020 wurden erstmals 2.000 Soles (ca. 535 Euro, Stand 20.5.2020) pro Person zur Behebung freigegeben, künftig soll dieser Betrag auf bis zu 25 Prozent des Gesamtvolumens erweitert werden. Zwei Notfall-Gesetze regeln dabei den verfügbaren Betrag: Wer in den letzten sechs Monaten vor der Krise in den Pensionsfonds eingezahlt hat, darf auf einen höheren Betrag zugreifen. Arbeitslose und finanziell bedürftige Personen erfahren insofern zusätzlich zum fehlenden Gehalt eine Benachteiligung durch niedrigere Auszahlungen.

Das benötigte Geld liegt allerdings vorerst nur in Aktien gebunden vor und muss erst von den Institutionen zur Verfügung gestellt werden, in der Regel durch Verkauf – oder etwa nicht?

Die AFP als Gewinner Bei den tiefen Börsenkursen im Moment würde der Aktienverkauf für die AFP einen großen Verlust bedeuten, weshalb die peruanische Zentralbank mit einem Zuschuss von rund 30 Milliarden Soles eingreift. Somit bleiben die Aktien in Besitz der Organisationen, während die Pensionszahler_innen durch die Barbehebung ihre Rechte daran abgeben. „Auf lange Sicht profitiert hier die AFP“, erklärt Gerardo, der 14 Jahre lang im Bauingenieurswesen gearbeitet hat. „Die Aktien werden im Laufe der Jahre an Wert gewinnen, wodurch der heute ausbezahlte Betrag fast lächerlich erscheint.“

Reform Das peruanische Pensionssystem existiert bereits seit 1993 in dieser Form, die Notwendigkeit einer Adaption wird nun durch die Corona-Krise sichtbar. „Das Pensionssystem muss unbedingt reformiert werden“, findet nicht nur Alex Fernando, der als selbstständiger Programmierer seinen Lebensunterhalt verdient; auch Präsident Martín Vizcarra hat bereits Pläne zur Überarbeitung vorgelegt. Darin spricht er von einer Kommission aus Wirtschaftsexpert_innen, die über detailliertere Maßnahmen entscheiden sollen. Dass diese voraussichtlich erst mit Ende seiner Amtsperiode umgesetzt werden, erscheint wohl nebensächlich. Alex Fernando wagt einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft: „Die AFP sollte künftig bei Aktienverlusten keine Provision mehr einheben und die Ratenzahlungen realistischer an die Lebenserwartung anpassen. Wer wird denn schon 110 Jahre alt?“

https://www.inei.gob.pe https://www.gob.pe http://asociacionafp.pe

AutorInnen: Teresa Schulz