Union, Eurasien, Abendland

  • 20.03.2019, 14:00
Das Europa-Bild der (Neuen) Rechten ist geprägt durch diffuse Kampfbegriffe und die Ablehnung der Europäischen Union. Ein Überblick.

Es war Mitte Februar dieses Jahres, als der ungarische Premier Viktor Orban die Europäische Union in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation massiv angriff. Orban, der von Rechten in ganz Europa als Vorreiter einer autoritären Wende neidisch beäugt wird, sprach von der anstehenden EU-Wahl als „letzte Schlacht“ gegen jene „Hochburg der Internationalen“1 in Brüssel, die mit Hilfe ihrer migrationsfreundlichen Politik die Zersetzung des christlichen Europas vorantrieben würde. Die Mobilisierung antikommunistischer Ressentiments mag bei Vertreter_innen der Neuen Rechten ein eher osteuropäisches Spezifikum sein, die feindliche Haltung gegenüber der Europäischen Union ist es nicht. Im politischen Milieu der Neuen Rechten ist „die ablehnende Haltung gegen die Europäische Union, ihre Institutionen und Regeln wesentlich verbreitet“2, wie der deutsche Politikwissenschaftler Volker Weiß ausführt. Die Union steht für einen den Rechten tief verhassten Liberalismus, Minderheiten- rechte und „Gleichmacherei“. Nicht zuletzt äußert sich das in schmähenden Wortkreationen wie „Gay- ropa“ oder „EUSSR“. Als Gegenbild dazu wird, zum Beispiel von den Identitären, eine „jahrtausendealte Völkerfamilie Europas“ heraufbeschworen und zur Verteidigung eines „gemeinsamen abendländischen Wertekanons“3 aufgerufen. Wie schwammig und ahistorisch solche Begriffe – auf die sich das Europabild der Neuen Rechten stützt – sind, wird besonders anhand des Begriffs Abendland deutlich.

Mythos Abendland. 

Ob als Teil eines FPÖ- Wahlslogans, als zentrales Narrativ der neofaschistischen Identitären oder als namensgebendes Element für PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) – der Begriff vom Abendland scheint seit einigen Jahren zunehmend strapaziert zu werden, wenn Rechte über Europa sprechen. Dabei ist der Begriff an sich so alt, wie er inkonsistent ist. In seinem äußerst lesenswerten Buch „Die Autoritäre Revolte“ beleuchtet Volker Weiß die überaus wandelbare Geschichte eines Begriffs, der vor allem während der vergangenen 100 Jahren eine Renaissance erlebt hat. Heute dient der Begriff Abendland in der Rhetorik der Neuen Rechten vor allem zur Abgrenzung von seinem vermeintlich islamischen Pendant, dem Morgenland. Dabei wurde der einst vordergründig religiös geprägte Begriff im Sprachgebrauch der Neuen Rechten kontinuierlich verfälscht. Die Geburtsstunde des Abendland-Mythos ist zurückzuführen auf das („morgenländische“) Schisma des Jahres 1054, also die Spaltung des christlichen Europas in einen römisch-katholischen West- und einen orthodoxen Ost-Teil. Dem römisch-katholischen Abendland im Westen stand fortan der byzantinische Osten entgegen. Dieser umfasste auch Länder wie Ungarn und große Teile des Balkans. Über die Jahrhunderte erfuhr der Begriff mehrere Bedeutungsverschiebungen, wobei er vor allem ab dem Ende des Ersten Weltkrieges wieder an Popularität gewann. Zu dieser Zeit wurde der Begriff etwa von Oswald Spengler – einer Ikone der Neuen Rechten – ebenso aufgegriffen wie von vielen anderen, um gegen die junge Sowjetunion im Osten bzw. den Liberalismus im Westen zu mobilisieren. Auch im Faschismus und Nationalsozialismus fand der Begriff Gebrauch. Dass man es mit der religiösen Bedeutung inzwischen nicht mehr so genau nahm, zeigt unter anderem der Einsatz von muslimischen Verbänden in der Armee Francos oder die Existenz einer muslimischen SS-Division. Nach Ende des Krieges wurde der Begriff zu einem integrativen Element in der anti-sowjetischen Rhetorik des Kalten Krieges, mit der sich auch viele (ehemalige) Nationalsozialist_innen identifizieren konnten. Dieser Logik folgend wurde nun auch plötzlich der angloamerikanische Raum dem imaginierten Abendland zugeschlagen.

Schon ein kurzer Blick auf die widersprüchliche Geschichte des Begriffs Abendland offenbart also sein Naturell als schwammiger Kampfbegriff, der vom rechten bis rechtsextremen Milieu recht beliebig mit verschiedensten Bedeutungen aufgeladen wird. Eine unter Umständen unerwartete Umdeutung erfuhr der Begriff in letzter Zeit.

Wunschvorstellung Eurasien. 

Seit einigen Jahren hat die Neue Rechte ihren Blick auf der Suche nach Verbündeten – für viele durchaus unerwartet – nach Osten gerichtet. Was folgte, war sozusagen eine Osterweiterung des Abendlandes. So wurde nicht zuletzt der russische Präsidenten Wladimir Putin als neues Idol entdeckt. Putins Russland, in dem Oppositionelle verfolgt werden und „homosexuelle Propaganda“ unter Strafe steht, gilt den Rechten – von PEGIDA bis zur FPÖ – als Verbündeter im Kampf gegen den vermeintlich verweichlichten Westen und seine liberalen Wertevorstellungen. Aber auch auf Länder wie Ungarn und Polen blickt man in der Neuen Rechte plötzlich mit Bewunderung. Hinter dieser Bewunderung, die sich nicht zuletzt aus der rigorosen Anti-Migrationspolitik dieser Länder, dem autoritären Führungsstil der jeweiligen Regierungen oder antisemitischen Kampagnen wie jener gegen George Soros speist, steht die Theorie eines „neo-eurasischen“ Großraums.

Der womöglich bekannteste Vertreter dieser Ideologie, deren Ziel als der Bruch Europas mit der westlichen Gesellschaft und seine Einverleibung
in eine (groß-)russische Föderation definiert wird, ist der russische Rechtsextremist Alexander Dugin. Wie gefragt Dugins Ideen auch in Österreich sind, zeigt nicht zuletzt seine Vernetzung mit heimischen Strukturen. So war Dugin laut der rechtsextremen Webplattform Unzensuriert bereits 2009 Gast am WKR-Ball, Aktivist_innen, die dagegen protestierten, nannte er „Menschenmüll“4. Im unmittelbaren Vorfeld des Akademikerballs, der Nachfolgeveranstaltung des WKR-Balls, hielt Dugin 2018 einen Vortrag in Wien. Eingeladen hatte das Suworow-Institut, das laut Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands eine „nationalistische, antiliberale und antiwestliche Agenda“5 verfolgt. Das auch die Identitäre Bewegung Dugin und dem „neo-eurasischen“ Milieu nahesteht, dürfte demnach wenig verwundern. Noch im Februar kam es zu einem Personalwechsel an der Spitze des Suworow-Instituts. Der bisherige Geschäftsführer Patrick Poppel legte sein Amt zurück und übergab dieses an den bisherigen Pressesprecher Alexander Markovics. Bevor er entmachtet und zur „Theorie AG“ abgeschoben wurde, war Markovics von 2013 bis 2015 Obmann der Identitären Bewegung Österreich. In seiner Antrittsrede als neuer Geschäftsführer des Suworow-Instituts prangert Markovics sogleich an, dass „die Bildung ein sehr wichtiger Bereich ist, der eben leider gerade von patriotischen Gruppen in Österreich zum Teil sehr stark vernachlässigt wird“6. Ein überraschend schwach verklausulierter Seitenhieb auf seine ehemaligen Kamerad_innen. Auch die FPÖ fällt immer wieder durch Berührungspunkte mit Dugin und Konsort_innen auf. So nahmen Vizekanzler Heinz-Christian Strache und der geschäftsführende Klubobmann Johann Gudenus 2012 auf Einladung eines russischen Oligarchen an einer nicht-öffentlichen Tagung in Wien teil, bei der auch Alexander Dugin anwesend war.

Ideologisch ist die zunehmende Popularität einer „neo-eurasischen“ Idee insofern interessant, als dass die Entdeckung Osteuropas und Russlands als po- tentielle Verbündete des rechten Randes im krassen Widerspruch zum Abendland-Mythos des 20. Jahrhunderts steht. So galt der Osten den Rechten lange als Brutstätte des Bolschewismus, als Kontinent der „mongolischen Barbaren“ und – in der Rassenideologie der Nationalsozialist_innen – als Heimat der „slawischen Untermenschen“. Die Bewohner_innen der Sowjetunion galten dem Nationalsozialismus als unwertes Leben, das nach der Eroberung der entsprechenden Gebiete vertrieben, versklavt oder ermordet werden sollte. Dieses Vorhaben manifestierte sich unter anderem im sogenannten „Gene- ralplan Ost“, der eine umfassende „Säuberung“ und „Germanisierung“ der Gebiete vorsah. Das national-sozialistisch geprägte Bild vom „slawischen Unter- menschen“ und von der Bedrohung aus dem Osten hatte auch nach 1945 lange Hochkontur im Europa-Bild der (Neuen) Rechten.

In Brüssel gegen Brüssel.

Trotz der ablehnenden Haltung, mit der das neu-rechte Milieu der Europäischen Union und ihren Institutionen gegenübersteht, könnte die bevorstehende EU-Wahl genau dort eine massive Stärkung mit sich bringen. Das hängt unter anderem davon ab, ob der Austritt Großbritanniens aus der Union bis dahin in trockenen Tüchern ist oder die britischen Parteien tatsächlich noch einmal an der Wahl teilnehmen. So oder so werden sich einige Parteien nach neuen Fraktionen umsehen, unter anderem die polnische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) oder die Schwedendemokraten, bisher beide in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) beheimatet. Bei Viktor Orbans und seiner Fidesz wird über einen Austritt bzw. Ausschluss aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) spekuliert. Zuletzt verließ die Kroatische Bauernpartei (HSS) aus Protest gegen Orban die EVP.

Bisher ist die Rechte auf EU-Ebene in drei Fraktionen zersplittert. Daraus – so hofft auch der FPÖ- Spitzenkandidat Harald Vilimsky – könnte nach der Wahl eine geeinte Rechtsfraktion hervorgehen, die sich sogar Hoffnungen auf den Platz als zweitstärkste Partei im EU-Parlament machen dürfte. Die FPÖ ist bisher der Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF) zugehörig, gemeinsam etwa mit der französischen Rassemblement National (ehemals Front National) und der italienischen Lega Nord. Als Gesicht der neuen Fraktion hat sich der italienische Innenminister Matteo Salvini von der Lega Nord ins Spiel gebracht. Ein wesentlicher Punkt, der über die Chancen auf den zweiten Platz entscheiden könnte, ist nicht zuletzt die Frage nach der Positionierung gegenüber Russland. Während beispielsweise die französischen, niederländischen und österreichischen Mitglieder der ENF die Sanktionen gegenüber Russland abbauen wollen und teils gute Kontakte zum russischen Regime unterhalten, fordern die polnische PiS sowie einige Rechtsparteien in den baltischen Staaten genau das Gegenteil.

Vincent Perle studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien.

1 Die Presse. 11.02.2019. Orbán wettert gegen EU und spricht von „finaler Schlacht“. URL: https://diepresse.com/home/ausland/eu/5577451/Orban- wettert-gegen-EU-und-spricht-von-finaler-Schlacht [07.03.2019]

2 Volker Weiß (2017). Die Autoritäre Revolte. Klett-Cotta: Stuttgart. S. 155.

3 Identitäre Bewegung Österreich. Für eine Zukunft Europas. URL: https://www.identitaere-bewegung.de/kampagnen/identitaet/ [07.03.2019]

4 Die Presse. 03.06.2014. Rechte Allianz: Geheimes großrussisches Treffen in Wien. Verfasst von Jutta Sommerbauer. URL: https://diepresse.com/home/innenpoli- tik/3815827/Rechte-Allianz_Geheimes-grossrussisches-Treffen-in-Wien [07.03.2019]

5 Der Standard. 31.07.2016. Sputnik, FPÖ, Identitäre: Russisch-rechtes Rendezvous in Wien. Verfasst von Fabian Schmid, Markus Sulzbacher. URL: https://derstandard.at/2000042003825/Sputnik-Gudenus-Identitaere- Russisch-rechtes-Rendezvous-in-Wien [07.03.2019]

6 Rede von Alexander Markovics zur Zukunft des Suworow Instituts: https://www.youtube.com/ watch?v=cUZvzyaVhnU [07.03.2019]

 

AutorInnen: Vincent Perle