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Lobbyismus ist praktisch die einzige Möglichkeit, um in der EU-Politik mitzureden, sagt die Politologin Pia Eberhardt. Wie das funktioniert? Ein Interview.
Lobbyismus ist praktisch die einzige Möglichkeit, um in der EU-Politik mitzureden, sagt die Politologin Pia Eberhardt. Wie das funktioniert? Ein Interview.
PROGRESS: LobbyistInnen vertreten Firmeninteressen in der Kommission und im EU-Parlament. Was ist so schlimm daran?
EBERHARDT: Lobbyismus ist nicht per se schlimm. Er bedeutet im Grunde nur die organisierte Vertretung von Interessen – also bestimmte Meinungen in das politische System einzubringen. Das hat es schon immer gegeben. Problematisch ist aber, welche Rolle der Lobbyismus auf EU- Ebene in Brüssel spielt. Dort spielt die Wirtschaft eine überdimensionale Rolle, sehr viel stärker als auf nationaler Ebene. Es gibt keine öffentliche Debatte auf europäischer Ebene, denn die spielt sich fast nur auf nationaler Ebene ab. Lobbyismus wird damit praktisch zur einzigen Möglichkeit, Inputs in das politische System einzubringen.
Aber versuchen nicht auch Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft die EU-Politik zu beeinflussen?
Gewerkschaften und Arbeitnehmerverbände sind zwar auch präsent, aber nicht so stark wie in der österreichischen Sozialpartnerschaft. Es gibt keine genaue Zahl, aber rund 70 Prozent der Lobbyisten in Brüssel vertreten Kapitalinteressen, das ist schon ein krasses Ungleichgewicht der Kräfte. Die andere Frage ist, um welche Interessen sich der EU-Apparat überhaupt kümmert. Gehört zu werden, spielt eine große Rolle. In vielen Politikfeldern bindet die Kommission die Gewerkschaften einfach nicht ein, oder erst, wenn alles schon entschieden ist.
Die Interessen von Industrie und Finanz dominieren also in Brüssel. Auf welche Art nehmen die LobbyistInnen dieser Branche in Brüssel Einfluss?
Sie haben ein breites Arsenal an Instrumenten. Das geht von ganz normalen Treffen mit Beamten, Netzwerke aufbauen, Leute anrufen bis zum Verfassen von Positionspapieren. Gerade im Parlament ist es wichtig, Informationen auf wenig Raum und gut verständlich zusammenzufassen. Die Abgeordneten werden mit einem Wust an Entscheidungen konfrontiert; die Lobbyisten erklären ihnen kompakt auf einer DIN-A4-Seite, worum es bei dieser oder jener Abstimmung ihrer Meinung nach geht. Das macht außer ihnen sonst kaum jemand in Brüssel. Diese Informationen werden auch von den Beamten in der Kommission genützt.
In ihrer Arbeit organisieren Lobbyisten zudem Vorträge und Veranstaltungen und geben vermeintlich wissenschaftliche Studien in Auftrag, die in Insider-Medien im Umfeld der EU besprochen werden. Sie gestalten damit öffentliche Diskurse und bestimmen mit, was an den Stammtischen im Brüsseler EU-Viertel geredet wird.
Auf welche Art unterscheiden sich solche Geflechte denn noch von Korruption?
Wir wissen von einigen Fällen von Korruption. Etwa einem deutschen Beamten in der Generaldirektion Handel, dem britische Journalisten undercover hunderttausend Euro angeboten haben. Das ergab dann eine große Aufdecker-Story in der Sunday Times. Solche Fälle sind aber die Ausnahme. Es geht meist um ganz legale, institutionalisierte Einflussnahme. Trotzdem, in beiden Fällen spielt der Faktor Geld eine Rolle. Alle Lobbyisten arbeiten für Geld. Und natürlich haben diejenigen, die mehr Geld zur Verfügung haben, auch mehr Einfluss. So scharf würde ich die Grenze zwischen Korruption und Lobbyismus nicht ziehen.
Die EU-Kommission formuliert die Gesetze, wird aber ständig von LobbyistInnen hofiert. Ist die Politik deswegen ein Opfer dieser Interessensvertretungen?
Nicht immer, die Kommission organisiert sich zum Teil ihre eigenen Lobbystrukturen, dafür gibt es konkrete Beispiele. Etwa hat die Kommission bei großen Konzernen angerufen und europaweite Treffen von Industriebereichen ins Leben gerufen, die es vorher nicht gab. Denn wenn sie die Industrie im Boot haben, haben sie ein ganz wichtiges Druckmittel gegenüber einzelnen Mitgliedsstaaten, um ihre Vorschläge durchzusetzen. In vielen Fällen muss man sich das so vorstellen, dass die Kommission fast kollegial mit Lobbyisten von Konzernen zusammenarbeitet. Oft entstehen gemeinsame Positionen einer Branche erst, indem die EU-Kommission sie abfragt.
Manchmal werden die PolitikerInnen nach ihrer Amtszeit selbst zu LobbyistInnen. Etwa sitzt nun der österreichische Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel im Aufsichtsrat des deutschen Atomkonzerns RWE. Gibt es das auch in Brüssel?
Solche „Drehtür-Effekte“ gibt es in Brüssel noch viel häufiger als auf nationaler Ebene, weil es keinen öffentlichen Aufschrei gibt. Hohe Kommissionsbeamte regulieren oft heute noch einen bestimmten Bereich und arbeiten morgen schon im selben Feld für die Industrie. Das ist problematisch. Man fragt sich: Was hat der in seiner Zeit als Beamter getan, um den Job zu bekommen. Diese Leute nehmen ihre Netzwerke mit, die wissen genau, wer welche Kompetenzen hat und wie der Apparat funktioniert. Die Industrie will diese Leute haben.
Die KapitalvertreterInnen haben aber nicht nur konkrete Interessen. Sie entwickeln auch Vorstellungen, wie es mit der Europäischen Union als ganzes weitergeht. Wie sehen die aus?
Es gibt bestimmte Gruppen, die strategisch planen. Die bekannteste ist der European Round Table of Industrialists, ein informeller Zirkel, der aus vier Dutzend Konzernchefs und einer Konzernchefin besteht. Er war ein entscheidender Vordenker für die Währungsunion, für die folgenden Marktliberalisierungen und für die Lissabon-Strategie. Er hat aber schon Jahre vorher begonnen, die Wettbewerbsfähigkeit als zentrales Konzept für Europa zu platzieren. Gruppen wie diese haben die Kapazität, darüber nachzudenken, wo die Union in zwanzig Jahren stehen soll und ihre Botschaft in den politischen Raum zu streuen. Die Konzernchefs arbeiten ganz strategisch am Projekt Europa. Sie haben erkannt, dass es wichtig ist, Ressourcen für die langfristige Planung freizumachen. Bei linken Parteien und Gewerkschaften gerät das oft im Alltagsgeschäft unter die Räder.