Sicher, sauber, unerwünscht
Immer wieder werden Rufe nach einem Drogenkonsumraum in Wien laut. Die positiven Auswirkungen einer solchen Einrichtung zeichnen sich in Deutschland und der Schweiz deutlich ab. Trotzdem stehen die Chancen für die Realisierung eines derartigen Projekts in Wien schlecht.
Immer wieder werden Rufe nach einem Drogenkonsumraum in Wien laut. Die positiven Auswirkungen einer solchen Einrichtung zeichnen sich in Deutschland und der Schweiz deutlich ab. Trotzdem stehen die Chancen für die Realisierung eines derartigen Projekts in Wien schlecht.
Die Lifttür geht auf und vor Matthias und Jo klebt eine Kackwurst in einer Lache Urin am Kellerboden. Wer macht sowas, fragen sich die beiden. Wenige Schritte weiter steht ein schwarzer Rucksack, daneben ein Paar Lederschuhe. Auf einem Prospekt liegen ordentlich aufgelegt zwei Spritzen und ein paar blutige Taschentücher.
Es ist nicht das erste Mal, dass in diesem Haus in der Millergasse nahe dem Westbahnhof einE SuchtkrankeR übernachtet hat. Immer wieder passiert das in Wien; zuletzt berichtete der Falter von einem ähnlichen Fall in der Novaragasse im zweiten Bezirk. Auch Hamid* kennt diese Situation – aber aus einer anderen Perspektive: Früher hat er selbst oft in Kellern übernachtet, in Telefonzellen gespritzt: „Wo hätte ich hingehen sollen? Ich war Tag und Nacht unterwegs und wollte meinen Schmerzen entkommen.“ Die Frauen und Männer aus der Straßendrogenszene suchen einen ruhigen Ort, um sich einen Schuss zu setzen. Oft bleiben gebrauchte Spritzen und Kanülen oder sogar Fäkalien in Kellern, Telefonzellen oder öffentlichen Toiletten zurück. So ein Fund kann mehr als unangenehm sein: Wer sich mit einer Spritze sticht, kann sich noch ein paar Stunden nach ihrem Gebrauch mit HIV infizieren – mit Hepatitis C sogar bis zu drei Tage lang.
Mit einem Konsumraum könnte diese Situation verbessert werden: Dort können Suchtkranke unter medizinischer Aufsicht Drogen nehmen und das Spritzbesteck sicher entsorgen. Sie bieten KonsumentInnen menschenwürdige und hygienische Bedingungen für ihren Drogenkonsum und schützen Unbeteiligte vor Infektionen. SozialarbeiterInnen und Krankenpflegepersonal sind ständig vor Ort, um im Notfall eingreifen zu können. Dadurch sinkt die Zahl der Drogentoten, Infektionen mit HIV und Hepatitis gehen zurück und es wird weniger im öffentlichen Raum konsumiert. In Deutschland und der Schweiz gibt es Konsumräume bereits seit Jahrzehnten, in Österreich hingegen fehlt ein solches Angebot.
Lokalaugenschein Berlin. An den Wänden stehen sechs kleine Tische, davor jeweils ein Sessel. Über jedem Platz hängt ein Spiegel. Ein gelber Mistkübel, Feuerzeug und Schere gehören ebenfalls zur Ausstattung eines jeden Tisches. Die Wände sind aus Hygienegründen zur Hälfte gefliest, der Rest ist in einem freundlichen Orange gestrichen. Ein wenig erinnert der Raum in der Reichenberger Straße in Berlin-Kreuzberg an einen Friseursalon. Sein Verwendungszweck ist ein anderer: Es handelt sich um einen Drogenkonsumraum. Derzeit gibt es in Berlin zwei solche Räume sowie ein Drogenkonsummobil, das an unterschiedlichen Orten der Stadt Halt macht.
Das Suchthilfezentrum SKA mit Konsumraum gibt es in Kreuzberg seit Jänner. Die Einrichtung liegt ungefähr 15 Gehminuten vom Kottbusser Tor, einem zentralen Treffpunkt der Berliner Drogenszene, entfernt. Hier können DrogenkonsumentInnen nicht nur unter hygienischen Bedingungen konsumieren, sondern auch Spritzen tauschen, sich medizinisch behandeln und juristisch beraten lassen. Außerdem können sie ihre Wäsche waschen, duschen, essen oder einfach nur Zeit im Aufenthaltsraum verbringen.
Zielgruppe von Konsumräumen ist vor allem die offene Straßenszene, der in Berlin etwa 800 Leute angehören. Viele KlientInnen sind arbeitslos, haben keine fixe Unterkunft und kein soziales Netz, das ihnen Rückhalt bietet. Meist sind die Drogen Selbstmedikation, um Probleme zu vergessen. In Einrichtungen wie in der Reichenberger Straße gibt es kein „du musst clean werden“, um das Angebot nutzen zu dürfen. Durch eine „akzeptierende“ Form der Drogenarbeit soll eine soziale und medizinische Grundversorgung gesichert werden, um später mit den KlientInnen ein Betreuungsverhältnis aufbauen zu können.
Zunächst muss die Hilfe aber angenommen werden. Einen Monat nach der Eröffnung in der Reichenberger Straße nehmen vorerst nur wenige das Angebot in Anspruch. „Wir wissen aus Erfahrung, dass Projekte wie dieses eine lange Anlaufzeit haben. Es muss sich erst herumsprechen, dass und wo es uns gibt“, sagt Sozialarbeiter Dennis Andrzejewski von der SKA. Die Abkürzung steht für Streetwork, Koordination und Akzeptanz. Letztere wird solchen Einrichtungen nicht immer entgegengebracht.
Die NachbarInnenschaft. Früher befand sich das Suchthilfezentrum in unmittelbarer Nähe zum Kottbusser Tor, bis im Jahr 2009 der Mietvertrag nicht mehr verlängert wurde und die Einrichtung einer Spielautomatenhölle weichen musste. Zweieinhalb Jahre hat die Suche nach einer neuen Unterkunft gedauert. Der Kontakt zu den KonsumentInnen ist dabei weitgehend abgebrochen: Ohne fixen Raum erreichte die SKA 96 Prozent weniger KlientInnen. Als man die Reichenberger Straße ins Auge fasste, wurde dort eine BürgerInneninitiative gegen den Drogenkonsumraum gestartet. Nach einer ersten, gut besuchten Informationsveranstaltung zum Thema seien nur noch wenige der kritischen Geister zu einem weiteren offenen Abend gekommen, so Andrzejewski. „Eine Drogenhilfeeinrichtung macht Probleme sichtbar, aber zieht sie nicht an“, aber aus Sicht des Sozialarbeiters besteht viel Unwissenheit: Die Leute hätten Angst, dass der Konsumraum DealerInnen und Suchtkranke anziehe und Kinder zum Drogenkonsum verführe. Laut einer Evaluation des zweiten Konsumraums in Berlin, der Birkenstube, trifft das nicht zu: Bei derartigen Einrichtungen gibt es keine Szeneverlagerung vor den Raum und auch die Kriminalität im Grätzel steigt nicht. Trotzdem haben einige AnrainerInnen weiterhin Probleme mit dem Projekt. „Letzte Woche hat jemand den Aufsteller vorm Eingang umgetreten“, erzählt Andrzejewski.
Zurück nach Wien. Diese ablehnende Haltung gibt es auch in Wien. Der Ganslwirt ist die wohl bekannteste Drogenberatungsstelle der Stadt. Wie in Berlin gibt es dort eine multiprofessionelle Betreuung: Von der Grundversorgung über Spritzentausch und rechtliche Beratung bis hin zur Substitutionstherapie – nur konsumieren dürfen die KlientInnen nicht. Bedarf wäre aber durchaus da: Die Wiener Straßenszene besteht aus 300–500 Menschen, täglich werden im Ganslwirt und seiner Nebenstelle, dem TaBe-NO 7.000 Spritzen getauscht. Obwohl es im Vergleich zu der Anzahl der getauschten Spritzen relativ wenig Beschwerden gibt, scheint die Gesellschaft die Sucht nach illegalen Drogen noch nicht als Krankheit akzeptiert zu haben: KonsumentInnen werden als „Junkies“ oder „Giftler“ stigmatisiert und wie Kriminelle behandelt. „Bei Sucht handelt es sich um eine chronische Krankheit. Sie ist behandelbar, aber nicht immer heilbar und die KonsumentInnen sind nicht selbst schuld“, erklärt Christine Tschütscher, Geschäftsführerin des Vereins Dialog, der größten ambulanten Suchthilfeeinrichtung in Österreich. Der Weg aus der Sucht ist ein langwieriger Prozess: „Abstinent zu werden, ist dabei nicht der erste Schritt. Die Person und ihre Lebenssituation muss zuerst stabil sein“, so Tschütscher. Um Entzugserscheinungen zu verhindern und die KonsumentInnen aus der Beschaffungskriminalität zu holen, werden Substitutionstherapien verschrieben. So wird auch das Risiko eingedämmt, dass die Ware verschmutzt ist oder eine Infektion stattfindet. „Substituierte KlientInnen können ein ganz normales Leben führen. Eine/r ihrer KollegInnen könnte substituiert sein, Sie würden es nicht merken.“ Etwa 7.700 Menschen werden im Moment in Wien substituiert. In Berlin sind es „nur“ 4.000. Und das, obwohl in beiden Städten 10.000–12.000 Opiatabhängige leben. „Deutschland hat trotz massiver Opiat-Probleme erst zehn Jahre nach Österreich mit der Substitution begonnen und anfangs auch nur die Schwerstkranken behandelt“, erklärt die Wiener Drogenkoordination.
Was fehlt. Eines kann ein Substitut nicht ersetzen: Den Kick, den nur die Nadel bringt. Einige brauchen Jahre, um loszukommen. Andere schaffen es nie. Die Initiative Drogenkonsumraum ist überzeugt davon, dass ein Konsumraum in Wien diesen Menschen helfen würde. Ihre Mitglieder kennen die Probleme der Szene aus erster Hand: SozialarbeiterInnen, StreetworkerInnen, Angehörige und KonsumentInnen, darunter auch Hamid. Seit mittlerweile drei Jahren macht er eine Substitutionstherapie, lebt mit seiner Frau und seinem Sohn: „Drei Jahre und vier Monate ist er alt“, erzählt er stolz. Damals, als er noch an der Nadel hing, hätte er lieber einen Konsumraum genutzt, als die Häuser fremder Leute.Ein solches Angebot wird es in Wien trotzdem noch länger nicht geben. „Das Problem ist zu klein, als dass es einen Schulterschluss der Interessensgruppen gibt“, erklärt Alexander David, Drogenbeauftragter der Stadt Wien. Die Politik müsste zustimmen und die Justiz den Konsumraum gesetzeskonform machen. Außerdem müsste die Polizei ein eigenes Konzept entwerfen, wie mit Suchtkranken im Areal um den Konsumraum umgegangen wird und die Medien müssten diesen Prozess mittragen. Kurzum: Es müsste einen gesellschaftlichen Konsens geben. Der fehlt bisher in Wien: „Am Platzspitz in Zürich lungerten täglich rund 2.000 KonsumentInnen herum, da konnte niemand mehr wegsehen. Am Karlsplatz waren es an warmen Tagen ungefähr 200. Die Konsumräume in der Schweiz und in Deutschland sind aus einer Notoperation am verpfuschten Patienten entstanden, durch jahrelange verfehlte Drogenpolitik. Das gab es in Wien nie“, so David. Die Szene am Karlsplatz, die gibt es auch nicht mehr. Man habe sie aufgelöst, um eine ganz bestimmte Form von offenem Drogenhandel zu unterbinden. Die „Kinder vom Karlsplatz“ seien durch den Ganslwirt und TaBeNo aufgefangen worden.
Die Initiative Drogenkonsumraum teilt diese Meinung nicht: „Wir haben Rückmeldungen von StreetworkerInnen, dass viele Betreuungsverhältnisse zerbrochen sind. Die Szene wurde aus diesem öffentlichen, touristischen Umfeld vertrieben. Die Konsequenzen müssen die KonsumentInnen tragen.“ Auch seien nicht alle Konsumräume aus einer „Notoperation“ heraus entstanden: „Für Zürich mag das stimmen, aber in Ländern wie Kanada und Australien sind die Räume später entstanden und unter anderen Voraussetzungen.“ In einem sind sich David und die Initiative aber einig: Die gesellschaftliche Akzeptanz fehlt – in der öffentlichen Meinung sind KonsumentInnen immer noch kriminell und nicht chronisch krank. „Aber wer, wenn nicht der Drogenbeauftragte sollte Verantwortung übernehmen, diese Meinung zu kippen?“, heißt es seitens der Initiative.
* (Name geändert)
Link: Initiative Drogenkonsumraum Wien: http://i-dk.org