Selbstverwirklichung statt Pensionsschock
Rund fünf Prozent aller Studierenden in Österreich sind SeniorInnen. Claudia Aurednik hat mit Gerti Zupanich (73), Herta Spitaler (74) und Walter Waber (67) über ihre Erfahrungen an der Universität gesprochen. Drei Kurzportraits.
Rund fünf Prozent aller Studierenden in Österreich sind SeniorInnen. Claudia Aurednik hat mit Gerti Zupanich (73), Herta Spitaler (74) und Walter Waber (67) über ihre Erfahrungen an der Universität gesprochen. Drei Kurzportraits.
„Beim ersten Sehr Gut habe ich damals einen Luftsprung gemacht!“, erinnert sich Gerti Zupanich (73): „Denn bei der Prüfung war nicht stures Auswendig lernen, sondern das Reflektieren von Zusammenhängen gefragt.“ Die lebenslustige rothaarige Powerfrau hatte 1996 mit dem Studium der Politikwissenschaft begonnen und sich damit einen Lebenstraum erfüllt. Noch heute schwärmt sie von ihrem Hauptstudium und der selbst gewählten Fächerkombination aus Geschichte, Soziologie, Publizistik und Gender-Forschung: „Das hat alles so gut zusammengepasst und richtig Spaß gemacht.“ Schmunzelnd erinnert sie sich an den Studienalltag und die jungen StudienkollegInnen, die sie damals wegen ihrer exakten Mitschriften schätzten. „Gerti, du hast doch das letzte Mal mitgeschrieben? Darf ich mir eine Kopie davon machen?“ – diese Fragen waren der Beginn von Freundschaften, die bis heute andauern. Eigentlich wollte Gerti immer studieren. Doch als sie jung war, konnte sie sich ein Studium aus finanziellen Gründen nicht leisten. Und auch ihre Mutter war mit einem Studium nicht einverstanden. Ein Schicksal, das sie mit vielen Frauen ihrer Generation teilt: „Eine Frau heiratet eh, die braucht nicht studieren. Das entsprach dem damaligen Gesellschaftsbild.“ Während ihrer Tätigkeit in der ÖH Uni Wien als Studierendenberaterin für ältere Studierende hat sie festgestellt: „Seniorenstudierende lassen sich in zwei Gruppen teilen: Die Einen sind Menschen, die bereits ein Studium gemacht haben und jetzt ein Fach studieren, das sie interessiert. Und dann gibt es die zweite Gruppe, zu der ich auch gehöre. Das sind meist Frauen, die sich einen Lebenstraum erfüllen, weil sie in ihrer Jugend nicht studieren konnten. Viele machen dafür sogar die Studienberechtigungsprüfung.“ Gerti hat ebenfalls die Studienberechtigungsprüfung für Politikwissenschaft abgelegt. Die Politologie war ihre erste Wahl, weil sie während ihres Arbeitslebensin der Gewerkschaft engagiert und als technische Sachbearbeiterin tätig war.. Ihr Studium hat sie 2003 mit der Diplomarbeit „Alltagsrassismus und institutioneller Rassismus: am Beispiel Marcus Omofuma und Operation Spring“ abgeschlossen. Heute engagiert sie sich als Projektleiterin bei European Women in Older Age (EWA) und als Koordinatorin bei dem Bildungsnetzwerk Danube Networkers.
Auch Herta Spitaler (74) ist in der ÖH Uni Wien tätig. Gemeinsam mit Gerti organisiert sie den monatlichen Stammtisch für SeniorInnenstudierende am Campus der Universität Wien. Vor allem Kunstgeschichte, Geschichte, Philosophie, Europäische Ethnologie und Sprachen sind unter den älteren Studierenden sehr beliebt. Herta hat Romanistik studiert und danach noch ein weiteres Studium begonnen: „Ich habe gleich nach dem Abschluss meines Italienisch- und Französischstudiums im Jahr 1998 Geschichte und Spanisch inskribiert. Aber als dann die Studiengebühren eingeführt wurden, habe ich aus Protest im Jahr 2000 nicht mehr inskribiert.“ Herta besucht aber weiterhin je nach Interesse Vorlesungen auf der Judaistik, Byzantinistik, Romanistik und Anglistik. Die Leidenschaft der ruhigen nachdenklichen Frau sind Fremdsprachen – vor allem die fremdsprachige Literatur: „Ich habe in meiner Schulzeit eine Handelsakademie besucht und war beruflich bis zu meiner Pension bei einer Bank im Auslandsgeschäft tätig. Dabei hatte ich immer mit Fremdsprachen im wirtschaftlichen Kontext zu tun. In meiner Pension wollte ich mich dann mit der fremdsprachigen Literatur auseinandersetzen.“ Während ihres Studiums sind auch Freundschaften mit Lehrenden entstanden. Mit einer Professorin trifft sie sich immer wieder, wenn diese nach Wien kommt. Den Bolognaprozess und die darauffolgende Dreigliederung des Studiensystems betrachtet Herta sehr kritisch: „Ich habe immer gedacht, dass einem die Universität eine umfassende Bildung vermittelt. Aber in den letzten Jahren habe ich bemerkt, dass die Menschen immer mehr einseitig und nur noch in ihrem Fachgebiet gebildet sind. Die Studiengänge sind immer verschulter geworden.“
Walter Waber (67) übt auch Kritik an der Studiensituation der letzten Jahre: „Für die Studierenden ist es nicht einfacher geworden. Die Industrie bekommt von der Uni Schmalspurakademiker, die schnell ausgebildet werden. Wissensaneignung mit Zeit zum Forschen bleibt so nicht. Was steckt denn da für ein Menschenbild dahinter, wenn man nur möglichst rasch Menschen für den Arbeitsprozess ausbildet?“ Walter war über dreißig Jahre in der EDV tätig. Seit drei Jahren studiert er Philosophie an der Universität Wien. Das Studium betrachtet er als Kontrast zu seinem früheren Beruf: „Es ist sehr spannend für mich. Ich kann die Fragen nach dem Menschen und der Bewusstseinserweiterung verfolgen.“ Dabei zählt nicht der Abschluss, wichtig sind Walter das Lesen und die Auseinandersetzung mit der Philosophie. Er studiert gerne und fühlt sich auch seinen jüngeren StudienkollegInnen gegenüber sehr wohl: „Ich kann nur allen Seniorinnen und Senioren ein Studium empfehlen, wenn sie Interesse an einer Studienrichtung haben.“ Walter hält jedoch nichts von älteren Studierenden, die meinen alles besser zu wissen: „Denn das, was man selbst als Erfahrungen mitnimmt, ist nicht das einzig wahre. Es gibt viele Wahrheiten.“ Auch die EDV sollte die älteren Studierenden seiner Meinung nach nicht abschrecken, „Als älterer Student muss ich interessiert sein, etwas zu lernen. An der Uni gibt es eine eigene Anlaufstelle für EDV, die einem weiterhilft.“ Wie er sich heute als junger Studierender verhalten würde? „Ich würde mir bei den heutigen Studienbedingungen als junger Mensch schwer tun zu studieren. Man kann sich nur wünschen, dass kompetente Leute aufstehen und diesen Prozess zugunsten der jungen Studenten verändern.“