Schwerstarbeit auf Pedalen
Der RadbotInnen-Job ist kein Zuckerschlecken. Trotzdem wollen einige StudentInnen nichts anderes machen.
Der RadbotInnen-Job ist kein Zuckerschlecken. Trotzdem wollen einige StudentInnen nichts anderes machen.
Eigentlich klingt es nach dem perfekten Job für Studierende: Was könnte es besseres geben, als Sport zu machen und dabei auch noch Geld zu verdienen? So sieht der Alltag von FahrradbotInnen aus: Sie transportieren alles, was in ihre riesigen Botentaschen passt, kreuz und quer durch die Stadt. Und solange die Sonne scheint, macht der Job Spaß. Wenn es aber regnet oder schneit, will kaum jemand volle Aktenordner mit dem Drahtesel von A nach B befördern. Auch im Verkehr sind RadbotInnen nicht besonders beliebt: Sie werden angehupt, abgedrängt oder gar über Autotüren katapultiert, wenn PKW-LenkerInnen beim Aussteigen nicht auf den angrenzenden Radweg achten. Trotz gefährlicher Arbeitsbedingungen ist das BotInnengeschäft wenig lukrativ – für die Schwerstarbeit im Sattel bekommen KurierInnen zwischen sechs und 13,50 Euro in der Stunde. Für Fox, Nadine und Orca ist es dennoch ein Traumjob.
Die BotInnen. „Manche Leute stellen sich das Botenfahren romantisch vor. Ich hatte alle meine zwölf Übungstage im Regen und wollte es trotzdem unbedingt machen“, erzählt Nadine Pirker. Das war vor mittlerweile dreieinhalb Jahren, als die Boku- Studentin von einem Auslandssemester in Buenos Aires nach Hause kam: „Ich habe mir gedacht, wenn ich Buenos Aires überlebe [Anm. d. Red.: nicht die radfreundlichste Stadt], kann ich auch in Wien Rad fahren.“ Seither arbeitet sie für den Botendienst Spinning Circle in Wien. Auch sonst ist Nadine am liebsten im Sattel unterwegs – Semesterticket hat sie schon lange keines mehr: „Seit ich so viel mit dem Rad fahre, ist Wien total klein geworden. Jetzt habe ich ein ganz anderes Gefühl für die Stadt.“ Auch Fox und Orca brauchen keine Öffis und schon gar keine Autos, um sich in Wien fortzubewegen. „Auf einer Strecke von fünf Kilometern ist man mit dem Rad viel schneller als mit dem PKW“, erklärt Orca. Vor einem Jahr arbeitete sie an ihrer Komparatistik- Diplomarbeit und suchte einen sportlichen Ausgleich zur geistig-anspruchsvollen Arbeit. Den hat sie im Botenfahren gefunden; heute arbeitet sie bei Hermes. Auch Boku-Student Fox ist schon immer gerne und viel geradelt, ob auf die Uni oder 300 Kilometer nach Ungarn auf ein Festival. Irgendwann hat er beim Botendienst Go angeheuert und sich für seinen Lieblingssport bezahlen lassen.
Fox heißt mit bürgerlichem Namen Lukas Fuchs; Orca eigentlich Clara Silef. Viele BotInnen haben einen Berufsnamen unter dem sie in der Rad-Community bekannt sind. „Die Orca ist brutal schnell“, weiß Nadine. Auch Fox kennt Orca von BotInnenmeisterschaften, wo die FahrerInnen gegeneinander antreten. „Die tolle Community hat wahrscheinlich damit zu tun, dass man auf der Straße eigentlich einE EinzelkämpferIN ist. Da freut man sich umso mehr über Gleichgesinnte“, sagt Nadine. Auch für Orca ist das Botendasein mehr als nur ein einfacher Nebenjob: „Dahinter steckt eine eigene Kultur: Man vertritt damit eine alternative Lebensform.“
Die Bezahlung. Wer nicht hinter dieser Ideologie steht, wird als BotIn kaum glücklich werden: „Das ist kein Job, den man wegen des Geldes machen sollte. Wenn du kein richtiger Radfreak bist, hältst du nicht lange durch“, erklärt Fox. Er hat schon einige BotInnen am ersten Regentag aufhören sehen. Die schlechte Bezahlung hängt mit dem starken Konkurrenzdruck unter den Unternehmen zusammen: 1987 gab es mit Veloce gerade einen Botendienst in Wien, mittlerweile sind es sieben. In Graz und Innsbruck gibt es nur jeweils zwei. Und weil sich die Botendienste in puncto Liefergeschwindigkeit kaum unterscheiden, unterbieten sie sich bei den Preisen. Bei Spinning Circle etwa zahlt der oder die KundIn 12,50 Euro, wenn sein oder ihr Paket vom Hanusch-Krankenhaus im 14. zum Donauturm im 22. Wiener Gemeindebezirk transportiert werden soll. Da bleibt für die BotInnen nicht viel übrig. „Wir kriegen alles gezahlt, was sie uns zahlen können“, erklärt Nadine, die mit Gewerbeschein fährt. Bei Spinning Circle verdienen alle FahrerInnen – auch die ChefInnen – gleich viel. Denn der Gesamtumsatz eines Monats wird durch die gefahrenen Stunden aller BotInnen dividiert. So erhält jedeR denselben Stundenlohn. Auch Stehzeiten (wenn gerade nichts transportiert wird) werden bezahlt. Bei Pink Pedals in Graz und bei Hermes in Wien, wo Orca geringfügig beschäftigt ist, funktioniert das ähnlich. Alle drei Botendienste wurden von FahrradkurierInnen für FahrradkurierInnen geschaffen; wichtige Entscheidungen werden im Plenum aller FahrerInnen getroffen. „Wir sind eine richtige ‚family‘“, sagt Orca stolz.
Bei Fox sieht das anders aus: Er ist mit 54 Prozent am Umsatz seiner eigenen Fahrten beteiligt. Je schneller er fährt, desto mehr Fahrten teilt ihm die Zentrale zu – und desto mehr verdient er auch. Wenn er schneller als seine Kollegen ist, bekommt er gute Fahrten. Das trägt nicht gerade zur FahrerInnengemeinschaft bei, bringt aber finanzielle Vorteile: Wenn Fox schnell ist, verdient er besser als Nadine oder Orca. Bekommt er allerdings wenige Aufträge, arbeitet er zu einem geringeren Stundenlohn. Das Risiko liegt bei ihm.
Die Stadt. Und das Risiko liegt auch auf der Straße: BotInnen leben gefährlich. Eine Studie der Harvard Medical School belegt, dass RadkurierInnen in Bosten 13-mal mehr Zeit im arbeitsbedingten Krankenstand verbringen als andere ArbeitnehmerInnen. Orca ist schon einige Male im Winter auf Schneefahrbahn ausgerutscht, Nadine in Straßenbahnschienen hängen geblieben, etwas Gröberes ist ihnen noch nicht passiert. Dennoch ist ihr Job in Wien gefährlicher als in anderen Unistädten. In Innsbruck wird laut einer Umfrage des VCÖ fast jeder vierte Alltagsweg mit dem Rad zurückgelegt. In Graz radeln immerhin 18 Prozent. Das kommt daher, dass die radfreundliche Infrastruktur gut ausgebaut ist, was zu einem friedlichen Miteinander aller Verkehrsteilnehmer beiträgt: „Das Verkehrsklima ist für Radfahrer im Westen deutlich besser und rücksichtsvoller als im Osten“, sagt VCÖ-Experte Markus Gansterer. Wien liegt mit sechs Prozent abgeschlagen am vorletzten Platz des VCÖ-Rankings. „Die Wiener Radwege sind schon recht mühsam“, meint Fox. Will man etwa vom Campus der Uni zum Rathaus fahren, endet der Radweg auf einer Seite der Alserstraße; weitergehen tut er auf der anderen. Dazwischen fahren Straßenbahnen und Autos – eine Möglichkeit, die Seite zu wechseln, gibt es bisher nicht.
Wegen mühsamer Verkehrsstellen fahren KurierInnen meist lieber auf der Straße und nicht auf dem Radweg. Dort schießt sie keinE AutofahrerIN beim Linksabbiegen ab und sie gefährden auch keine FußgängerInnen, die den Radfahrstreifen übersehen. Eigentlich ist das verboten, denn es gilt Radwegbenutzungspflicht. Aber auch das gehört zum Botenfahren dazu: An der Grenze der Verkehrsordnung zu leben.
Filmtipp: Tempo (Stefan Ruzowitzky, 1996)