Querfront für den Frieden: Österreich schließt sich an
Die neue Friedensbewegung wächst so schnell wie sie gefährlich ist. Unter dem Label „Montagsmahnwachen für den Frieden“ versammeln sich allmontäglich friedensbewegte, rechtsesoterische, verschwörungstheoretische und antisemitische Ideolog_innen, Nazis und Rechtsextreme auf deutschen und österreichischen Straßen. Eine Reportage von Nikolai Schreiter.
Die neue Friedensbewegung wächst so schnell wie sie gefährlich ist. Unter dem Label „Montagsmahnwachen für den Frieden“ versammeln sich allmontäglich friedensbewegte, rechtsesoterische, verschwörungstheoretische und antisemitische Ideolog_innen, Nazis und Rechtsextreme auf deutschen und österreichischen Straßen. Eine Reportage von Nikolai Schreiter.
Montags erfährt man, wer schuld ist. Am Ersten und am Zweiten Weltkrieg, an verhungerten Kindern und vielleicht bald an amerikanischem Chlorhühnchen auf deutschem Boden - und österreichischem. Das Interesse an den einfachen Antworten auf die Schuldfrage ist groß, die Veranstaltungen in Deutschland sind gut besucht. Und auch in Österreich wächst die selbsternannte Friedensbewegung schnell.
Im März haben die „Montagsmahnwachen für den Frieden“ ihren Anfang in Berlin genommen. Ihr dortiger Organisator ist Lars Mährholz. Er hat sich nach eigener Aussage „Anfang des Jahres ein bisschen intensiver mit der Geschichte beschäftigt und mit dem Finanzsystem“. Dann hat er zu einer „Mahnwache für den Frieden auf der Welt und in Europa, für eine ehrliche Presse und gegen die tödliche Politik der Federal Reserve, der amerikanischen Notenbank, einer privaten Bank“ auf Facebook eingeladen. Mährholz muss das Federal Reserve System meinen, dessen wichtigstes Gremium, das Board of Governors, vom amerikanischen Präsidenten ernannt und vom Senat bestätigt wird, das der Gesetzgebung durch den Kongress unterliegt und also nicht privat ist. Aber egal: „Die“ FED nämlich sei „der Anfang allen Übels, mit dem Zinseszinssystem, mit dem Fiat Money, was wir auf diesem Planeten haben.“ Auch schuld sei sie an „allen Kriegen der letzten hundert Jahre“, weil sie „die Fäden auf diesem Planeten zieht.“ Mittlerweile meint er, das sei eine Provokation gewesen, und er werde dieses Zitat einfach nicht mehr los. Zurecht: Er hat kürzlich die Warburgbank als neues Feindbild entdeckt. Die Warburgs sind eine jüdische Familie. Dass die Bank zwischendurch von den Nazis arisiert wurde und sie fliehen mussten, erwähnt Mährholz hingegen nicht. Tut man, was Verschwörungstheoretiker_innen immer tun und wozu Mährholz aufruft und googelt also „Warburg Zinseszins“, findet man etwa das Youtube-Video „Das Wirken der global zionistischen Banken Satanisten Das Zinseszins Banken und Geldsystem“ und „Paul Warburg ist der 'Vater' der Federal Reserve Bank“. Zu den Mahnwachen von Mährholz kommen viele Leute, weil Frieden ist ja was Gutes, oder so. „Ey“,wie er sagt.
Wahnmache auf facebook
Diese Wahnmachen, wie die Facebook-Seite Friedensdemo-Watch sie treffend nennt, bewegen das Volk, das sich gern als solches versteht. Das deutsche Volk, das österreichische und das schweizerische ein bisschen. Mittlerweile finden die Wahnmachen in über 80 Städten statt, die Zahl der Beteiligten soll in Berlin schon bald bei über 1400 Menschen gelegen haben. In Wien gibt es seit Ende März eine kleine mit maximal 150 Personen, die entsprechende facebookgruppe aber hat schon über 1000 Mitglieder. Es folgten Graz, Innsbruck, Salzburg, Dornbirn und Klagenfurt. Und es steht zu befürchten, dass es noch mehr werden.
Als klar war, dass diese Demos zu großen Veranstaltungen werden, ist in Berlin das Who-is-who der Wahrheitsverkünder des Volkes eingestiegen. Allen voran spricht nun Ken Jebsen zu den wissbegierigen Massen mit der Lust am Feindbild. Jebsen heißt mit bürgerlichem Namen Moustafa Kashefi und ist beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) wegen Antisemitismusvorwürfen rausgeflogen, weil er zum Beispiel „weis wer den holocaust als PR erfunden hat. der neffe freuds. [Edward] bernays“ [sic!]. Bernays war Jude und gilt als Begründer von PR. Jebsen hetzt gegen „zionistischen Rassismus“ und die „mediale Massenvernichtungswaffe“, die im Auftrag einer radikalen zionistischen Lobby dafür sorge, dass „wir seit über 40 Jahren die Fresse halten, wenn im Auftrag des Staates Israel andere Menschen in Massen vernichtet werden“. „Palästinenser“ nämlich. Laut Jebsen am Fressehalten außerdem schuld: die deutsche Geschichte. Aktuell betreibt Jebsen den Internetsender kenFM und raunzt regelmäßig empörte Vorträge ins Open Mic am Brandenburger Tor, die in erster Linie aus Fragen nach dem Prinzip des „Cui bono? - Wem nützt es?“ und Handlungsanweisungen an das gehorsam folgende Volk bestehen.
„Rothschild böse – Ahmadinedschad gut“
Außerdem vorne mit dabei ist Jürgen Elsässer, ein Exlinker, der heute das rassistische und verschwörungstheoretische Compact-Magazin herausgibt, die homophobe Compact-Konferenz veranstaltet und 2009 die „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“ gegründet hat. Er verteidigt Thilo Sarrazin, hat dem Holocaustleugner Mahmoud Ahmadinedschad 2009 zum Sieg der iranischen Präsidentschaftswahlen gratuliert und eine Privataudienz bei ihm bekommen. Er findet, „das Verbrechen hat Name und Anschrift und Telefonnummer“, um sogleich solche Namen zu nennen: „Die Herren Rockefeller, Rothschild, Soros“ fallen ihm als erste ein.
Für Elsässers Compact-Magazin hat auch Hannes Hofbauer, der Chef des Wiener Promedia-Verlags, wiederholt geschrieben. Promedia verlegt Lehrbücher, die etwa auf der Geschichte oder der Internationalen Entwicklung an der Uni Wien Pflichtlektüre sind, aber auch Titel wie „Apartheit und ethnische Säuberungen in Palästina“, die antisemitische Ressentiments bedienen oder das laut Homepage vergriffene antisemitische Machwerk „Blumen aus Galiläa“.
Eine andere wichtige Figur in Berlin ist Andreas Popp. Er hat 2011 auf der Konferenz der „Anti-Zensur-Koalition“ des unter anderem homophoben Abtreibungsgegners und Chefs der Sekte „Organische Christus-Generation“ Ivo Sasek in der Schweiz gesprochen. Bei dieser treten auch immer wieder Holocaustleugner_innen auf. Er warnt zwar einerseits vor dem Feindbild Banker, ist aber auch „wissenschaftlich“ für wissensmanufaktur.net verantwortlich. Dort vertritt er seinen „Plan B. Revolution des Systems für eine tatsächliche Neuordnung“, in dem er sich positiv auf die antisemitische Hetzschrift „Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft“ von Gottfried Feder bezieht, dessen Thesen auch Adolf Hitler nach eigener Auskunft in „Mein Kampf“ geprägt haben.
Positiven Bezug auf „die Nationalsozialisten“ gibt es aber auf den Wiener „Wahnmachen“. Einer der regelmäßigen Besucher_innen der Wahnmachen, ein Herr mit langem Bart und Haar, will unbedingt über Zins und Zinseszins sprechen. Der nämlich sei „das Problem in der Welt“, das „Übel, an dem die ganze Welt krankt“, was die Nationalsozialisten richtig erkannt hätten. Bevor „sie uns auch verkauft“ hätten, als sie „an die Macht gekommen sind“ - treffender: gebracht wurden - hätten sie nämlich im Programm gehabt, die Zinsknachtschaft zu brechen. Dass die Montagsdemos wegen dieser Bezugnahme als rechts „verunglimpft werden“, habe den Zweck, das eigentliche Thema, eben die Zinsknechtschaft, nicht zur Sprache kommen zu lassen. Wer das tut, bleibt unklar, die Verschwörungstheorie und der strukturelle Antisemitismus sind perfekt vereint.
In Österreich gibt es weniger institutionalisierte Plattformen für Verschwörungstheorien als in Deutschland, über die hiesigen Köpfe der Bewegung ist kaum einschlägiges bekannt. Doch es reicht aus, um zu wissen, dass hier der gleiche Wahn wie in Deutschland am Werk ist. Die Wiener Köpfe beziehen sich positiv auf die Wahrheitsverkünder aus Berlin und Verschwörungstheorie: Felix Abegg, Wiener Organisator der Montagsmahnwache heißt auf Facebook „Pro Peacer“. Unter seinen „Gefällt mir-Angaben“ findet sich der KOPP-Verlag, der für rechtsesoterische und verschwörungstheoretische Inhalte und seine antisemitischen und rechtsextremen Verbindungen bekannt ist, außerdem kenFM, der „Sender“ von Ken Jebsen. Die Seite friedensmahnwachen.at verlinkt auf das Video von Lars Mährholz, aus dem viele seiner Zitate in diesem Artikel entnommen sind.
„Keine Führer, sondern Helden“
Der Grazer Organisator Tom Exel warnt vor der Ostküste: „Glaubt nichts. Nehmt euch die Zeit und recherchiert. Schaut euch viel im Internet an. Und dann zählt eins und eins zusammen. Wenn ihr dann eine Meinung habt, dann ist das definitiv eure Meinung und nicht die Meinung von … ich will jetzt keine Namen nennen ... aber Leute die weit weg sitzen über dem Atlantik, die da Sachen verbreiten.“ (hier auf Youtube achzuschauen)
Stephan Bartunek, regelmäßiger Redner in Wien, verkündete am 12. Mai 2014 am Heldenplatz vor dem Führerbalkon: „Wir brauchen keine Führer. Wir brauchen Helden.“ Weiter: „Jebsen und Mährholz sind meine Helden.“ In Reaktion auf Kritik an ihnen gibt er sich kritisch: „Sollten Ken Jebsen und Lars Mährholz sich irgendwann demaskieren und plötzlich stehen ein wiedergeborener Mussolini und ein wiedergeborener Göbbels vor mir – dann stoß ich sie vom Podest.“ (hier auf Youtube achzuschauen)
Doch Mussolini und Göbbels wird Bartunek in den beiden wohl niemals finden – noch mehr Belege für strukturellem und offenem Antisemitismus in deren Weltbild allerdings auch nicht. Und deshalb bleiben die, geht es nach Bartunek, wohl auf ihrem Podest. Als er zu Anfang seiner Rede berichtet, dass Jebsen ihn angerufen habe, weil er seine Rede aus der Vorwoche so toll gefunden habe und wohl nun bald nach Wien komme, erntet er dafür den größten Applaus des Tages. Die kleine Masse steht hinter ihm. Vor allem aber steht sie hinter Jebsen.
Die falsche Frage
Die Wahnmachen inszenieren sich als Sprachrohr des kleinen Menschen gegen die Eliten. „Der Mensch“ nimmt eine zentrale Stellung ein: „Mein Name ist Ken Jebsen, meine Zielgruppe bleibt der Mensch“ kläfft Jebsen als ersten Satz. Transparente und Facebookposts sagen: „Meine Nationalität: Mensch“. Die denunzierten BankerInnen, Amis, Regierungen, ZionistInnen, Illuminaten oder gleich die Jüdinnen und Juden sind von diesem „Wir“ der „Menschen“ ausgeschlossen. Es geht um die repressive, zwanghafte Gemeinschaft gegen die bösen Machenschaften der die „Menschen“ spaltenden Eliten. Diese würden mit allerlei Mitteln „das Volk“, das übrigens „wir sind“, spalten. In ihrem Dienst sollen die „gleichgeschalteten Massenmedien“, die NATO und die Parteien stehen. Deshalb will die Bewegung auch als unpolitisch verstanden werden, Mährholz sagt: „Jeder Extremismus ist nicht gerne gesehen“. Alle dürfen ihre Meinung sagen. Diese Haltung führt regelmäßig dazu, dass Linke, die Antisemitismus kritisieren, ausgebuht werden. Sebastian Schmidtke und andere Recken der Berliner NPD oder Karl Richter, der für die Bürgerinitiative Ausländerstopp im Münchener Stadtrat sitzt und stellvertretender Vorsitzender der NPD ist, aber bleiben unbehelligt, dürfen auf den Wahnmachen teilweise sprechen und werden – FREE HUGS! – umarmt.
Die ewig zu kurz Gekommenen, die sich versammeln, haben die gleiche, wahnhafte, unumstößliche Meinung. Wer sie kritisiert, wird der Spaltung bezichtigt, manchmal auch der Spaltung im Auftrag irgendeines Teils der ins Visier genommenen „Elite“. So ergibt sich ein flexibles, aber doch geschlossenes Weltbild: Die Verschwörung kann immer noch einen Schritt weiter gedacht werden, die Kritik immer als ihr Teil gelten. So verdrängt die „Wahrheit“ des Ressentiments irgendwann gänzlich das Streben nach Wahrheit durch Analyse.
Popp, Mährholz und ihre Gefolgschaft behaupten, die „Systemfrage“ zu stellen. Das System, das sie meinen, heißt aber nicht, wie es müsste, Kapitalismus - sondern „Zinseszinssystem“. Ihre Frage lautet nicht, wie der Kapitalismus uns alle zum konkurrenzhaften Verhalten als vereinzelte Einzelne, zum Hauen und Stechen zwingt, sondern: „Wer profitiert davon?“ und also: „Wer hat es eingesetzt?“ . Die Vermitteltheit von Herrschaft im Kapitalismus ist unbegriffen, die Komplexität offenbar zu hoch, vor allem aber liefern die korrekten Fragen eben keine Schuldigen, die Volk und Gemeinschaft - wollen sie als solche bestehen - doch so dringend brauchen. Darin liegt die Gefahr: Selbst wenn sich die meisten bei den Wahnmachen als noch so friedlich und gewaltfrei verstehen – gegen wen sich der deutsche Mob, denn das Potential dazu haben die Versammlungen, richten würde, ist von vornherein klar.
Nikolai Schreiter studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.