Politikverdrossen und ohne Perspektive?
Der für den 1.1.2014 angesetzte Schengenbeitritt Rumäniens und Bulgariens wurde verschoben, nachdem sich einige EU-Länder wie etwa Frankreich und die Niederlande gegen einen Beitritt stellten. Im letzten Jahr wurde angekündigt, die Kriterien für den Beitritt seien erfüllt. Margot Landl berichtet für progress online von der politischen Situation Rumäniens.
Der für den 1.1.2014 angesetzte Schengenbeitritt Rumäniens und Bulgariens wurde verschoben, nachdem sich einige EU-Länder wie etwa Frankreich und die Niederlande gegen einen Beitritt stellten. Im letzten Jahr wurde angekündigt, die Kriterien für den Beitritt seien erfüllt. Margot Landl berichtet für progress online von der politischen Situation Rumäniens.
Eine sinkende Wahlbeteiligung, immer stärkere Politikverdrossenheit und ein abnehmendes Vertrauen in die Politik und ihre VertreterInnen: Was nach der Neuauflage der unbeliebten Großen Koalition sehr österreichisch klingt, ist in Rumänien noch viel drastischer ausgeprägt. In allen postkommunistischen Ländern liegt die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent, deutlich niedriger als in nord- und westeuropäischen Ländern, in Rumänien betrug sie bei den Parlamentswahlen 2012 nur 42%. Seit den „founding elections“ nach dem kommunistischen Systemkollaps ist der WählerInnenanteil kontinuierlich rückläufig.
Das Land ist nicht nur, wie die anderen postsozialistischen Staaten, geprägt vom Einfluss der Sowjetunion, sondern hat auch eine brutale Diktatur hinter sich. Das autokratische Regime Nicolae Ceausescus bis zu dessen Ermordung 1989 hat sowohl auf politischer wie auch wirtschaftlicher Ebene großen Schaden hinterlassen. Wenn auch das Anwachsen des NichtwählerInnenanteils ebenso in stärker konsolidierten Demokratien ein wachsendes Problem ist, so sind doch in Rumänien das Misstrauen und die Skepsis gegenüber der politischen Sphäre auch heute noch enorm. Die Menschen in Rumänien haben das Gefühl, dass es keine Rolle spielt, wer an der Macht ist, da es sowieso nur um persönliche Bereicherung geht. Der Weg ins Parlament eröffnet Möglichkeiten auf Umwegen Geld zu verdienen und nicht die Gesellschaft zu verändern. Sowohl die Politik als auch das gesellschaftliche Leben in Rumänien sind durchzogen von Korruption. Stimmenkauf ist genauso üblich wie das kleine Extrageld für den praktischen Arzt, um eine bessere Behandlung zu erhalten. Die vielen gesellschaftlichen Probleme werden kaum sachlich zu lösen versucht.
Abwanderung statt 350 Euro Durchschnittslohn
Bei einem Treffen mit Michael Schwarzinger, dem österreichischen Botschafter für Rumänien und der Republik Moldau, spricht dieser über die Perspektivenlosigkeit der rumänischen Jugend: „Rumänien leidet unter einer großen Abwanderung, etwa zwei bis drei Millionen RumänInnen leben im Ausland. Diejenigen, die Deutsch können, wollen nach Deutschland, die meisten gehen jedoch nach Südosteuropa, um dort in der Landwirtschaft zu arbeiten.“ Das größte Problem sei die Abwanderung der jungen Arbeitskräfte mit einer abgeschlossenen Ausbildung: „Die Intelligenz verlässt das Land. Rumänien bildet sehr viele Ärzte, Lehrer und so weiter aus, dennoch herrscht ein Mangel an Fachkräften“. Auch wenn die Lebenserhaltungskosten in Rumänien im Vergleich zu Österreich sehr niedrig sind, sind 350 Euro Durchschnittslohn für die meisten jungen Menschen unattraktiv. Besonders kritisiert der Botschafter das Fehlen einer dualen Lehrlingsausbildung, welches viel Potenzial vergibt: „Da kommt dann ein junger Mann in eine Firma und sagt, ja, ich bin ausgebildeter Elektriker, aber nur in der Theorie. So jemand ist für Betriebe nicht attraktiv.“
„Ideologie ist genau das, was diesem Land fehlt“
Das Parteienspektrum des Landes ähnelt auf den ersten Blick dem Parteienspektrum anderer europäischer Länder. Die Parteien treten bei Wahlen meist in Wahlbündnissen an, um die 5%-Hürde zu überwinden. Dennoch ist die ideologische Bindung der PolitikerInnen an ihre Partei hier außergewöhnlich schwach, da nach 1989 versucht wurde, dem Land ein nicht natürlich gewachsenes Parteienspektrum überzustülpen. Politik erfolgt wenig auf sachlicher und viel auf persönlicher Ebene – als Beispiel die Schlammschlacht zwischen Präsident Traian Basescu und Premierminister Viktor Ponta.
Sven-Joachim Irmer ist der Leiter des Auslandsbüros der konservativen und CDU/CSU-nahen deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung in Bukarest. Diese versucht, für Mitte-Rechts-Parteien Inhalte zu promoten, er selbst hat das Parteiprogramm der liberaldemokratischen Partei PDL geschrieben. Seiner Ansicht nach positionieren sich die Parteien hier bewusst unklar, um sich so mehr Optionen zur Regierungsbildung offenzuhalten. Irmer kommentiert die Lage mit klaren Worten: „Ideologie ist genau das, was diesem Land fehlt. Dann hätten die Leute endlich inhaltlich was zum Streiten. Politik ist hier nicht sachlich, sondern man versucht, den anderen fertig zu machen.“ Bezeichnend dafür ist die gängige Praxis, als Abgeordnete/r nach der Wahl zu einer anderen – meist stärkeren – Partei zu wechseln und somit die politischen Kräfteverhältnisse zu verschieben. Dies setzt jedoch Wahlen als Sanktionsmechanismus und Basis einer funktionierenden Demokratie außer Kraft: Wenn ich mit meiner Stimme sowieso nichts bewirken kann, wieso soll ich dann überhaupt zur Wahl gehen?
Der über die Grünen ins rumänische Parlament gekommene, jedoch mittlerweile unabhängige Abgeordnete Remus Cernea sieht in der Art und Weise, in denen sich Parteien und Abgeordnete über den WählerInnenwillen hinwegsetzen, ebenfalls eine Gefahr für die Demokratie. Seiner Meinung nach bräuchte man mehr ideologische Parteien, da die vorhandenen ihr Programm oft nach der Wahl ändern. Sie handeln gleich wie die Regierung davor, Debatten beschränken sich oft lediglich auf Personen, nicht auf Themen. Die PolitikerInnen im Land sieht er nicht als Leitfiguren, sondern lediglich als Fähnchen im Wind auf der Suche nach Prestige und Profit. Dennoch hat er sich dafür entschieden, den institutionellen Weg der politischen Partizipation zu beschreiten. Bei dem Besuch einer Sitzung des Parlaments lässt sich die mangelnde Diskussionskultur mit eigenem Auge betrachten: Nur wenige der Abgeordneten reden, laut Cernea wissen viele bei Abstimmungen gar nicht, was eigentlich hier gerade beschlossen wird oder bekommen Geld für ihre Stimme. Ihn stört vor allem die mangelnde Diskussionskultur: „Democracy is not only voting – it’s debating. Without debating you don’t have a democracy.“
Erstarkende Zivilgesellschaft
Das tief verwurzelte Misstrauen gegenüber der Politik wird besonders im Gespräch mit VertreterInnen zivilgesellschaftlicher Organisationen deutlich, deren Zahl erfreulicherweise stetig wächst. Die NGO „militia spirituale“ versucht, SchülerInnen und StudentInnen in Rumänien dazu zu motivieren, sich politisch zu engagieren und sich für ihre Interessen einzusetzen. Von einer Parteigründung oder Ähnlichem wollen aber auch deren MitarbeiterInnen nichts wissen: „Parties only promote unqualified candidates and false values. People elect them because of their presents and because there are no alternatives. It’s our aim to create a critical society”, sagt Alexandra Panait von der “militia spirituale”.
Ein aktuelles Beispiel für das Hinwegsetzen über die zivilgesellschaftliche Meinung war der Versuch der Regierung, gegen ursprüngliche Wahlversprechen ein Gesetz für die Legalisierung des Goldabbaus im Gebiet des Ortes Rosia Montana durchzusetzen. Gegen den Goldabbau, der mit der hochgiftigen Chemikalie Zyanid durchgeführt werden soll, hat sich mittlerweile ein breiter gesellschaftlicher Widerstand formiert. Bei einem Unfall könnte ein immenser Schaden für die Umwelt entstehen. Besonders jene Menschen, die im Zuge dieses Goldabbaus umgesiedelt werden müssten, sträuben sich gegen das Projekt. 35.000 Menschen sind bereits dagegen auf die Straße gegangen und der Protest weitet sich laufend aus – auch über die rumänischen Grenzen hinaus.
Diese Herausbildung einer aktiven Zivilgesellschaft wird allgemein als sehr positiv empfunden und ist mit Sicherheit ein wichtiger Schritt auf dem Weg Rumäniens zu einer funktionierenden Demokratie. Im Moment wird das Land in der Politikwissenschaft noch zusammen mit Bulgarien und Lettland, der Gruppe der nicht vollständig konsolidierten europäischen Demokratien zugeordnet. Bulgarien und Rumänien sind im Moment die ärmsten Länder der EU mit einem BIP pro Kopf, welches kleiner ist als die Hälfte des EU-Durchschnitts. Allerdings wächst die rumänische Wirtschaft kontinuierlich, maßgeblich durch Auslandinvestitionen, und auch der EU-Beitritt hat sich auf die Entwicklung des Landes positiv ausgewirkt. Bis zum Entstehen einer Politik, der die Menschen vertrauen und an der sie partizipieren, um ihr Land nach ihren Vorstellungen zu verändern, wird es in Rumänien trotzdem noch eine Weile dauern. Dafür muss erst eine politische Kultur entstehen, in der zumindest versucht wird, Inhalte sachlich zu diskutieren und in der sich zivilgesellschaftliche Bewegungen mit ihren Anliegen Gehör verschaffen können.
Die Autorin studiert Politikwissenschaften an der Universität Wien und hat an einer Exkursion des Instituts für Politikwissenschaft teilgenommen.