Pädagogische Einsteins
LehrerInnen: Sie sind diejenigen, die uns das Leben zumindest neun Jahre lang entweder zur Hölle machen oder unsere Interessen fördern. Um ersteres zu verhindern, braucht es eine qualitativ hochwertige PädagogInnenbildung. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
LehrerInnen: Sie sind diejenigen, die uns das Leben zumindest neun Jahre lang entweder zur Hölle machen oder unsere Interessen fördern. Um ersteres zu verhindern, braucht es eine qualitativ hochwertige PädagogInnenbildung. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Es war 5.30 Uhr an einem Dienstag Morgen, als sich Laura M.* auf den Weg zu einer ihrer ersten Schulstunden seit drei Jahren machte. Der Unterschied zu früher war, dass sie dieses Mal auf keinen Fall zu spät kommen wollte. Die 21jährige Linzerin studiert Russisch und Geschichte auf Lehramt im vierten Semester an der Universität Wien. Als Lehramtsstudentin studiert sie noch im Diplom und muss zwei Unterrichtsfächer kombinieren, für jedes Fach müssen Schulpraktika im Ausmaß von elf ECTS abgelegt werden. Dafür sollen laut Studienplan BetreuungslehrerInnen zur Seite stehen, die bei der Vor- und Nachbereitung helfen sowie für Feedback und Supervision verantwortlich sind. „Ich hab’ das erste Praktikum lange vor mir hergeschoben, weil ich mich nicht drübergetraut hab“, erzählt sie. „Im Endeffekt war aber sowieso alles anders als gedacht.“
Laura wurde gemeinsam mit fünf KollegInnen, die ebenfalls slawische Sprachen studieren, zwei BetreuungslehrerInnen zugeteilt – eine davon unterrichtet in Amstetten Spanisch, einer in St. Pölten Russisch. Für Studierende, die seltene Fächer belegen, kein Einzelfall: „Da kann es schon einmal passieren, dass man sich in eine Spanischstunde setzen oder in die niederösterreichische Pampa fahren muss, um dort fünfzig Minuten Unterrichtserfahrung zu sammeln“, erzählt Laura. Mit einer Studienkollegin sollte sie ihre erste Russisch-Schulstunde in einem St. Pöltner Gymnasium halten. „Da meine Kollegin allerdings Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (BKS) studiert, hat sich die Vorbereitung als etwas schwierig erwiesen.“ Was die Betreuungslehrer dazu sagten? „Lasst euch was einfallen.“
Lücken. Nicht nur die BetreuungslehrerInnen für Lehramtsstudierende an den Schulen sind oft Mangelware, Lehrkräfte schwinden generell aus Österreichs Schulen. 71.500 LehrerInnen arbeiten derzeit an allgemeinbildenden Pflichtschulen, rund 4.900 an Berufsschulen und 41.600 an Bundesschulen, also an Gymnasien oder berufsbildenden mittleren und höheren Schulen. Bis 2025 werden voraussichtlich 50 Prozent aller Lehrpersonen in Pension gehen – der LehrerInnenmangel ist bereits jetzt vorprogrammiert, Lösungen dafür sind jedoch nicht in Sicht. Bereits zum Schulstart diesen Herbst sind in vielen Bundesländern ErsatzlehrerInnen im Einsatz, viele LehrerInnen übernehmen Überstunden und JunglehrerInnen werden bereits im ersten Jahr mit einer vollen Lehrverpflichtung beauftragt.
In diese Richtung soll es laut der Bundesregierung weiter gehen: Die Lehrverpflichtung im ersten Unterrichtspraktikumsjahr soll von bisher acht auf 22 Unterrichtsstunden erhöht werden. Das würde selbst eine volle Lehrverpflichtung mit einem normalen Dienstvertrag übersteigen. Regina Bösch, angehende Junglehrerin, kann den Plänen zur Erhöhung der Unterrichtszeit bereits am Anfang nicht viel abgewinnen und hat kurzerhand mit einer Kollegin die Initiative für ein faires LehrerInnendienstrecht ins Leben gerufen. „Das ist absurd und gefährlich. Im Unterrichtspraktikum braucht man sehr viel Zeit zur Reflexion, damit man auch wirklich hineinwachsen kann. Das wäre komplett weg“, sagt sie. Das jetzige Unterrichtspraktikumsmodell ist als einjährige Berufseinstiegsphase konzipiert und wird vom Großteil der Studierenden gut angenommen. „Das neue Modell würde bedeuten, dass man sich von Stunde zu Stunde hangelt, und Dienst nach Vorschrift macht – im besten Fall. So brennt man die Leute noch früher aus“, sagt Bösch.
Laura hat ihr erstes Schulpraktikum mit einem Sehr-Gut abgeschlossen, obwohl die vorbereitete Russischstunde mit ihrer BKS-Kollegin nie zustande kam: „Unser Betreuungslehrer hat uns einfach vergessen, und die betreffende Klasse war an dem Tag auf Exkursion.“ Eine volle Lehrverpflichtung bereits direkt nach Abschluss des Studiums oder vielleicht sogar schon davor kann sie sich nicht vorstellen: „Als Lehrerin fühl ich mich wirklich noch kein bisschen.“
Konflikt. Während die Lehramtsstudierenden auf der Universität in der Regel nur mittels zweier Schulpraktika während des Studiums in Berührung mit SchülerInnen kommen, stehen Studierende an Pädagogischen Hochschulen von Anfang an im Klassenzimmer. In Österreich findet die Ausbildung der PflichtschullehrerInnen und BerufsschullehrerInnen an den Pädagogischen Hochschulen statt, angehende LehrerInnen in höheren Schulen müssen die Uni mit einem Diplomstudium abschließen. Die Trennung der Ausbildungen in verschiedene Sektoren ist umstritten.
2008 hat Bildungsministerin Claudia Schmied gemeinsam mit dem damaligen Wissenschaftsminister Johannes Hahn erstmals die ExpertInnengruppe LehrerInnenbildung NEU eingesetzt, und damit beauftragt, Vorschläge für eine Reform der LehrerInnenbildung zu erarbeiten. Seitdem gibt es viele Vorschläge, aber die verschwinden großteils unter dem Tisch. Leidtragende des politischen Stillstands sind nicht nur die Studierenden, sondern auch die SchülerInnen.
Stefan B. studiert im siebten Semester Informatik auf Lehramt an der Linzer Johannes Keppler Universität und kann der Trennung der Lehramtsstudien nichts abgewinnen: „Gerade im Unterstufenbereich, bei den Kindern zwischen zehn und 14 Jahren, unterrichten die LehrerInnen später genau dasselbe.“ Anders als Laura hat er mit seinem Schulpraktikum im Linzer Georg-von-Peuerbach-Gymnasium gute Erfahrungen machen können, auch das Verhältnis zu den BetreuungslehrerInnen war gut. „Aber am Ende des Praktikums waren sich mein Betreuungslehrer und ich einig: Wir hätten viel mehr Zeit miteinander verbringen müssen.“
Pyramide. Umso jünger die Kinder, desto kürzer ist die Ausbildung und schlechter die Bezahlung. So lässt sich die umgedrehte „PädagogInnen-Pyramide“ beschreiben, die in Österreich System hat. Laut Stefan Hopmann, Professor am Institut für Bildungswissenschaften an der Uni Wien, gibt es im Pflichtschulbereich die größten Defizite, vor allem auch, weil es nicht die Möglichkeit gibt, fachliche Schwerpunkte zu setzen: „Wenn alle alles unterrichten können sollen, müssen wir lauter pädagogische Einsteins anstellen.“ Um dies zu ändern, bräuchte es allerdings grundlegende Reformen, und an die hat sich bis jetzt noch niemand herangewagt.
Hopmann, der auch ehemaliges Mitglied der Vorbereitungsgruppe zur Umsetzung der Vorschläge der jüngsten von Bildungsministerin Schmied und Wissenschaftsminister Töchterle eingesetzten ExpertInnengruppe ist, kritisiert den mangelnden politischen Gestaltungswillen: „Da war die Tinte am Papier noch nicht einmal trocken, da war schon klar, dass das Erarbeitete nicht mitgetragen wird.“ Der Bildungswissenschafter meint damit vor allem die Kernidee, dass es eine akademische Aufwertung der PflichtschulpädagogInnen brauche. „Das Problem ist, dass man Reformen haben will, die nichts an den Machtstrukturen verändern sollen, man wurschtelt vor sich hin. Ein bisschen Reform funktioniert aber genauso wenig wie ein bisschen schwanger sein.“ Klar ist, dass sich nach einer Aufwertung der Ausbildung auch das Gehaltsschema ändern müsste.
Beschränkung. Die besten für den Lehrberuf zu finden – das wird sowohl von SchülerInnen-, Eltern-, als auch DirektorInnenseite immer wieder gefordert. Wie man diesem Wunsch nachkommen kann, darüber gibt es jedoch verschiedene Ansichten. Seit dem Wintersemester 2011 wurde mit der Einführung der Studieneingangs- und Orientierungsphase (STEOP) auch eine Beschränkung für Lehramtsstudien beschlossen. Besonders an der Universität Wien waren die Folgen drastisch: Wer die – von vielen Studierenden als überdurchschnittlich schwierig definierte – Pädagogik-Prüfung nicht schafft, ist jetzt für den Lehrberuf gesperrt. Auf Lebenszeit. Keine versteckten, sondern offensichtliche Zugangsbeschränkungen für Lehramtsstudien gibt es im oft zum Vergleich zitierten Finnland: Dort wird durchschnittlich nur einE BewerberIn von zehn genommen. Hopmann bestreitet, dass dieses Modell zum gewünschten Ziel führt: „Wir könnten auch in Österreich die Studienplätze halbieren, dann hätten wir auch ein Gedränge. Aber nicht die besten LehrerInnen.“
Andere Ansätze gehen in Richtung Beratung und Evaluierung vor und während des Studiums; Reflexionsgespräche mit den ProfessorInnen, regelmäßiges Feedback und mehr Praxis von Anfang an. Gerade durch die de facto nicht vorhandenen Umstiegsmöglichkeiten im LehrerInnenberuf ergibt sich der Zwang für viele LehrerInnen, in ihrem Beruf zu bleiben. Für den angehenden Lehrer Stefan stellt das ein großes Problem dar: „Ich habe ein Lehramtsstudium begonnen, weil ich gerne mit Kindern und Jugendlichen arbeite, aber ich weiß nicht, wie das in dreißig Jahren sein wird. Nur wenn man hier Lösungen findet, kann man das Beste für die SchülerInnen rausholen.“
Ausblick. Sowohl die ExpertInnengruppe der Ministerien als auch die Österreichische HochschülerInnenschaft sprechen sich seit längerem für die Einführung einer gemeinsamen PädagogInnenbildung aus. Die Grundüberlegungen gehen in dieselbe Richtung: Ein gemeinsamer Grundstock am Anfang, eine Spezialisierung mit Umstiegsmöglichkeiten im Anschluss. Ob die LehrerInnenausbildung an den Universitäten, an den Pädagogischen Hochschulen oder an neuen Schools of Education stattfinden soll, ist eigentlich nur ein Nebenschauplatz der Debatte, der allerdings ins Zentrum gerückt wird. Solange die bildungspolitischen Agenden jedoch auf zwei Ministerien geteilt sind, wird sich an dem Stillstand nicht viel ändern. Denn dumm wäre jene Partei, die freiwillig Kompetenzen abgibt.
*Name von der Redaktion geändert.