Mit geborgten Händen

  • 07.04.2013, 22:56

Wie problemlos U-Bahn fahren, wenn man im Rollstuhl sitzt? Wie eine Flasche öffnen, wenn die Hand ständig krampft? Ganz einfach: Mithilfe einer persönlichen Assistenz.

Wie problemlos U-Bahn fahren, wenn man im Rollstuhl sitzt? Wie eine Flasche öffnen, wenn die Hand ständig krampft? Ganz einfach:  Mithilfe einer Persönlichen Assistenz.

Handgriffe des Alltags mit großer Mühe verbunden. Ob eine Kiste schleppen, kochen oder einen Brief öffnen: Oft stößt sie auf   Tätigkeiten, die sie wegen ihrer Behinderung nur schwer oder gar nicht erledigen kann. Doch zum Problem wird das nicht, denn  dafür hat sie Lillian Bocksch, ihre Persönliche Assistentin. Sie begleitet ihre Arbeitgeberin durch den Alltag und geht überall dort zur Hand, wo Unterstützung nötig ist. „So kann ich ein selbstbestimmtes Leben nach meinen eigenen Vorstellungen führen“, erklärt  Pichler im Gespräch.

Selbstbestimmung. Das Konzept der Persönlichen Assistenz entstand in den 1990er Jahren aus der „Selbstbestimmt Leben“-Bewegung. Die Betroffenen forderten endlich echte Gleichstellung und wollten traditionelle Formen der fremdbestimmten Behindertenhilfe überwinden. Betreuung lehnten sie insgesamt ab, weil sie sich von diesem Ansatz auf die Rolle von passiven  HilfsempfängerInnen reduziert fühlten. Ihr Anspruch war es, selbst zu entscheiden, wann, wo und durch wen sie Unterstützung bekamen. So entstand ein ganz neues Modell: Persönliche Assistenz. Bald entwickelten sich auch Formen, die Assistenz in der  Praxis zu organisieren. „Ich habe mich für das ArbeitgeberInnenmodell entschieden“, berichtet Pichler: „Meine Assistentinnen sind  direkt bei mir angestellt, ich bin also für alles selbst verantwortlich – vom Bewerbungsgespräch bis zur Abrechnung.“ Das bedeutet  natürlich einiges an Arbeit, denn Pichler hat insgesamt drei Assistentinnen. Da müssen Dienstpläne koordiniert, Bürokratie erledigt  und Sozialabgaben gezahlt werden.

Nicht alle Menschen wollen neben Beruf und Familie noch ein kleines Assistenzunternehmen führen. Deshalb gibt es Dienstleister,  die diese Aufgaben für ihre KundInnen übernehmen – zum Beispiel das Zentrum für Kompetenzen im dritten Wiener Gemeindebezirk. Wer dort Beratung sucht, trifft Angelika Pichler wieder. Sie arbeitet als sogenannte Peer-Beraterin. Das heißt, sie als behinderte Frau  berät andere behinderte Menschen in Sachen Persönliche Assistenz und darüber hinaus. „Wir helfen bei der Suche nach geeigneten  AssistentInnen, stehen bei etwaigen Schwierigkeiten zur Seite und erledigen die Abrechnung im Auftrag unserer KundInnen.  Außerdem sind die AssistentInnen nicht bei den ArbeitgeberInnen, sondern direkt beim Zentrum angestellt“, erklärt Pichler ihre  Arbeit.

Auch hier im Büro ist Angelika Pichler ständig in Begleitung ihrer Assistentinnen. Wenn sie einen Workshop hält, schreibt jemand für  sie das Flipchart. Wenn sie ihre Unterlagen ordnet, geht ihr jemand zur Hand. Und auch wenn sie nach getaner Arbeit nach  Hause fährt, ist die Assistentin immer mit dabei. „Es ist schon gewöhnungsbedürftig, ständig jemanden um sich herum zu haben,  zumal die Assistentin ja relativ viel über mich und mein Privatleben erfährt“, so Pichler. „Anwesend sein und sich trotzdem  unsichtbar machen“, ist deswegen eine Qualität, die sie bei ihren Assistentinnen besonders schätzt.

Lillian arbeitet schon seit mehr als einem halben Jahr bei Pichler. „Anfangs war ich sehr unsicher“, erzählt die Studentin und lächelt:  „Ich wusste nicht, wie sehr ich mich einbringen sollte, ob ich selbst entscheiden oder besser auf Anweisungen warten sollte.“  Pichler habe ihr aber alles ganz genau erklärt und daher fiel ihr das Einarbeiten nicht schwer.

Anleitung. AssistentInnen arbeiten ausschließlich auf Anleitung, das heißt, sie müssen weder selbst Entscheidungen treffen, noch  die Verantwortung für die ArbeitgeberIn übernehmen. Für Pichler ist dies ein wichtiger Punkt: „Ich will schließlich das machen  können, was für mich gerade passt und mich darin auch niemandem erklären müssen.“ Natürlich erfordere dieser Ansatz auch eine sehr gute Anleitungskompetenz, denn schließlich müsse der Assistentin in jedem Moment klar sein, was von ihr verlangt werde. Die Regelungen zur Finanzierung von Persönlicher Assistenz sind bislang in allen Bundesländern unterschiedlich. In Wien können die  Betroffenen seit 2008 die sogenannte „Pflegegeldergänzungsleistung für Persönliche Assistenz“ beim Fonds Soziales Wien  beantragen. Auf Basis einer Selbsteinschätzung wird dann der nötige Assistenzbedarf ermittelt und die entsprechende Geldleistung  bewilligt.

Über 180 Personen beziehen in Wien Persönliche Assistenz. „Verglichen damit, wie viele behinderte Menschen es gibt, ist das sehr  wenig“, so Pichler. In der Tat, denn alleine in der Hauptstadt gibt es rund 1500 behinderte Menschen, die in stationären  Einrichtungen ohnen und mit Persönlicher Assistenz vielleicht ein selbstbestimmtes  Leben führen könnten. Allerdings ist die  Bewilligung der Leistungen an einige Bedingungen geknüpft, zum Beispiel daran, dass an in einem privaten Haushalt lebt.  Ist eine  Person aber in einer Einrichtung  des Betreuten Wohnens untergebracht, kann sie – beispielsweise für Freizeitaktivitäten – keine Persönliche Assistenz beantragen. Dennoch ist die Situation in Wien, verglichen mit den anderen Bundesländern, noch gut: Dort leben nur eine Handvoll Menschen mit Assistenz. In Niederösterreich waren es 2010 rund 30, in Salzburg gar nur vier Personen. „Dabei wäre es sehr wichtig, die Assistenz auszubauen und jene Personengruppen einzubeziehen, die derzeit keinen Anspruch auf  die Leistungen haben“, meint Pichler.

Studijob. Lillian hat indes als Persönliche Assistentin den optimalen Nebenjob für sich gefunden. „Ich habe schon viel probiert, aber die Interaktion mit Menschen liegt mir einfach sehr.“ Früher hatte sie kaum Kontakt zu behinderten Menschen: „Jetzt aber habe   ich einen persönlichen Zugang zu dem Thema und weiß ansatzweise, wo die Probleme liegen.“ Außerdem könne sie die   Assistenz sehr gut mit ihrem Studium vereinbaren: „Man kann die Dienste an den eigenen Stundenplan anpassen und auch   entscheiden, ob man geringfügig oder voll angestellt sein möchte“, fügt sie hinzu. Und wie Menschen reagieren, wenn sie von ihrer  Arbeit erzählt? „Viele sagen: ‚Das könnte ich nicht‘, das hat mich verwundert. Aber sonst gibt es immer positive Reaktionen und  viele Fragen.“

Wenn du Interesse hast, als PersönlicheR AssistentIn zu arbeiten, melde dich  beim „Zentrum für Kompetenzen“ unter pa@zfk.at.

AutorInnen: Esther Jauk