Menschenrechtsverletzungen zur Terrorprävention
Vorratsdatenspeicherung, Überwachung und höhere Ausgaben für Polizei und Militär: So sieht die aktuelle Antwort der Politik auf Terror aus. Tiefgreifende Maßnahmen zur Gewaltprävention fehlen.
Im Jänner kündigte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ein Maßnahmenpaket zum „Kampf gegen Terror“ an, das ca. 300 Millionen Euro kosten sollte. Und das nur wenige Tage nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ und einen koscheren Supermarkt in Paris. Nicht nur in Österreich waren Terror und seine Prävention für einige Wochen das scheinbar einzig relevante Thema. Auch auf EU-Ebene wurden – und werden nach wie vor – Terrorpräventionsmaßnahmen diskutiert, deren Sinnhaftigkeit allerdings fragwürdig ist.
Sowohl in Frankreich als auch in Dänemark wird Vorratsdatenspeicherung betrieben, meint Thomas Lohninger, Geschäftsführer des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat). Trotzdem konnten die islamistischen Anschläge in Paris und Kopenhagen nicht verhindert werden. „Bei keinem der Anschläge der letzten Jahre in Europa hat es an Daten gemangelt.“ Dass jetzt in Österreich über eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung von Telefonverbindungen diskutiert wird, ist daher unnachvollziehbar. Die EU-Richtlinie, die die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten vorsah, wurde im April 2014 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) für verfassungswidrig erklärt. Diese Entscheidung war das Ergebnis einer Klage, die der AK Vorrat gemeinsam mit anderen Kläger_innen gegen die Richtlinie eingebracht hatte.
Wegen dieser EuGH-Entscheidung steht nun auch statt der Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten jene von Reisedaten stärker im Fokus der Sicherheitspolitik. Sie würde eine anlasslose Massenüberwachung von allen Reisebewegungen darstellen. Für Lohninger ist klar, dass diese ebenso verfassungswidrig wäre. Sie würde unter anderem gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention – das Recht auf Privat- und Familienleben – verstoßen. Es wären dann nicht mehr nur Kameras auf Bahnhöfen und Flughäfen, die unsere Reisen aufzeichnen. Die lückenlose Überwachung würde mit elektronischen Datenbanken, in denen alle Flugdaten gespeichert würden, erfolgen. Hier spielen auch migrationspolitische Interessen der EU eine Rolle. Das zeigt sich zudem in der Forderung nach verstärkten Grenzkontrollen, die zur Terrorprävention nur wenig Sinn ergeben: Bei den meisten Anschlägen in Europa in den letzten Jahren haben die Täter_innen die Grenzen des Schengenraums nie überschritten.
FEINDBILD MUSLIM_INNEN. Die Menschenrechtsexpertin Marianne Schulze erklärt, dass die zur „Terrorprävention“ erfolgten und geplanten Grundrechtsverletzungen demokratisch hoch problematisch seien: „Rechtsstaatlich sind diese Maßnahmen schwer zu legitimieren, politisch wird aber mit der öffentlichen Sicherheit argumentiert. Die latenten Ängste der Bevölkerung können dazu genutzt werden, Menschenrechtsverletzungen zu rechtfertigen.“ Der Trugschluss, dass Anschläge dadurch verhindert werden könnten, entsteht laut Schulze „durch das Schüren von Angst, die mit sehr stark inszenierten politischen Machtdemonstrationen einhergeht, die das Gefühl der Sicherheit suggerieren sollen.“
Als 2011 bei einem Anschlag in Norwegen 77 Menschen starben, wurden all diese nun geplanten Maßnahmen nicht diskutiert. Der Täter Anders Breivik legitimierte seinen Anschlag antimuslimisch und bezog sich in seinem „Manifest“ stark auf das Christentum. Die Tat wurde meistens als „Massaker“ oder „Massenmord“, nicht aber als „Terroranschlag“ bezeichnet. Eine Debatte über das Gefahrenpotential der christlichen Religion blieb ebenso aus wie jene über „Terrorprävention“.
Dieses Ungleichgewicht der Aufmerksamkeit von Politik und Medien und die Selektivität, mit der der Ausdruck „Terror“ verwendet wird, zeigte sich auch diesen Winter, als eine rassistisch motivierte Anschlagserie auf Moscheen in Schweden mit fünf Verletzten kaum wahrgenommen wurde. Niemand sprach hier von der Notwendigkeit der Verteidigung „westlicher Werte“, wie etwa der Religionsfreiheit oder dem Schutz vor Diskriminierung.
Wenn Täter_innen aus der christlichen Mehrheitsgesellschaft kommen, werden sie nicht als Terrorist_innen bezeichnet. Umgekehrt werden Muslim_innen – ohne im Geringsten mit gewalttätigen Anschlägen zu sympathisieren – voreilig als Terrorist_innen wahrgenommen. Die Angst und der Hass richten sich gegen Muslim_innen. Marianne Schulze beobachtet die Auswirkungen der sicherheitspolitischen Stimmungsmache: „Die Dämonisierung von ganzen Bevölkerungsgruppen verstärkt latente Ressentiments, die Übergriffe zur Folge haben.“
KEINE PROBLEMBEARBEITUNG. Bei rechtsextremen und islamistischen Anschlägen lassen sich einige Parallelen ausmachen. Eine davon ist der Antisemitismus, der in Europa laut einer Studie des Pew Research Centers wieder ansteigt und offener und mörderischer als in den letzten Jahrzehnten auftritt. Um diesen Phänomenen entgegenwirken zu können, braucht es Aufklärung, besonders bei Jugendlichen. Katja Schau und Frank Greuel vom Deutschen Jugendinstitut weisen darauf hin, dass bei der Präventionsarbeit mit Jugendlichen eine Orientierung an deren Lebensrealität notwendig sei. Ansonsten sei es nicht möglich, das Vertrauen von Jugendlichen zu gewinnen und erfolgreiche Vorbeugungsarbeit zu leisten. Das gilt gleichermaßen für die Prävention von Islamismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus. „Die wichtigste Terrorprävention ist und bleibt die umfassende Verwirklichung des Menschenrechts auf Bildung für alle und damit verbunden die Sicherung der Umsetzung des Menschenrechts auf Arbeit“, ist Menschenrechtsexpertin Schulze überzeugt. Zum 300-Millionen-Sicherheitspaket der Innenministerin meint sie: „Würde man diese Summe in den Bildungsbereich stecken, wäre das wirklich nachhaltige Prävention.“
Katharina Gruber studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien.