Land der Äcker?
„Land der Äcker?“
Bodenversiegelung und Flächenfraß sind nicht nur baukulturelle Sünden. Warum die Folgekosten uns alle etwas angehen.
Eine Ortseinfahrt in Österreich: Zuerst Lidl, dann ein Obi, Bellaflora, Fressnapf, McDonalds und Shoe4You. Vor den Geschäften unzählige Stellplätze, die auf PKWs der Kund*innen warten. Das ganze selbstverständlich weit außerhalb der Ortskerne, es könnte ja sonst jemand die Sinnhaftigkeit des Autos in Frage stellen. Dies ist hierzulande leider ein allzu gängiges Ortsbild. Österreich gehört bei der Einkaufsfläche pro Kopf zu den Spitzenreitern in Europa. 51% der Handelsflächen werden auf die „grüne Wiese“ gebaut, was dazu führt, dass Bodenversiegelung und Zersiedelung in einem besorgniserregenden Ausmaß voranschreiten. In punkto Versiegelung, also die luft- und wasserdichte Verbauung, Betonierung oder Asphaltierung von natürlich gewachsenem Boden, sind wir Europameister. Laut Umweltbundesamt werden rund 13 Hektar Boden pro Tag in Österreich verbaut. Zudem haben wir eines der dichtesten Schnellstraßennetze des ganzen Kontinents.
Doch nicht nur Mobilität und unsere Einkaufspräferenzen, auch unsere Wohnbedürfnisse tragen zu diesem massiven Flächenfraß bei: Der Traum vom Haus im Grünen oder vom Nebenwohnsitz am Waldrand. Die Frage ist nur, geht sich das in der Zukunft noch aus? Können wir uns dieses Tempo beim Verbauen der Landschaft weiter leisten? Boden ist eine nicht-erneuerbare Ressource. Es benötigt rund 200 Jahre, bis 1 cm Boden nachwächst. Was wir also heute verbauen, geht für eine längere Zeit verloren.
Sind Zersiedelung und Flächenfraß also ein österreichischer Fetisch? Schon Thomas Bernhard charakterisierte die Veränderung der Landschaft in seinem Roman „Holzfällen“: „Da wo noch vor 20 Jahren die schönsten Wiesen und Weiden gewesen sind, stehen jetzt dutzende sogenannte Einfamilienhäuser. Eines hässlicher, wie das andere […] Da wo ein Wäldchen war, da wo ein Garten aufblühte im Frühjahr […] wuchern jetzt die Betongeschwüre unserer Zeit, die auf Landschaft, überhaupt auf Natur, keinerlei Rücksicht mehr nimmt und die nur von der politisch motivierten Geldgier beeinflusst ist.“
Ursachen der Zersiedelung in Österreich
Die Anfänge dieser Entwicklung in Österreich liegen im Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum der 1950er und 1960er Jahre. Der Wirtschaftsaufschwung brachte eine erhöhte Nachfrage nach Fläche mit sich. Gleichzeitig verlor die Landwirtschaft immer mehr an Bedeutung. Der Druck auf Grundbesitzer und Gemeinden, mehr Bauland bereitzustellen, wurde größer. Es wurde umgewidmet, was das Zeug hält. Grünland, allen voran landwirtschaftliche Fläche, wurde als Bauland ausgewiesen. Das Wachstumsversprechen war damals so groß, dass mehr Bauland zur Verfügung gestellt wurde, als tatsächlich Nachfrage bestand.
Doch von Rückwidmung heute keine Rede, aus einem einfachen Grund: Boden erfährt bei einer Umwidmung eine Wertsteigerung. Wird beispielsweise eine landwirtschaftliche Fläche als Bauland gewidmet, so bringt das in der Regel mehr Geld für den*die Eigentümer*in. Diese*r hat auf Wertverlust durch Rückwidmung in Grünland natürlich wenig Lust. Ist der Boden also einmal Bauland, wird er zu einer attraktiven Wertanlage.
Bildvorschlag: Baugrund zu verkaufen (im Anhang); Copyright: Johann Jaritz, Wikimedia Commons, lizensiert unter CC BY-SA 4.0; Collage: Christina Kirchmair
Betongold
Die Aussicht auf hohe Renditen locken auch Investor*innen an, die oftmals die Flächen nicht bebauen, sondern nur darauf spekulieren, dass der Boden mit der Zeit an Wert gewinnt. Das führt unter anderem zu dem Umstand, dass Flächen in besten Lagen nicht genutzt werden und verfallen, während die Siedlungsentwicklung an den Ortsrändern und in der „grünen Wiese“ weiter voranschreiten muss. Das treibt Bodenpreise in die Höhe und beschleunigt die Zersiedelung. Expert*innen fordern hier gegen Spekulation durch Baulandhortung gesetzlich vorzugehen, beispielsweise mittels Fristsetzung, innerhalb derer das Grundstück bebaut werden muss, andernfalls drohen Sanktionen.
Vor allem seit der Finanzkrise 2008 ist der Lockruf des „Betongolds“ besonders laut. Seit damals wird Grund und Boden verstärkt finanzialisiert und ist als Anlagegut begehrt. Und das zahlt sich aus. In den Jahren 2010-2020 ist der Bodenpreis in Österreich im Durchschnitt um 71,64% gestiegen. Erfreulich zwar für Anleger*innen und Besitzer*innen, doch der Profit einiger weniger kommt der Allgemeinheit teuer zu stehen. Die Mieten steigen hierzulande stärker als die Löhne. In Ballungszentren ist Wohnraum unerschwinglich, ein Viertel der Bevölkerung gibt mehr als 50% des Einkommens für Wohnen aus. Längst sind es nicht mehr die Baupreise, sondern die Baulandpreise, die die Mieten in die Höhe treiben. Unter diesen Gesichtspunkten mutet es paradox an, dass Boden auf dem freien Markt gehandelt wird, obwohl er sich nicht vermehren kann.
Verbaute Zukunft
Doch steigende Mieten sind nicht der einzige Effekt, den unser verantwortungsloser Umgang mit Boden mit sich bringt. Durch die zunehmende Zersiedelung und das Bauen auf der „grünen Wiese“ steigen die Ausgaben für Infrastruktur. Auch Gebiete am Stadtrand wollen mit Straßen und Kanal erschlossen werden, während gleichzeitig Ortskerne und ganze Dörfer aussterben. Nicht nur volkswirtschaftlich entsteht hier ein Schaden durch die Verbauung, auch die Natur leidet. Boden erfüllt zahlreiche Ökosystemdienstleistungen. Er ist Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten, er ist eine wichtige CO2-Senke, er reinigt Wasser und saugt es auf, was gerade bei Starkregen und Unwettern von Bedeutung ist, wenn man Überschwemmungen entgegenwirken will. Außerdem hat er eine temperaturabsenkende Wirkung und verhindert die Entstehung von Hitzeinseln. Versiegelter und verbauter Boden kann all diese Ökosystemdienstleistungen nicht mehr erfüllen. Gerade unter dem Aspekt der Klimakrise muss Bodenschutz ein zentrales Anliegen der Debatte darstellen.
Durch den zunehmenden Flächenfraß und -verbrauch, vor allem von landwirtschaftlichen Ackerflächen, sinkt die Ernährungssicherheit. Das in der Corona-Krise oft beschworene Eigenversorgungspotenzial mit Lebensmitteln wird uns in naher Zukunft nur mehr im Rückblick ein Begriff sein. Zersiedelung und überbordende Bodenversiegelung sind also nicht nur baukulturelle Sünden.
Kontrolle wäre besser
Grundsätzlich wären Raumordnung und Raumplanung dafür zuständig, Flächenfraß und Zersiedelung einzudämmen. Diese sind aber in Österreich Querschnittsmaterien, Kompetenzen und Instrumente sind zwischen Bund, Land und Gemeinden aufgeteilt. So obliegen beispielsweise Entscheidungen über die Flächenwidmung dem Gemeinderat, der oft fachlich nicht genug mit der Materie vertraut ist oder von monetären oder politischen Zwängen abhängig ist, sprich wiedergewählt werden will und so unbequeme Entscheidungen oft umgeht. Die Landesregierung kommt ihrer Pflicht als Aufsichtsorgan oft zu wenig nach.
Das führt dann zu Entscheidungen, die zwar für Einzelne von Vorteil, für die Allgemeinheit aber von Nachteil sind. So kommt es, dass beispielsweise der Zugang zu Österreichs Seen nahezu vollständig verbaut und privatisiert ist, unberührte Natur oft Seilbahnen weichen muss und leerstehende Luxusimmobilien in Tourismusorten mittlerweile das Ortsbild prägen.
Boden für alle
„Eine gute Bodenpolitik ist die Voraussetzung für eine gerechte, ökologische und schöne Welt“, so Angelika Fitz, Direktorin des Architekturzentrums Wien (AzW) im Rahmen der (virtuellen) Eröffnung der Ausstellung „Boden für alle“. Die Ausstellung, die bis 03.05.2021 im AzW zu sehen ist, macht deutlich, wie der sorglose und kapitalgetriebene Umgang mit der Ressource Boden unsere Dörfer und Städte verändert, möchte Zusammenhänge greifbar machen und aufrütteln. Genau recherchierte Zahlen und Daten zu dem Thema werden in der Ausstellung comichaft illustriert und aufbereitet, sodass die trockene Statistik doch etwas greifbarer wird. So wird beispielsweise dargestellt, wie unser Steuersystem Flächenverbrauch begünstigt. Immobilien-relevante Steuern wie die Grundsteuer oder die Bodenwertabgabe sind vergleichsweise niedrig, während Faktoren wie Arbeit hierzulande hoch besteuert werden. Steckt hier Potenzial für ein Umdenken?
Lösungsansätze
Die Ausstellung möchte gleichzeitig Lösungsansätze und Alternativen präsentieren sowie skizzieren, wie eine mutige Bodenpolitik aussehen könnte. So wird das Fallbeispiel des Kantons Basel in der Schweiz als Best-Practice gezeigt. In der Schweiz sieht das Bundesgesetz für Raumordnung vor, dass 50% der Wertsteigerung, die ein Grundstück erfährt, wenn es als Bauland „hochgewidmet“ wird, in einen Fonds fließen. Dieser Fonds ist zweckgewidmet und wird für das Anlegen von Grünflächen, Parks und die Renaturierung von Stadtteilen verwendet, was zur Verbesserung der Lebensqualität der Bewohner*innen beiträgt. In Österreich steht die Wertsteigerung eines Grundstücks allein dem*der Eigentümer*in zu. Die Folgekosten der Verbauung trägt die Allgemeinheit.
Doch Eigentum verpflichtet, sein Gebrauch soll der Allgemeinheit dienen. So steht es zumindest im deutschen Grundgesetz, was den dortigen Gerichten in Bezug auf raumsparende und bodensparende Grundsatzentscheidungen mehr Handlungsspielraum eröffnet. In Österreich ist Bodenschutz in der Raumordnung aufgrund der verfassungsrechtlichen Unverletzbarkeit von Eigentum schon schwieriger durchzusetzen.
Eine weitere Möglichkeit, bodensparendes Bauen zu fördern, wäre Bodenschutz als Kriterium für Wohnbauförderungen durchzusetzen. Die Gemeinde Zwischenwasser in Vorarlberg wiederrum stoppt die Außenentwicklung auf der grünen Wiese, indem sie Siedlungsgrenzen definiert, über die die Gemeinde nicht hinausbauen bzw. hinauswachsen soll. Bestehende Flächenreserven innerhalb der Gemeinde und Leerstand sollen vorrangig genutzt werden.
Der Boden im Fokus
Nicht nur die aktuelle Ausstellung im Architekturzentrum zeigt, dass das Bewusstsein über Bodenverbrauch und Flächenversiegelung langsam wächst. Auch der Baukulturgemeindepreis 2021 stellt mit dem Motto „Boden g´scheit nutzen“ die Ressource Boden in den Mittelpunkt. Auch der „Verein Bodenfreiheit“ wird tätig. Der Verein kauft aktiv Grün- und Freiflächen auf, um sie vor der Bebauung zu schützen.
Der Unmut der Bevölkerung über den Ausverkauf der Heimat zugunsten von Skiliften, Luxusimmobilien oder Einkaufsparks drückt sich auch in Wähler*innenstimmen aus. In Schladming und Haus im Ennstal wurden unabhängige Bürger*innenlisten bei den Gemeinderatswahlen gestärkt und alte Bürgermeister*innen abgewählt. Die Neuen haben nun eine zweijährige Bausperre für ihre Gemeinden verhängt. Das Thema wird heiß diskutiert. Wir alle müssen unsere eigenen Bedürfnisse hinterfragen und sind aufgerufen uns zu beteiligen, um für eine neue Politik zu sorgen. Es tut sich also was, im Land der Äcker.
Sebastian Hafner studiert Raumforschung und Umwelt-Bioressourcenmanagement in Wien