Kaiser, Knödel und Krowoden
Was macht einen „echten“ Österreicher aus? Was kennzeichnet eine „wahre“ Österreicherin? Ist es das „Häferl“ Kaffee, das Schnitzel zum Abendessen oder die verstaubte Lederhose in der hintersten Ecke des Schrankes? Ist es die besondere Verbundenheit zu Nöstlingers Gretchen Sackmeier („Du begreifst einfach die Gewichtigkeit nicht!“) oder die Wertschätzung des Wiener Grinds? Jelinek hat man sowieso im Regal stehen, Klimts Kuss prangt auf dem Jutebeutel und das Selfie mit Van der Bellen wird auch pflichtgetreu auf Facebook gestellt. Sieht so „a woschechta Österreicha“ aus?
Nicht unbedingt. Denn in Österreich leben sechs gesetzlich anerkannte autochthone Volksgruppen, allesamt mit eigener Kultur, Tradition und Sprache: die Kärntner und Steirischen Slowen_innen (koroški in štajerski Slovenci), die Burgenländischen Kroat_innen (Gradišćanski Hrvati), die Ungar_innen (magyarok), die Tschech_innen (Češi), die Roma_Romnija (Le Rom) und die Slowak_innen (Slováci). Sie sind ein oft totgeschwiegener und mundtot gemachter Teil des Landes. Ein kurzer Abstecher in die Reanimationskammern.
Stürmische Täler und wilde Bergvölker
Jenes Bundesland, welches bei der letzten Wahl in eiskaltem Blau erstrahlte, ist die Heimat der autochthonen Minderheit der Kärntner Slowenen_innen. Zwischen den malerischen Bergen des Gailtales, den sanften Weiden des Rosentales und den rauschenden Flüssen des Jauntales liegt das Siedlungsgebiet der Volksgruppe. Trotz Postkartenidylle eine eher lebensfeindliche Umgebung, in der Braun stets die Modefarbe bleibt. Unvergessen bleibt dabei der Ortstafelsturm 1972, bei dem zweisprachige Ortstafeln demontiert und zerstört wurden, oder die Ortstafelverrückung unter Jörg Haider, welche diese obsolet machte. Die politische Vertretung teilen sich heute drei Organisationen. Diese Dreiteilung wird kritisiert, da die Gefahr von gegenseitiger politischer Behinderung und somit Ineffizienz für die Belange der Volksgruppe besteht. Doch sehen sich viele Minderheitenangehöriger sowieso eher auf der Straße als in der Regierung. Denn nicht umsonst besagt ein Sprichwort: „Jede_r Kärntner Slowen_in war schon im Mutterleib auf der ersten Demo.“ Beispiele reichen von der Partisan_innenbewegung über die Besetzung des Wiener Christbaumes unter dem Motto „Apartheit bringt uns auf die Palme“, bis zum Aufruhr in der Landesregierung, als 30 Jugendliche während des Beschlusses bezüglich der Landessprache aufstanden und ein Protestlied anstimmten. Hubert Mikel, Schriftführer des Österreichischen Volksgruppenzentrums (ÖVZ), meint dazu: „Die Kärntner Slowen_innen sind im Land nicht gleichberechtig. Dass Slowenisch in der Geschichte eine ebenso wichtige Rolle bei der Entstehung des Landes Kärnten gespielt hat, wird nicht berücksichtigt.“.
E-gitarre und Tamburica
„Ja sam živ dok su žive moje želje“ (Ich bin nur solange lebendig wie es meine Wünsche sind) brummt der Liedsänger der Coffeshock Company ins Mikrofon. Die burgenländischen Kroat_innen zeichnen sich vor allem durch eine einzigartige Musikszene aus. Von „SuperSkunkRockReggae“ by Coffeshock bis zum „Krowodnrock“ der Gruppe “Turbokrowodn” sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Gesungen wird also sehr wohl kroatisch, jedoch wird die Sprache sonst, wie alle Minderheitensprachen, vor allem im Privaten gebraucht. Im Burgenland gibt es zweisprachigen Unterricht an Volkschulen. Neben einzelnen Schulversuchen gibt es ein zweisprachiges Gymnasium, das aber angesichts der Größe der Volksgruppe für deren Bedürfnissen nicht ausreicht. Die Muttersprache als Amtssprache gebrauchen kann die Minderheit im Burgenland in vielen Gemeinden. Jedoch wurden viele Ortschaften, in denen eine beträchtliche Anzahl an Kroat_innen lebt, in die sogenannte Amtsprachenverodnung nich miteinbezogen. Die politischen Forderungen an die Regierung werden im Volksgruppenbeirat artikuliert , der die Regierung in Volksgruppenfragen und bei der Verteilung der Geldmittel berät. Im Jahr 2000 wurden in 47 Orten und Ortsteilen des Burgenlandes nach einer Verordnung der Bundesregierung deutsch-kroatische Ortstafeln aufgestellt.
(Un)artikuliert
Der Artikel 7 des Staatsvertrags von 1955 ist das rechtliche Rückgrat der österreichischen Minderheiten. Mit diesem Dokument wurden die Rechte der Minderheiten neu geregelt und die Republik zur Erfüllung dieser verpflichtet. Der Staat wird jedoch Jahr für Jahr rechtsbrüchig. Der Artikel 7 gilt nicht für die Ungar_innen, welche erst 21 Jahre später anerkannt wurden. Das bedeutet, dass sich die ungarische Minderheit nicht auf den Staatsvertrag berufen kann. Auch Ungarisch wird hauptsächlich im Privaten praktiziert und ist nirgends als Amtssprache zugelassen. Nichtsdestotrotz wurden seit dem Jahre 2000 vier zweisprachige Ortstafeln im Siedlungsgebiet der Volksgruppe aufgestellt. Neben bilingualen Kennzeichnungen ist ein weiteres Anliegen der Minderheiten das Anrecht auf Medien in der Muttersprache. Dies führte in der Vergangenheit zu Auseinandersetzungen mit dem ORF. Für die Volksgruppe gibt es derzeit drei Radiosendungen: täglich ein fünf-minütiges Journal, wöchentlich ein halbstündiges Magazin und eine Kultursendung. Im Fernsehen ist die Volksgruppe mittels der 25-minütigen Sendung „Adj´Isten Magyarok“ vertreten, welche vier Mal jährlich gesendet wird.
Privatschüler_innen
Wer nun im 14. Bezirk den Hlavačekweg entlangspaziert, befindet sich in der richtigen Szenerie für die Geschichte der Wiener Tschech_innen. Nach dem kommunistischen Februarputsch in Prag 1945 kam es zu einer ideologischen Spaltung der Volksgruppe, welche bis in die nächsten vier Jahrzehnte fortwirkte. Erst nach der „Samtenen Revolution“ von 1989 konnte eine Zusammenarbeit zwischen Minderheitsrat und Vereinigung entstehen.
Die slowakische Minderheit ist seit 1993 als eigenständige Volksgruppe in Österreich anerkannt. Sie gilt als die kleinste staatlich anerkannte Minderheit. Der Wiener Tennisclub „Slavia“ ist der einzige slowakische Sportverein Österreichs.
Derzeit setzen sich die slowakische und tschechische Minderheit für eine zweisprachige Schule ein. Bis dato bietet einzig die Privatschule Komensky eine Möglichkeit. Hubert Mikel vom Österreichischen Volksgruppenzentrum meint dazu: „In Wien gibt es kein Minderheitenschulgesetz. Jedoch brauchen wir unbedingt eine angemessene zweisprachige Ausbildung. Allein die Komensky Schule, in der tschechisch-deutsch und slowakisch-deutsch unterrichtet wird, entspricht dieser Anforderung. Trotzdem ist diese Schule finanziell nicht abgesichert und die Eltern der Schüler_innen müssen einen großen Teil der Kosten tragen. Jedes Jahr wird gebangt, ob die Schule genug Geld zusammen bekommt, um den Unterricht fortzusetzen. Meiner Meinung nach ist das Diskriminierung der Minderheiten in Wien.“
Die Totgeschwiegenen
Man kennt sie als „vergessene Steirer_innen“. Die steirischen Slowenen_innen sind das Beispiel für eine Volksgruppe, die durch Missachtung des Staates mehr oder weniger wegassimiliert wurde. Politisch wird diese Minderheit im Volksgruppenbeirat vom 1988 gegründeten „Artikel-VII-Kulturverein für Steiermark“ vertreten. Die Gründungsmitglieder wollten das Sich-Selbst-Verschweigen der Minderheit beenden und begannen sich für die Volksgruppe stark zu machen. 1993 schickte Franz Fuchs daraufhin dem Minderheitenrechte-Aktivisten Wolfgang Gombocz eine Briefbombe. Doch der Verein blieb bestehen und 2001 wurde die Staatsvertragsminderheit anerkannt. Dennoch gibt es in der Steiermark bis heute weder zweisprachige Ortstafeln, noch eine slowenischsprachige Mittelschule, noch ein zweisprachiges Amt. Was die Medien betrifft erinnert sich Hubert Mikel: „Für die Erweiterung der slowenischen Sendungen in die Steiermark musste sich das ÖVZ beim Verfassungsgericht beschweren. Es ist uns gelungen genug Unterschriften für eine Publikumsbeschwerde zu sammeln, um beim zuständigen Senat Beschwerde einzulegen. Der ORF hat sich bis zuletzt gewehrt, aber das Verfassungsgericht hat zu unseren Gunsten entschieden. Die Steirischen Slowen_innen können nun die slowenischen Fernsehsendungen und das slowenische Radio aus Kärnten empfangen.“
Etikettiert
Während des nationalsozialistischen Regimes fielen 2/3 der österreichischen Roma und Romnija dem Holocaust zum Opfer. Die Verbliebenen sind bis heute Ausgrenzung und Hetze ausgesetzt. 1995 wurden vier Roma in Oberwart von einer von Franz Fuchs gebauten Rohrbombe getötet. Die Sprengfalle ging bei dem Versuch los, das Schild mit der Aufschrift „Roma zurück nach Indien“ zu entfernen. Die Minderheit ist stets mit Vorurteilen behaftet gewesen und dieses Stigma wirkt bis heute fort. Bis heute gibt es keine_n einzige_n Roma der_die ein politisches Mandat innehat. Roma haben kein Mutterland im Sinne der anderen Volksgruppen, sondern leben seit mehreren hundert Jahren im Burgenland, in Wien und Niederösterreich. Es gibt derzeit keine Schulform, die Romanes als Unterrichtssprache führt. In der Vergangenheit wurde die Zugehörigkeit zur Volksgruppe oft verschwiegen. Man schämte sich für Sprache und Abstammung. Heute bekennen sich junge Roma_Romnija zu ihren Wurzeln und verarbeiten die Geschichte der Minderheiten z.B. auch in der Kunst. Vom Musikanten Harri Stojka, bis zum Schriftsteller Stefan Horvath, sie alle versuchen die Volksgruppe vom Klischee der „schmutzigen Zigeuner“ zu befreien.
Die Rettung (oder zumindest Hilfe) - Minority SafePack Initiative (MSPI)
Die Mängel bei Volksgruppenbelangen sind unübersehbar und werden schon zu lange abgetan. Die Bürger_inneninitiative Minority SafePack nimmt sich nun dieses Problems an. Sie fordert von der Europäischen Union den Schutz der über 50 Millionen Minderheitenangehörigen in Ländern der EU zu verbessern. Im Laufe eines Jahres sollen eine Million Unterschriften gesammelt werden um konkrete rechtliche Schritte vollziehen zu können, die den Schutz der Minderheiten gewährleisten und die Vielfalt Europas stärken. Jede Unterschrift zählt. www.minority-safepack.eu
Ana Grilc studiert im Zuge des Lehramts Bildnerische Erziehung an der Universität für angewandte Kunst und Psychologie und Philosphie an der Universität Wien.