Jugendarbeitslosigkeit am Arbeitsmarktkirtag
Ohne Normbiographie kein Pardon. Das gilt am Arbeitsmarkt besonders dann, wenn es sich um arbeitslose Jugendliche handelt.
Ohne Normbiographie kein Pardon. Das gilt am Arbeitsmarkt besonders dann, wenn es sich um arbeitslose Jugendliche handelt.
„Ich will ja arbeiten gehen, aber es ist verdammt schwer, eine Arbeit zu finden.“ Der 19-jährige Sebastian Steiner hat sich in den vergangenen Jahren bei 112 der 164 vom AMS für ihn vorgeschlagenen Stellen beworben. Nur wenige Unternehmen haben ihm überhaupt geantwortet, gerade eine Handvoll hat ihn zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen, ohne Ergebnis. Von der Backsteinwand hinter ihm hängen Broschüren, die vom richtigen Auftreten bei Bewerbungsgesprächen erzählen oder davon berichten, welche Biographie eine jeweilige Branche von ihm und anderen erwartet. Er ist einer von vielen arbeitslosen Jugendlichen, die regelmäßig hier in die Räume des Vereins Backbone - mobile Jugendarbeit, im 20. Wiener Gemeindebezirk, kommen, nicht nur um abzuhängen.
LEHRVERTRAG AUFGELÖST. Obwohl Sebastian gerade im letzten Semester einer Berufsschulklasse für Elektrotechnik ist, hat er keine Lehrstelle und damit auch keine Arbeit. Seine Ausbildung als Elektrotechniker hat er vor drei Jahren, nicht in einem Betrieb, sondern an einem Arbeitsplatz in einer überbetrieblichen Lehrwerkstätte begonnen. Sein Lehrvertrag wurde nach zwei Jahren einseitig von der Lehrwerkstatt aufgelöst. Ihm wurde ein körperlicher Übergriff auf einen anderen Jugendlichen vorgeworfen. Bis heute bestreitet er allerdings den Vorfall. Seither geht er einmal die Woche in die Berufsschule und muss von 120 Euro Arbeitslosengeld leben. Würde er nicht noch bei seinen Eltern wohnen, könnte er damit wohl kaum auskommen. Während er erzählt, klopft er hektisch mit seinen Fingern auf seiner Camouflage-Hose herum und unterbricht sich nur dann, wenn er sein Capi nach hinten zieht, um seine Haare zu richten. Sebastians Dilemma ist nicht nur, dass er arbeitslos ist, sondern auch, dass er zur anstehenden Lehrabschlussprüfung nur dann antreten darf, wenn er noch sechs Monate Praxis nachholt.
Wie Sebastian haben arbeitslose Jugendliche generell damit zu kämpfen, dass sie die vom Arbeitsmarkt gewünschten Vorstellungen einer Normbiographie nicht immer erfüllen können. Nach unzähligen Bewerbungsschreiben scheint er die Hoffnung aufgegeben zu haben. Mit einem Arbeitsplatz verbindet Sebastian zugleich aber den Wunsch nach einem Haus, oder zumindest einer tollen Wohnung, einem „bomben“ Computer sowie einer Familie. Mit der Zeit wird seine Stimme immer angespannter, schließlich meint er entnervt: „Es ist schwer, wirklich schwer. Es ist ja nicht so, dass wir Jugendlichen nicht arbeiten wollen. Wir dürfen nicht.“
JUGEND OHNE JOB. „Wir“, das heißt in kalten Zahlen: Die Jugendarbeitslosenquote in Österreich beträgt derzeit 7,3 Prozent. Alleine in Wien haben laut Angaben des Arbeitsmarktservice 12.800 Jugendliche im Alter von 15 bis 25 Jahren keinen Job. Gut die Hälfte davon befindet sich in Schulungsmaßnahmen. Sie holen entweder einen Hauptschulabschluss nach, beginnen eine Lehre in einer überbetrieblichen Lehrwerkstätte oder besuchen einen anderen der zahlreichen Kurse. Wer an einer dieser Weiterbildungsmaßnahmen teilnimmt, bekommt eine Entschädigung zwischen 240 und 540 Euro im Monat zur „Deckung des Lebensunterhalts“. Jugendliche, die sich in keiner Fortbildungsmaßnahme befinden, aber beim AMS gemeldet sind, werden bei der Arbeitssuche unterstützt. In Wien werden arbeitslose Jugendliche bis 21 Jahren vom Jugend-AMS betreut, eine in Österreich einzigartige Einrichtung.
Auch Sebastian ist einmal im Monat beim Jugend-AMS, am Gumpendorfer-Gürtel, bisher allerdings ohne Erfolg: „Das AMS konnte mir bisher nicht helfen. Bei einem Termin bekomme ich drei Seiten ausgedruckt und wir vereinbaren einen neuen Termin, das war’s dann.“ Darauf angesprochen, verweist die Geschäftsstellenleiterin des Jugend-AMS, Gerda Challupner, darauf, dass es ihre Aufgabe sei, Arbeitssuchenden Stellen zu vermitteln und etwaige Weiterbildungen zu finanzieren. Mit den Jugendlichen intensiver auf einer Beziehungsebene zu arbeiten, sei schon allein aufgrund der großen Zahl an KlientInnen nicht möglich.
Gerade diese beziehungsorientierte Arbeit mit den Jugendlichen scheint es aber zu brauchen: „Die Jugendlichen machen zum großen Teil sich selbst dafür verantwortlich, dass sie keine Jobs finden. In einer individualisierten Gesellschaft wird das Versagen natürlich auf einen selbst zurückgeworfen“, erklärt Fabian Reicher, Sozialarbeiter beim Verein Backbone. Und er betont, dass eine intensive Arbeit mit diesen Jugendlichen dazu führen kann, dass sie wieder eine Perspektive aufbauen und wieder Vertrauen in sich gewinnen können. Kommen Jugendliche in die Räume von Backbone, können sie ihre Zeit dort partizipativ gestalten, die SozialarbeiterInnen geben in der Regel nichts vor. Im vereinseignen Aufnahmestudio können die Jugendlichen ihre eigenen Tracks aufnehmen und vervielfältigen, viele von ihnen rappen. Ein Hintergedanke dabei: Die Jugendlichen können so stückweise ihr Selbstvertrauen wieder zurückerlangen. Jugendlich erhalten bei Backbone aber genauso Unterstützung beim Schreiben von Bewerbungen, bei AMS-Besuchen oder dem Vorbereiten auf Bewerbungsgespräche.
ORTSWECHSEL: Eine gute dreiviertel Stunde dauert die Fahrt mit den Öffis von Backbone zu Spacelab im zehnten Wiener Gemeindebezirk. Das Projekt bietet Jugendlichen die Möglichkeit, entweder in einer Kreativ- oder in einer Medienwerkstatt, tageweise oder in einem sechsmonatigen Trainingsprogramm, mitzuarbeiten. Gedacht ist es für jene Jugendlichen, die aus der Bildungs- und Arbeitswelt komplett herausfallen. In den Werkstätten können Filme, Zeitungen, Taschen oder Siebdruckwerke produziert werden. Über diese kreative und produktive Arbeit kommen die Jugendlichen nicht nur wieder mit regelmäßigen Tagesstrukturen in Kontakt, im Idealfall entwickeln sie auch wieder eine Vorstellung davon, was ihre Bedürfnisse und Wünsche im Hinblick auf ihr Leben und einen etwaigen Beruf sind.
Projekte wie Backbone oder Spacelab bieten Jugendlichen Möglichkeiten, einen Zugang zur Arbeitswelt zu entwickeln. Das Fundament, auf dem desillusionierte Jugendliche bauen, liegt hingegen anderswo. Die Bildungswissenschafterin Agnieszka Czejkowska hat sich eingehend mit dem Thema beschäftigt. Einerseits verortet sie, wenig überraschend, einen Großteil des Problems im differenzierten Schulsystem in Österreich. Auf der anderen Seite stellen für sie die zunehmenden Erwartungen des Arbeitsmarktes ein entscheidendes Problem dar: „Wir haben zum Beispiel untersucht, wie Lehrstellen ausgeschrieben werden. Dabei stellte sich heraus, dass sich diese Angebote mehr an fertig ausgebildete Jugendliche richten als an Lehrstellensuchende. Die Vorstellung davon, was Lehrlinge eigentlich sind, dass sie sich eben noch in einem Bildungsprozess befinden, scheint abhandengekommen zu sein.“ Diese Erfahrung musste Sebastian auch machen, nicht zuletzt nach seinem raschen Rauswurf aus der überbetrieblichen Lehrwerkstatt. Zur Lehrabschlussprüfung wird er nun vielleicht aber doch antreten dürfen. Eine Woche nach dem Gespräch mit ihm, hatte er wieder einen Termin beim Jugend-AMS. Dabei hat sich schließlich herausgestellt, dass er ein Arbeitstrainingsprogramm in Anspruch nehmen kann. Das heißt: Das AMS übernimmt für drei Monate die Lohn- und Versicherungskosten für die Arbeitgeberin. Das hat die Arbeitssuche für Sebastian erheblich erleichtert. Eine Stelle, die ihn unter diesen Bedingungen aufnimmt, hat er bereits gefunden. Nach drei Monaten muss er allerdings erneut um Unterstützung ansuchen. Werden ihm insgesamt sechs Monate bewilligt, dann darf er auch zur Lehrabschlussprüfung antreten. Warum ihm diese Möglichkeit vom Arbeitsmarktservice nicht schon früher angeboten wurde, bleibt fraglich.