Ich werde zurückkehren

  • 13.07.2012, 18:18

Shirin Ebadi eröffnete mit ihrer Rede das diesjährige Forum Alpbach. Die Friedensnobelpreisträgerin und Menschenrechtlerin spricht über ihre Arbeit, wegen der sie ihre Heimat verlassen musste, über europäische Firmen im Iran und die Stabilität des Regimes.

Shirin Ebadi eröffnete mit ihrer Rede das diesjährige Forum Alpbach. Die Friedensnobelpreisträgerin und Menschenrechtlerin spricht über ihre Arbeit, wegen der sie ihre Heimat verlassen musste, über europäische Firmen im Iran und die Stabilität des Regimes.

Zur Person

Shirin Ebadi (1947), die erste Richterin in der Geschichte des Irans, hat 2003 den Friedensnobelpreis bekommen, der mittlerweile aus ihrem Schließfach in Oslo verschwunden ist. Nach der Revolution 1979 wurde sie gezwungen, ihr Amt niederzulegen – weil sie eine Frau ist. Seit dem Ende der 90er Jahre übernahm sie als Anwältin im Zuge einer Mordserie an Intellektuellen immer mehr Fälle von politischen AktivistInnen. 2005 wurde sie trotz internationalem Protest vor das iranische Revolutionsgericht geladen. Ihr Menschenrechtszentrum in Teheran wurde 2008 von der Regierung wegen „Propaganda gegen das Regime“ geschlossen, kurz darauf musste sie den Iran verlassen.

PROGRESS: Frau Ebadi, fühlen Sie sich in Europa sicher?

Ebadi: Wieso stellen Sie mir diese Frage?

Weil in der Vergangenheit auch in Europa immer wieder iranische AktivistInnen ermordet wurden, die als KritikerInnen der Regierung aufgetreten sind.

Ich denke nicht sehr viel an Gefahren. Wenn ich mich zu sehr darauf konzentrieren würde, könnte ich meine Arbeit nicht fortsetzen.

Könnten Sie in den Iran heimkehren?

Ich werde dann, wenn ich mich dazu entscheide, in den Iran zurückkehren. Niemand kann mich daran hindern! Aber aufgrund der starken Zensur im Iran will ich jetzt nicht zurück, meine Stimme würde dort nicht gehört werden. Mein Büro wurde geschlossen und mein persönliches Hab und Gut beschlagnahmt. Im Iran kann ich im Moment für mein Volk nicht viel tun. Unter
diesen Umständen bin ich in Europa viel besser aufgehoben.

Wann mussten Sie erkennen, dass ihre Arbeit im Iran keinen Sinn mehr macht?

Die Lage für Menschenrechtsaktivisten war im Iran nie einfach. Aber seit den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 ist sie fast unmöglich geworden.

Wie gestaltet sich Ihre politische Arbeit fern Ihrer Heimat?

Ich sehe meine Hauptaufgabe darin, Informationen zur Verfügung zu stellen. Ich möchte, dass die Weltöffentlichkeit weiß, unter welchen Umständen und Zuständen meine Landsleute im Iran leben. Ich nehme an Seminaren teil, schreibe Artikel und Bücher. Mein letztes Buch mit dem Titel Der goldene Käfig beginnt mit dem Zitat: „Wenn du das Unrecht nicht aus dem Weg
schaffen kannst, dann stell die Verursacher des Unrechts bloß.“

Haben Europa und die USA im Umgang mit dem Iran zu sehr auf das Atomprogramm geachtet und die Reformbewegung zu wenig unterstützt?

Europa und die USA haben sich bislang im Umgang mit dem Iran nur auf ihre eigene Sicherheit konzentriert. Dabei haben sie vergessen, dass im Iran Menschen getötet werden. Ich möchte, dass den Menschenrechten in meiner Heimat mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Was halten Sie von europäischen Firmen, die Geschäfte mit dem Iran machen?

Eine Reihe von europäischen Firmen unterstützt den iranischen Staat bei der Zensur und der Überwachung. Das bekannteste Beispiel ist Eutelsat. Ich denke, dass die EU solche Firmen unter Aufsicht stellen müsste. Nicht nur Staaten, sondern auch private Firmen müssen Menschenrechte beachten. Eutelsat hat ja nicht nur in den Iran Überwachungstechnik geliefert, sondern auch nach Russland.

Wie sehr stehen beim Umgang Europas mit dem Iran humanitäre Werte im Vordergrund und welche Rolle spielen im Vergleich dazu die Geschäftskontakte?

Beides spielt eine Rolle, aber die wirtschaftlichen Kontakte sind bei den Beziehungen zum Iran zweifellos sehr wichtig. Für die Menschenrechte sehe ich da leider nicht so viel Interesse. Wäre das anders, würden die Europäer ja etwas gegen die Geschäfte von Eutelsat und Nokia machen. Nokia hat dem Iran eine Software zur Verfügung gestellt, mit der Mobiltelefone und auch das Internet zensuriert und überwacht werden können. Lassen Sie mich Ihnen noch ein anderes Beispiel geben: Von allen europäischen Staaten ist es Deutschland, das den Iran am stärksten kritisiert. Die deutsche Bundeskanzlerin nimmt sich da kein Blatt vor den Mund. Gleichzeitig hat der Handel zwischen Iran und Deutschland im Jahr 2009 floriert und ist im Vergleich zu den Vorjahren stark gewachsen. Fast das Gleiche gilt leider auch für Österreich. Wenn es um Geschäfte geht, werden die Menschenrechte schnell vergessen.

Würden Sie die Firmen wie Eutelsat und Nokia für die Verletzung und den Tod von Oppositionellen verantwortlich machen?

Diese Ausdrucksweise gefällt mir nicht. Ich bevorzuge, einfach nur zu sagen, dass diese Firmen den Iran bei der Zensur unterstützen.

Wegen der repressiven Stimmung wird die Arbeit für NGOs im Iran immer schwieriger. Die EU unterstützt sie dennoch mit Geldern. Wie viel Sinn hat das?

Die Arbeit der NGOs ist schwierig wenn nicht sogar zur Unmöglichkeit geworden. Der iranische Staat hat mittlerweile aber selber welche ins Leben gerufen. Das sind staatliche Organisationen, die sich als nicht-staatliche tarnen. Und ich weiß, dass die EU diesen Organisationen Gelder gegeben hat, damit sie rechtliche Bildung und Beratung im Iran durchführen. Echte NGOs würden sich nie trauen, diese Gelder aus dem Ausland anzunehmen. Es wird ihnen ja ohnehin schon vorgeworfen, dass sie Spionage für ausländische Mächte betreiben. Jeder Euro, den die EU investiert, geht an diese „staatlichen“ Organisationen.
 
Wie stabil ist das Regime heute?

Es gibt zur Zeit keine Stabilität. Der Abstand zwischen Regierung und Volk wird täglich größer und die Unterstützer sind gespalten. Viele der früheren Sympathisanten sind heute Kritiker. Das System ist heute seit seinem Bestehen in seiner schwächsten Phase.

Wie viel Zeit geben Sie ihm noch, ehe es zerbricht?

Politische Angelegenheiten kann man nicht mit Zeit messen.

Wie gefährlich wäre ein Iran mit Atomwaffen für den Rest der Welt?

Für den Weltfrieden und die politische Sicherheit der Welt ist ein undemokratischer Staat noch gefährlicher als eine Atombombe. Frankreich und England haben auch Atombomben, ist das etwa eine Bedrohung für die Welt? Was ist aber mit Pakistan, fühlen wir uns dort etwa sicher? Vor dieser Bombe scheint auch niemand besonders große Angst zu haben.

Hat die Revolution von 1979 dem Iran auch etwas Positives gebracht?

Vor der Revolution war der Staat sehr abhängig, vor allem von den USA. Diese Abhängigkeit ist heute nicht mehr vorhanden. Das heißt aber nicht, dass sich die wirtschaftliche Lage verbessert hat.

Was sind denn die Konzepte und wer sind die TheoretikerInnen der Grünen Bewegung im Iran?

Das ist eine demokratische Bewegung, keine ideologische Bewegung. Sie besitzt nicht die Struktur einer politischen Bewegung oder einer Partei. Das heißt, es gibt da keine Spitze, die Entscheidungen trifft. Das ist eine horizontale Netzwerkbewegung. Mussavi (Ex-Ministerpräsident Mir-Hossein Mussavi, Anm.) und Karrubi (Mehdi Karroubi, hoher shiitischer Kleriker, Anm.) sind Teil dieser Bewegung und verstärken sie durch ihre Teilnahme. Sie sind  aber keinesfalls die Führer der Bewegung. Die Bewegung wird durch die Netzwerke koordiniert.

Gibt es VordenkerInnen, die jetzt brauchbar für die Grüne Bewegung sind?

Wie gesagt, das ist eine demokratische und keine ideologische Bewegung, die vor allem ein Ziel hat: Demokratie. Deshalb kann es in dieser Bewegung auch keine Vordenker und Masterminds geben. Denken Sie zum Beispiel an den letzten Marsch: Mussavi und Karrubi haben die Menschen dazu aufgefordert, nicht auf die Straße zu gehen, nachdem die Demonstration vom Regime nicht bewilligt wurde. An diesem Tag sind die Menschen aber trotzdem auf die Straßen gegangen, und der Staat hat von 150 Festnahmen berichtet. Alleine diese Berichterstattung, dass 150 Menschen festgenommen wurden, ist ein Beweis dafür, dass die Menschen trotzdem auf die Straßen gegangen sind. Es gibt keinen Vordenker, es gibt keine Führer, es sind die Menschen, die da am Werk sind. Und das macht die Bewegung stärker.

Wie kann eine Bewegung, die so aufgebaut ist, wie Sie das beschrieben haben, die Regierenden zu Eingeständnissen bewegen?

Eine friedliche Bewegung erlaubt keine Gewaltanwendung von Seiten der Regierung. Die Grüne Bewegung ist eigentlich gut verbunden, was die Kommunikation untereinander anbelangt. Per Internet können sie gut kommunizieren. Das ist der Unterschied zwischen einer Bewegung und einer politischen Partei. Eine Bewegung stirbt nicht ab, die hat Höhen und Tiefen, aber sterben tut sie nicht. Die Grüne Bewegung im Iran lässt sich mit der Bewegung der Farbigen in den USA vergleichen. Angefangen hat das in den USA mit Martin Luther King, aber nach Martin Luther Kings Tod, war die Bewegung nicht am Ende. Wer war dort der Führer? Alle Farbigen! Und wie lange hat die Bewegung gedauert? Bis Präsident Obama ins weiße Haus einzog. So wird das auch mit der Grünen Bewegung im Iran sein, vielleicht dauert das viele Jahre, aber sie werden siegreich sein – ohne Führer.

Haben Sie einen Rat für die jungen IranerInnen, die aufbegehren?

Die iranische Jugend weiß sehr gut, was sie zu tun hat. Sie soll ihren Kampf fortsetzen. Ich bin stolz auf die iranische Jugend.

Was bedeutet für Sie Freiheit?

Das heißt, seine Meinung frei äußern zu können, ohne Angst vor dem Gefängnis haben zu müssen. Und dass man bei den Wahlen jeden wählen kann und dass man so leben kann, wie man es selbst für richtig hält. Dass man frei wie ein Vogel leben kann (lacht).

AutorInnen: Martina Burtscher, Wolfgang Zwander