"Ich hätte gerne Zugangsregeln gehabt"
Im zweiten Teil der progress-SpitzenkandidatInnendiskussion mit Florian Lerchbammer (AG), Anna Lena Bankel (FEST), Florian Kraushofer (FLÖ), Marie Fleischhacker (GRAS), Claudia Gamon (JuLis) und Julia Freidl (VSStÖ) werden Positionen zu Zugangsbeschränkungen, Studienorientierung und Frauenförderung abgeklopft. Oona Kroisleitner und Georg Sattelberger moderierten die Runde.
Im zweiten Teil der progress-SpitzenkandidatInnendiskussion mit Florian Lerchbammer (AG), Anna Lena Bankel (FEST), Florian Kraushofer (FLÖ), Marie Fleischhacker (GRAS), Claudia Gamon (JuLis) und Julia Freidl (VSStÖ) werden Positionen zu Zugangsbeschränkungen, Studienorientierung und Frauenförderung abgeklopft. Oona Kroisleitner und Georg Sattelberger moderierten die Runde.
pogress: Gerade wurden in fünf neuen Fächergruppen Zugangsregelungen eingeführt. Die derzeitigen Exekutiv-Fraktionen (bestehend aus FLÖ, VSStÖ, GRAS und FEST, Anmk.) treten gegen sämtliche Zugangsbeschränkungen auf, JuLis und AG sehen das anders…
Lerchbammer: Wir sind für faire und transparente Zugangsregeln, dort wo es mehr Bewerber als Kapazitäten gibt. Es ist eine Frage der Grundehrlichkeit, wenn man jemanden auf die Uni lässt, dass man ihn auch in den Hörsaal lässt. Das heißt, wenn man sich irgendwo inskribiert, muss auch ein Studienplatz garantiert sein, damit man in Mindeststudienzeit studieren kann und nicht bei Prüfungsanmeldungen zittern muss. Über faire und transparente Zugangsregeln kann das sichergestellt werden. Knock-Out Prüfungen werden somit obsolet, weil eine Studieneingangs- und Orientierungsphase dann auch wirklich zu einer solchen wird. Damit kann man sich wieder aufs Studieren konzentrieren.
Freidl: Die Frage ist, wer kann sich aufs Studieren konzentrieren, wer ist dann überhaupt noch auf der Hochschule? Man hat das bei der Aufnahmeprüfung für das Medizinstudium gesehen. Vor der Einführung dieses Tests war die Quote von Studierenden aus finanziell schlechter gestellten Schichten schon schlecht, bei etwa 16 Prozent. Nachdem die Aufnahmeprüfungen gekommen sind, lag sie nur mehr bei 8 Prozent.
progress: Was ist dann die Alternative?
Freidl: Wir setzen bei einer wirklichen Orientierungsphase an. Dabei muss schon bei der Information an den Schulen angesetzt werden. Andererseits wollen wir, dass Studierende sich im ersten Semester an drei verschiedenen Hochschulen verschiedene Studienrichtungen ansehen können. Durch so eine Orientierungsphase kann man Studierendenströme viel studierendengerechter steuern als durch Zugangsbeschränkungen.
Lerchbammer: Bei einer Orientierungsphase sind wir auf jeden Fall dabei und wir fordern einen Ausbau der Studienplätze. Auf der anderen Seite brauchen wir aber Zugangsregeln dort, wo es mehr Bewerber als Kapazitäten gibt. Aktuell fallen jene Leute aus dem System, die nicht den finanziellen Atem haben über die Mindestzeit hinaus zu studieren. Ein Drittel ist mit Kapazitätsproblemen konfrontiert und wenn man mit 24 die Familienbeihilfe verliert und sich das Studium nicht mehr leisten kann, dann bleiben nur mehr diejenigen über, deren Eltern das dicke Geldbörsel haben. Was die soziale Durchmischung betrifft: Auf den Fachhochschulen ist die Durchmischung besser und da gibt es Zugangsregeln.
Bankel: Die soziale Durchmischung an Fachhochschulen ist aber auch deshalb besser, weil man dort zum Beispiel berufsbegleitend studieren kann. Das hat nichts mit Zugangsbeschränkungen zu tun, sondern mit einem klaren Bekenntnis des Staats zur Bildung.
Freidl: Bei der Psychologie gibt es auch Aufnahmeprüfungen und die Studierenden sitzen trotzdem am Boden. Das heißt, durch Zugangsbeschränkungen wirst du das Kapazitätsproblem nicht lösen können.
Lerchbammer: Mit einer echten Studienplatzfinanzierung schon.
Bankel: Und wer soll über diese Kapazitäten entscheiden?
Lerchbammer: Die Regierung entscheidet darüber. Wir können dann dort mehr Plätze fordern, wo es zu wenig gibt. Wenn du die bessere Vereinbarkeit von Studium und Beruf auf den Fachhochschulen ansprichst: Na bitte, dann machen wir das auch an den Unis.
Fleischhacker: Ja, aber dass es an den Unis Teilzeitstudien geben soll, bedingt nicht, dass es Zugangsbeschränkungen geben muss. Zugangsbeschränkungen sind eine ganz andere Geschichte. Was ist zum Beispiel, wenn man die Aufnahmeprüfung nicht schafft? Dann muss man ein Jahr warten, verliert die ganzen Beihilfen usw. Worum es gehen muss, ist eine sinnvolle Orientierung, wenn man an die Uni kommt, bei der man sich verschiedene Studienrichtungen anschauen kann. Natürlich soll jedeR einen Platz im Seminarraum bekommen, aber da sind Zugangsbeschränkungen nicht die Lösung. Das ist nur Symptombekämpfung.
Lerchbammer: Da lassen GRAS, VSStÖ, FEST und FLÖ mich als Student am Boden sitzen. Ich verliere die Zeit nicht, weil ich nicht auf die Uni komme, sondern weil ich auf der Uni nicht in den Hörsaal komme. 52 Prozent schätzen ihre Studienzeit so ein, dass sie aus der Regelzeit hinausfallen, die Mindeststudienzeit ist aktuell eine Illusion, die für viele nicht erreichbar ist. An Fachhochschulen wird die Zustimmung zum Studium mit sehr gut bewertet, das ist etwas, wovon wir auf den Universitäten nur träumen können.
Kraushofer: Das sind zwei vollkommen unterschiedliche Systeme. Das Problem ist doch eigentlich, dass die Universitäten immer gerade so viel Geld bekommen, dass sie überleben können. Wenn du dieser Problematik mit Hilfe der für das Ministerium sehr angenehmen und einfachen Lösung „Zugangsbeschränkungen“ ausweichst, erreichst du, dass das eigentliche Problem der Unterfinanzierung langfristig nicht mehr diskutiert wird. Wir bleiben dann auf den Zugangsbeschränkungen sitzen, die sich über die Jahre wahrscheinlich noch verschärfen werden. Und die AkademikerInnenquote wird weiter sinken.
Lerchbammer: Ich hätte gerne Zugangsregeln gehabt. 65 Prozent geben an, dass eine STEOP in dieser Form, die für Knock-Out-Prüfungen missbraucht wird, zum Studienabbruch führt. Was hilft es, wenn wir darauf hoffen, dass sich in zehn Jahren etwas verbessert. Ich sitze jetzt am Boden, ich weiß nicht, wann ich mit meinem Studium fertig werden kann.
Fleischhacker: Ja, aber du sagst selbst, dass es jetzt schon Nock-Out-Prüfungen gibt. Und die sind Teil von Zugangsbeschränkungen. Das macht das System ja nicht besser.
Freidl: Flo, du kannst doch nicht irgendwelche Zahlen aneinander reihen und meinen, dass sie deswegen einen kausalen Zusammenhang haben. Wir wissen, dass es zu wenig Kapazitäten gibt, aber das werden wir nicht durch Zugangsbeschränkungen lösen können. Unzählige Beispiele zeigen, dass das nicht der Fall ist.
Lerchbammer: Du wirst mich nicht vom Boden wegbekommen, indem du Luftschlössern hinterherjagst.
Freidl: Ich jage keinem Luftschloss hinterher. Aber dem Wissenschaftsminister die Forderungen von den Lippen abzulesen, anstatt selber etwas zu fordern, was den Studierenden hilft, ist auch nicht die Lösung. Dass viele Studierende ihr Studium abbrechen, hat vor allem den Grund, dass sie finanziell schlecht abgesichert sind. 60 Prozent der Studierenden müssen nebenbei arbeiten, 11 Prozent sogar über 35 Stunden in der Woche. Das ist ein viel größeres Problem.
Lerchbammer: Wie willst du mich in mein Seminar hineinsetzen?
Bankel: Ich würde gern weg von diesem scheinbaren Zusammenhang von Kapazitäten und Zugangsbeschränkungen. Es gibt keine transparenten oder fairen Zugangsbeschränkungen. Ich habe bisher vier verschiedene Zulassungsprüfungen bestanden und kann aus dieser Erfahrung sagen, das Kriterium hätte genau so gut sein können, dass diejenigen mit grünen Augen aufgenommen werden. Eine Prüfung ist auch immer nur eine Momentaufnahme deines Zustands an einem bestimmten Tag.
Gamon: Ich bin derzeit in einem zugangsbeschränkten Master. Die Studierenden sind in Österreich aber mitunter auch falsch verteilt. Unglaublich viele beginnen z.B. ein BWL-Studium oder ein anderes Massenfach, für das sie sich eigentlich nicht interessieren und wechseln dann nach zwei drei Semestern. Dadurch haben sie aber, grob gesagt, anderen Studenten, die sich vielleicht wirklich dafür interessieren, ihren Platz weggenommen. Ich glaube, einem erwachsenen Menschen kann man abverlangen, dass er sich mit dem Angebot beschäftigt. Die Leute können immerhin auch schon wählen. Dann kann man auch verlangen, dass er sich auf Zugangsbeschränkungen vorbereitet. Die fehlende soziale Mischung hat noch andere Gründe.
progress: Welche Gründe sprichst du an?
Gamon: Dass sich Menschen bereits mit zehn Jahren für eine Bildungslaufbahn entscheiden müssen, ist hier meiner Meinung nach das größte Problem.
Freidl: Natürlich muss man beim Schulsystem ansetzen und natürlich soll es genug Zeit geben, um schauen zu können, welches Studium zu einem passt. Genau deswegen wollen wir bei einer Orientierungsphase ansetzen. Ich bin auch in einem zugangsbeschränkten Master auf der WU und in den ersten Lehrveranstaltungen haben sie uns bereits gesagt: Wenn wir nebenbei arbeiten müssen, wird das nicht funtktionieren. Wenn man dann noch dazu den Universitäten die Autonomie dazu gibt – also ich will nicht, dass Rektor Badelt alleine entscheidet, wie Zugangsbeschränkungen aussehen sollen.
Gamon: Bei meinem Master hatte ich das Gefühl, dass es ein relativ faires Verfahren war. Man hat sich die Lebensläufe angeschaut, es hat Interviews gegeben, das war alles sehr ausgewogen.
Fleischhacker: Da sind wir doch genau wieder bei dem, was Anna Lena vorhin schon angeschnitten hat: In welcher Tagesverfassung bin ich gerade oder wie passt der Prüfungsmodus zu meinen Typ? Das ist nicht fair. Es gibt Leute, die in einem Prüfungsmodus besser sind oder eben im anderen. Worum es geht, und das hast du eh auch schon angeschnitten, ist Orientierung und eine gescheite Überleitung von der Schule auf die Hochschule.
Kraushofer: Ich würde gerne noch auf den Aspekt eingehen, dass es zumutbar sein muss, dass Leute sich damit beschäftigen, was sie machen wollen und das würden sie tun, wenn es ein Aufnahmeverfahren gibt. Jetzt nehmen wir an, dass alle, die zu einem Aufnahmeverfahren kommen, sich bereits damit auseinandergesetzt und sich entschieden haben. Dann muss aber immer noch selektiert werden. Damit habe ich dann ein Problem. Ich stimme Claudia aber zu, dass sich Leute müssen damit auseinandersetzen müssen, was sie studieren wollen und da tut die ÖH auch gerade sehr viel.
progress: In beinahe allen Wahlprogrammen findet sich die Forderung nach Frauenförderung. Wie soll diese aus eurer Sicht aussehen und wie unterscheidet ihr euch diesbezüglich?
Freidl: Ein wichtiger Punkt sind für uns Praktika: Es sind vor allem Frauen, die niedriger bezahlt und oft nicht ihren Qualifikationen gemäß beschäftigt werden. Zweitens ist uns die Förderung von Frauen in technischen Berufen ein Anliegen: An der TU ist der Frauenanteil extrem gering. Hier muss schon in der Schule angesetzt werden, es benötigt aber auch Mentoring-Programme in den jeweiligen Studien – explizit für Frauen. Außerdem fordern wir die Offenlegung der Gehälter an den Universitäten. Frauen werden noch immer schlechter bezahlt als Männer. Das hört auch nicht an den Eingängen der Hochschulen auf. Frauen sollen durch die Offenlegung eine bessere Grundlage haben, um höhere Gehälter zu fordern und gleichzeitig wird Ungleichgewicht sichtbar gemacht.
Lerchbammer: Bei uns ist es leichter: Geschlecht soll in keinem Fall eine Rolle spielen, weder bei der Bezahlung noch sonstwo. Es muss die Leistung im Vordergrund stehen. Leistung ist ein faires Auswahlkriterium. Kein Geschlecht soll schlechter gestellt werden, es soll um die Person gehen. Deswegen lehnen wir auch jegliche Quotenregelungen ab: Sie diskriminieren immer das andere Geschlecht und sie widersprechen fairen Auswahlverfahren. Für uns als AG müssen Leistung und Person im Vordergrund stehen.
Fleischhacker: In unserer Gesellschaft spielt Geschlecht aber eine Rolle.
Lerchbammer: Deswegen muss ich bei den Rahmenbedingungen ansetzten, damit das keine Rolle spielen kann.
Bankel: Es ist meiner Meinung nach sehr wichtig, dass das Geschlecht eine Rolle spielt. Es ist einfach die Realität, dass Frauen diskriminiert werden, wenn es beispielsweise um Jobs oder Gehälter geht.
Lerchbammer: Wo wirst du auf der Uni diskriminiert? Männer sind beispielsweise beim letzten EMS-Test diskriminiert worden.
Bankel: Ich wurde gegenüber meinen männlichen Mitstudenten die ganze Zeit diskriminiert. Zum Beispiel wurden nur Männer bei den Professoren in Ateliers aufgenommen. Sie haben nie eine Frau als Praktikantin beschäftigt. Auch hinter einer Quotenregelung stehen wir. Dafür sprechen wir uns aus, auch beim EMS-Test. Wenn es um uns selbst, innerhalb unserer Fraktion geht, ebenso. Die FEST hat einen starken Männerüberhang, weshalb bei uns speziell Frauen gefördert werden.
Gamon: Als Liberale bin ich gegen Quoten und ich pflichte Florian auch bei, dass die Leistung im Vordergrund stehen soll. Wir gehen hier aber von der österreichischen Realität aus und da geht es oft nicht um Leistung sondern um Netzwerke und Beziehungen. Gerade an der WU haben wir kaum Frauen in der Forschung und kaum Professorinnen. Wenige gehen den Weg der Forschung, weil sie nicht gefördert werden. Dabei würde die Uni letztendlich davon profitieren. Ich bin dafür, dass man Frauen aktiv fördert, weil sie aus verschiedenen Gründen nicht in die Forschung gehen: weil sie sich diskriminiert fühlen, weil sie es auch werden und weil sie nicht dazu aufgefordert werden. Wenn man anerkennt, dass viele Frauen in der Forschung und Lehre für eine Uni wichtig sind, muss man das fördern. Wir wurden lange diskriminiert und es gibt noch keine echte Gleichberechtigung in Österreich.
Lerchbammer: Förderprogramme sind gut und richtig. Da sind wir auch dabei, aber für beide Geschlechter und vor allem für Talente.
Fleischhacker: Man hat selbst im Jahr 2013 keine Gleichstellung. Frauen werden auf vielen Ebenen diskriminiert. Gerade wenn man sich ansieht, wie viele Studienanfängerinnen es gibt und wie die Zahl sich dann nach oben hin ausdünnt. Wir haben fünf Rektorinnen in Österreich, aber es gibt sicher nicht nur fünf fähige Frauen, sondern unglaublich viele Hindernisse, die Frauen davon abhalten in solche Positionen zu kommen. Die Quote ist dazu da, dass bei gleicher Leistung die Frau bevorzugt wird. Die Quote ist auch nur so einzusetzen bis man zu einer Gleichstellung kommt – also bis man bei 50 zu 50 Prozent steht.
Freidl: Es gibt jetzt schon inoffizielle 80 bis 90prozentige Männerquoten …
Kraushofer: …etwa unter den ProfessorInnen an der TU Wien. So sieht’s eben in der Realität aus. Wir können das Problem nicht einfach wegreden oder verleugnen. Es gibt ein Problem und es geht uns etwas an. Ich finde, dass sich die ÖH damit beschäftigen kann. Ich finde es polemisch zu sagen, es müssen alle gleich behandelt werden, ohne sich die Frage zu stellen, warum ist es so, dass eben nicht alle gleichberechtigt sind.
Lerchbammer: Dann sollten aber die Hindernisse abgebaut werden. Das heißt aber auch keine Hindernisse für Männer aufzubauen.
Bankel: Als Mann siehst du es dann vielleicht so, dass du diskriminiert wirst, aber es ist eine Art Umverteilung von Machtverhältnissen. Genauso wie Leute, die mehr verdienen auch höhere Steuern zahlen müssen, müssen auch Männer Abstriche machen.