Große Gefühle

  • 24.03.2014, 15:58

„I feel it in my bones“

Die Knie schlottern vor Angst, es treibt uns die Schamesröte ins Gesicht, wir schäumen vor Wut, strahlen vor Freude und haben Schmetterlinge im Bauch. Die Art und Weise, wie wir über Gefühle sprechen, weist dem Körper eine wichtige Rolle zu. Die Frage, in welchem Verhältnis die physische Komponente unserer Emotionen zu sozialen und kulturellen Faktoren steht, ist unter GefühlsexpertInnen jedoch umstritten. NeurobiologInnen betrachten Emotionen primär als Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels von Botenstoffen im Gehirn. Das sei zu kurz gegriffen, kritisieren viele Sozial- und KulturwissenschafterInnen und plädieren stattdessen dafür, Emotionen als konkrete, historisch und kulturell situierte soziale Phänomene zu verstehen. Ekel beispielsweise manifestiert sich als körperliches Gefühl. Was Menschen dazu veranlasst, die Nase zu rümpfen und sich angewidert abzuwenden, unterscheidet sich jedoch nicht nur individuell, sondern hängt stark von sozialen und kulturellen Normen ab.

Logik der Gefühle

Emotionen sind ambivalent konnotiert: Als Gegenstück zur gefühlskalten Rationalität erscheinen sie als Garant sympathisch kuscheliger Gefühlswärme und authentischer Ausdruck unserer Menschlichkeit. Auf Mr. Spocks Heimatplaneten Vulkan hingegen ist einst wegen überbordender Gefühle alles außer Kontrolle geraten. Die Lösung: Die VulkanierInnen meditieren seither gegen ihre Gefühle an und wurden so zu reinen RationalistInnen. In Kontrast zur abwiegenden Vernunft haben Emotionen also auch einen Ruf als irrationale Störenfriede und ChaosstifterInnen. Die Politologin Birgit Sauer plädiert hingegen dafür, Emotionen in ein neues Licht zu rücken, wenn sie schreibt: „Gefühle unterscheiden sich von Vernunft und Rationalität nicht in ihrer A-Logik oder in ihrer Irrationalität, sondern Gefühle sind ebenso wie Vernunft logisch. Beides sind verschiedenartige soziale Praxen, und Gefühle sind wie Rationalität eine spezifische Form von Wissen.“

„Boys don’t cry“

„Beim Weib behaupten Gefühl und Gemüt, beim Manne Intelligenz und Denken die Oberhand.“ Ganz unverblümt wurde 1904 in Meyers großem Konversationslexikon festgestellt, was bis heute in diversen (teils subtileren) diskursiven Varianten durch Stammtischgespräche sowie Frauen- und Männermagazine geistert. Dass die hartnäckige Vorstellung von den gefühlsduseligen Frauen und emotionsfernen Männern aber nichts mit natürlichen Unterschieden zu tun hat, sondern erst im Zuge des 19. Jahrhunderts etabliert wurde, haben feministische HistorikerInnen gezeigt: Mit der bürgerlichen Moderne wurde die polarisierte und hierarchisierte Zweigeschlechtlichkeit zur Institution, die ihre Legitimation unter anderem in einer Essenzialisierung des Verhältnisses von Geschlecht und Gefühl fand. Die „emotionalisierte Weiblichkeit“ und die „feminisierten Gefühle“ wurden in die Privatsphäre verbannt, Öffentlichkeit und Politik wurden zur männlich dominierten, angeblich emotionsfreien Sphäre erklärt. Heute weinen Maskulinisten bittere Tränen, wenn sie Macht an Frauen abgeben sollen.

„Love…

Die Liebe ist das wohl meistbesungene, -gepriesene aber auch -verfluchte unter den Gefühlen. Als Refugium der Herzenswärme, der uneigennützigen Hingebung und der intimsten Offenbarung unseres Selbst gilt sie als heroische Gegenspielerin der kalkulierenden Profitlogik und eines gefühlskalten Materialismus. Wo die Liebe siegt, scheint auch die Freiheit zu siegen – über arrangierte Vernunftsehen, ökonomische Zwänge und herrschende Normen. Das sah nicht nur Jane Austen so, sondern auch die Hippie-Bewegung. Bereits Tristan und Isolde brachten mit ihrer Liebe die politische und nationale Ordnung ins Wanken. „Die Liebe vermittelt eine Aura der Transgression, sie verspricht und fordert eine bessere Welt“, schreibt die Soziologin Eva Illouz über die ideale Vision romantischer Liebe, zu deren AnhängerInnen gewissermaßen auch Karl Marx und Friedrich Engels zählen, verknüpften sie doch die Utopie der Befreiung von der Knechtschaft im Kommunismus mit der Verheißung der „wahren“, interessenlosen Liebe.

…will tear us apart, again“

Dass die Romantik als Maß aller Dinge auch ihre Tücken hat, wissen nicht nur die vom Liebeskummer Gebeutelten. In „Die Kunst des Liebens“ kritisierte Erich Fromm schon in den 1950ern, dass die moderne Liebe zunehmend marktwirtschaftlichen Charakter habe und das Liebespaar zunehmend zu einem „Arbeitsteam“ verkomme. Wird uns die Liebe also doch nicht retten? Eva Illouz sieht unser modernes Verständnis von Liebe zum Einen durchaus als Ausdruck gesteigerter Autonomie und Emanzipation. Zum Anderen sei die romantische Praxis heute aber unweigerlich mit der postmodernen Konsumkultur verzahnt – nicht nur, wenn jedes Jahr am Valentinstag alle in den Blumenladen pilgern. So tief sich die Romantik in unsere Welt eingraviert hat, selbst in der Liebe bleibt nichts beim Alten: Im Zeitalter der Globalisierung ist das romantische Plätzchen der transnational Verliebten und der Fernbeziehungen immer öfter Skype. Und nicht zuletzt durch Online- PartnerInnen-Börsen und Dating-Apps verändern neue Kommunikationstechnologien die Logik unseres Liebeslebens.

„Shiny happy people“

1881 träumte der irische Ökonom Francis Edgeworth von einer Maschine zur Messung des Glücks: dem Hedonometer. Auch heute versuchen zahlreiche GlücksforscherInnen das gute Gefühl zu messen, um in Rankings wie dem „Happy Planet Index“ sichtbar zu machen, wo die Menschen vor Glück fast platzen und wo es eher traurig zugeht. Die Glücksrankings werden oft als Alternative zum ökonomischen Reduktionismus des Bruttonationalprodukts präsentiert. KritikerInnen halten dagegen, das Glück werde gerade durch seine Definition als mess- und vergleichbarer Indikator von einer ökonomistischen Logik vereinnahmt. Nichtsdestotrotz haben sich Peter Dodds und Chris Danforth daran gemacht, Edgeworths Traum zu realisieren: Ihr Hedonometer analysiert täglich unzählige Tweets und soll so aufzeigen, wann und warum die Menschheit besonders glücklich ist. Damit sollen sich unter anderem Regierungen ein Bild vom Wohlbefinden der Bevölkerung machen. Einige Ableitungen bezüglich der Maximierung des Glücks könnten umgehend aus den bunten Grafiken gezogen werden: Todesfälle von Stars wie Michael Jackson wären zu vermeiden und am besten wäre ohnehin immer Weihnachten oder Wochenende!

 

AutorInnen: Anna Ellmer