Gottes Werk und Teufels Beitrag
Erasmus-Kolumne: In Salamanca liegen das Heilige und die Sünde so nahe beieinander wie die Kathedrale und die Universität
Erasmus-Kolumne: In Salamanca liegen das Heilige und die Sünde so nahe beieinander wie die Kathedrale und die Universität
Die Stadt gleicht einem Blasebalg: Zu Beginn des Semesters saugt sie sich mit Studierenden an, und an dessen Ende schleudert sie sie mit Kraft in die Ferien. Salamanca, an der Grenze zu Portugal, hat etwa gleich viele EinwohnerInnen wie Linz. Rund ein Drittel davon sind jedoch Studierende. Die zweitälteste Universität in Spanien hat eine lange Tradition der Gastfreundlichkeit für Studis, besonders für die jungen „fahrenden Gelehrten“ aus dem Ausland, die jedes Jahr zu Semesterbeginn wie eine Urgewalt über den Ort hereinbrechen. Hunderte Kneipen, Diskotheken und spezielle Stamperl-Bars („Chupiterías“) bieten jede Gelegenheit, sich den Exzessen des Erasmuslebens hinzugeben.
Beim ersten Spaziergang durch die Stadt, deren Kern aus dem Barock stammt, wirkt das Potpourri an Ocker- und Brauntönen beinahe erdrückend. Neben der Kathedrale und zahllosen Kirchen sind auch die Universität und das Rathaus im selben Barockstil erbaut, der sich an die späte Gotik anlehnt. Die Monumente der Stadt sind mit tausend Winkeln und Schnörkeln verziert, und aus dem für die Stadt typischen, gleichen Sandstein gehauen.
Nicht zuletzt, um die barocke Schwere der Fassaden auszugleichen, haben sich RestaurateurInnen im Laufe der Jahrhunderte einige Frechheiten erlaubt. So versteckten sie etwa mitten unter Darstellungen der Mutter Gottes und von Heiligen einen Frosch, Ratten und sogar einen Astronauten. Eine besonders beliebte Serie von historischen Statuen am zentralen Universitätsgebäude zeigt die vier studentischen Sünden des 17. Jahrhunderts: Masturbation, Faulenzerei, Wein und Weiberei.
Essen wie Don Quijote. Wer sich in den kleinen, verwinkelten Gassen verliert, für den/die ist es leicht, sich spontan in die joviale Gastlichkeit der Stadt zu verlieben. Auf den Plätzen werden Schirme gespannt, um den angeblich heißesten Ort in Spanien vor Sonne und gelegentlichen Schauern zu schützen. Der Plaza Mayor, der für kastilische Städte typische Hauptplatz, ist dabei eher unter der Kategorie „Touristenfalle“ einzuordnen. Doch nur ein paar Straßen weiter bietet beinahe jedes Lokal zu einem für österreichische Verhältnisse sehr günstigen kleinen Bier gratis ein Häppchen Nahrung an, die traditionelle Tapa. Diese bildet das Rückgrat der äußerst bodenständigen spanischen Kulinarik.
In Olivenöl lasiertes Weißbrot und aromatischer Schinken, grüne und schwarze Oliven, Calamari mit ordentlich Öl und Knoblauch – Salamanca ist ein Ort der deftigen Sinnesfreuden. Hier, nicht unweit des Meeres, ist Fisch ebenso fixer Bestandteil der Cuisine wie Linseneintopf und Morcilla, die traditionelle Blutwurst, deren Geschmack man gegenüber nicht voreingenommen sein sollte. Nur als VegetarierIn hat man es schwer in Salamanca. Die Worte „ohne Fleisch“ klingen für viele Wirtsleute immer noch wie ein Fluch aus den Tagen, in denen Spanien arm und Fleisch ein seltenes Vergnügen war.
Heiß geliebt werden in Salamanca alle religiösen, und nicht ganz so religiösen, Feste und Feiertage. Während der Osterwoche tragen etwa Hermandades – Bruderschaften – überlebensgroße Heiligenstatuen durch die Stadt spazieren. Und praktisch das ganze Jahr über bieten eigene Herbergen Pilgern auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostella Unterkunft und Unterhaltung. Im September machen die Ferías y Fiestas die ganze Stadt zu einem Rummelplatz aus Punschhütten und Konzertbühnen. Mitte Dezember finden sich Studierende aus ganz Spanien zur noche vieja universitaria zusammen, einer Art vorgreifenden Silvesterfeier, bevor es über die Ferien heim zu den Eltern geht.
Zündstoff in Kneipen. Wie andere StudentInnenstädte ist Salamanca auch ein politisch heißes Pflaster. Ist der Alltag in der dicht bebauten Stadt an und für sich locker per Fußweg zu bewältigen, finden sich dennoch regelmäßig dutzende Fahrrad-Aficionados der Gruppe Critical Mass zusammen, um im Automobilnarrischen Spanien für einen umweltfreundlicheren Verkehr zu protestieren. Wundester Punkt der grünen AktivistInnen ist aber der Río Tormes, der durch Salamanca fließt. Der Fluss schäumt bei Hochwasser vor lauter Verschmutzung. Darin zu baden ist undenkbar.
Für viele einheimische Studierende bietet die Uni erstmals Raum, sich kritisch mit der Landesgeschichte zu beschäftigen. Nur eine knappe Autostunde südlich, am Weg nach Madrid, liegt im Tal der Gefallen (Valle de los caidos) das gigantomanische Mausoleum von Spaniens verstorbenem Diktator Francisco Franco. Die Zeit seiner Herrschaft (1939-1975) sorgt in Spanien noch immer für Zündstoff, auch in den Bars und Kneipen der Stadt. „Franco hat viel Gutes getan; er war einfach nur zu lange an der Macht“, sagt die 18-jährige Maturantin Pilar. „Er war ein brutaler Diktator, und dass ihm immer noch gehuldigt wird, ist ekelhaft“, kontert Jaíme, ein 23-jähriger Geschichtsstudent.
Der politische Kontext Spaniens ist ausländischen Studierenden in der Stadt jedoch oft nicht bewusst. „Ich habe gehört, dass es hier die beste Party in ganz Spanien gibt“, sagt Dirk, ein deutscher Erasmus-Student aus Wolfsburg. Wie er denken viele. Das Leben hier ist für viele aus dem Ausland billig und sorglos. „Duschen kannst du, wenn du tot bist“, steht auf Dirks T-Shirt. Er wird heute noch durch die Vergnügungsmeilen der Stadt ziehen. Für andere wirkt ein Jahr der durchgehenden Feiern ernüchternd. „Ein Semester hier hat für mich gereicht“, sagt Clara, Kunstgeschichte-Studentin aus Wien. „Nachher brauche ich ganz fix Urlaub vom Alkohol.“