Freihandelstücken

  • 20.03.2014, 16:55

Das geplante Handelsabkommen zwischen der EU und den USA könnte sozialstaatliche Errungenschaften in Bedrängnis bringen und die Ränder der Gesellschaft weiter wachsen lassen, befürchten KritikerInnen.

Das geplante Handelsabkommen zwischen der EU und den USA könnte sozialstaatliche Errungenschaften in Bedrängnis bringen und die Ränder der Gesellschaft weiter wachsen lassen, befürchten KritikerInnen.

Verhandelt wird hinter verschlossenen Türen. Im Sommer 2013 starteten die Gespräche über jenes Abkommen, aus dem in absehbarer Zukunft die größte Freihandelszone der Welt entstehen soll: die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der EU und den USA (bekannt als TTIP). Dabei geht es vor allem um sogenannte nicht tarifäre „Handelsirritationen“, also etwa Standards rund um die Herstellung von Produkten und Dienstleistungen sowie Regelungen für InvestorInnen. Die Europäische Kommission und die US-Administration versprechen bei einem positiven Abschluss der Verhandlungen einen wirtschaftlichen Aufschwung und zusätzliche Beschäftigung. Die KritikerInnen hingegen befürchten Liberalisierungen durch die Hintertür und sehen bereits errungene Qualitäts-, Sozial- und Umweltstandards in Gefahr. Auch aus demokratiepolitischer Perspektive gibt es massive Bedenken. Gegen das TTIP formiert sich deshalb auf beiden Seiten des Atlantiks ein breiter zivilgesellschaftlicher Protest. 

Keine Spur von Transparenz. „Chlorhuhn“ und „Hormonfleisch“ machen seit Monaten Schlagzeilen in europäischen Medien, sie gelten gemeinhin als die Spitze dessen, was KonsumentInnen in der EU mit dem TTIP erwarten könnte. Tatsächlich ist aber noch kaum etwas darüber bekannt, welche konkreten Standards überhaupt verhandelt werden. Grund dafür ist die strenge Verschwiegenheit der VerhandlerInnen beider Seiten. Ein zuständiger Ausschuss des EUParlaments wird zwar über den Verlauf der Verhandlungen informiert, allerdings unter der Auflage von Geheimhaltung, die Parlamente der Mitgliedsstaaten wurden und werden gar nicht erst eingebunden. Für Kriti­ erInnen wie die Ökonomin Alexandra Strickner k von der globalisierungskritischen Organisation ATTAC steht trotzdem fest, dass es eigentlich um eine „transatlantische Partnerschaft von Wirtschaftseliten und Konzernen“ geht. Ziel sei es Profitmargen zu maximieren und neue Absatzmärkte zu sichern, ungeachtet etwaiger sozial- und umweltpolitischer Folgewirkungen. Dass die Interessen von Konzernen in den Verhandlungen ein wesentliches Gewicht haben, legt auch eine Anfrage der in Brüssel ansässigen Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) an die Europäische Kommission nahe. CEO wollte wissen, mit wem sich die Kommission im Laufe der Vorbereitungstreffen zu den Verhandlungen getroffen hat. Die Antwort: 93 Prozent der 127 Treffen fanden mit Konzernen oder deren Lobbyinggruppen statt, nur die restliche Handvoll mit Gewerkschaften und NGOs.

Noch deutlicher wird dieses Ungleichgewicht in Zusammenhang mit den sogenannten „Schutzklauseln für InvestorInnen“, die einen entscheidenden Teil der Verhandlungen bilden. 2011 gab es international bereits rund 3.000 bi- und multilaterale Abkommen, die mitunter solche Schutzklauseln enthielten. Im Kern geben diese Klauseln InvestorInnen die Möglichkeit, Staaten vor einem internationalen Schiedsgericht zu verklagen, wenn sie sich durch deren Gesetzgebung benachteiligt und damit die Rentabilität ihrer Investitionen gefährdet sehen. KritikerInnen sehen darin nicht nur eine Aushebelung von Umwelt- und Sozialstandards, sondern auch ein massives demokratiepolitisches Problem. Diese Schiedsgerichte finden immerhin abseits der jeweiligen staatlichen Gerichtsbarkeit statt, eine Berufungsmöglichkeit ist zudem gar nicht erst vorgesehen.

Privat verklagt Staat. Das wohl bekannteste Beispiel für eine solche Schiedsgerichtsklage stammt aus Bolivien. Nachdem 2000 die Wasserversorgung in der Stadt Cochabamba privatisiert und an ein der Bechtel-Group zugehöriges Unternehmen übergeben worden war, stiegen die Wasserpreise rasant an. In Folge massiver Proteste wurde die Wasserversorgung schließlich wieder verstaatlicht, wofür Bolivien vor einem internationalen Schiedsgericht auf Schadensersatz verklagt wurde. Die Klage wurde schließlich fallen gelassen, jedoch nur weil die Bechtel-Group einen immensen Imageschaden befürchtete. In einem jüngeren Fall hat das schwedische Energie-Unternehmen Vattenfall 2009 Deutschland verklagt, weil ihm die Umweltauflagen für die Errichtung eines Kohlekraftwerkes zu hoch waren. Seit 2000 nimmt die Zahl solcher Klagen vor internationalen Schiedsgerichten stetig zu. Die Kampagnenleiterin der in den USA ansässigen Organisation Global Trade Watch, Melinda St. Louis, kritisiert solche Investitionsschutzklauseln vehement: „Immer wenn diese Privilegien für Unternehmen bisher in Verträgen inkludiert waren, haben sie diese benutzt, um zum Beispiel Umweltstandards zu attackieren. Das hat die SteuerzahlerInnen in den USA bereits bis zu 3,5 Milliarden Dollar gekostet.” Global Trade Watch ist eine jener Protestgruppen, die jenseits des Atlantiks gegen das TTIP-Abkommen kämpfen. Die USA verhandelt derzeit außerdem auch den Beitritt zur Transpazifischen Partnerschaft (TPP), mit ähnlichem Verhandlungsgegenstand. Wie und ob sich die beiden Verhandlungsprozesse gegenseitig beeinflussen, wurde bisher kaum bis gar nicht beachtet.

Viel Aufmerksamkeit wurde hingegen einem Dokument zuteil, das aus den TTIP-Verhandlungen Ende des vergangenen Jahres geleakt wurde. Demzufolge soll es auch für zukünftige, noch nicht beschlossene Standards eine intensive Absprache zwischen den USA und der EU geben – eine sogenannte regulatorische Kooperation. Vermutet wird, dass ein transatlantisches Gremium eingerichtet werden soll, das Gesetzgebungsverfahren entweder vorgeschaltet sein oder parallel ablaufen könnte, um rechtzeitig auf die Bedürfnisse amerikanischer und europäischer Unternehmen reagieren zu können. Alexandra Strickner kritisiert dies scharf und sieht hierbei nicht nur „eine weitere Aushöhlung der Demokratie“, sondern auch eine weitere Bestätigung, dass es vor allem darum gehe, die Interessen von Konzernen abzusichern. Generell befürchtet sie, dass das Abkommen den Druck auf bereits errungene Standards und Regulationen erhöhen wird.

Von Seiten der EU-Kommission wurde aufgrund der immer lauter werdenden Kritik vor kurzem das Verhandlungskapitel über die Investitionsschutzklauseln vorerst ausgesetzt. Strickner sieht diese Entscheidung hingegen in enger Verbindung mit den bevorstehenden Wahlen zum EU-Parlament. Ungeachtet dessen wird der weitere Verhandlungsverlauf wahrscheinlich durchaus auch davon abhängen, wie der zivilgesellschaftliche Protest zukünftig agiert.

 

Georg Sattelberger studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

 

AutorInnen: Georg Sattelberger