Fräulein Mimi und die Verwaltung der Träume

  • 11.12.2014, 10:21

Designmärkte versprechen neue – vermeintlich charakteristische und nachhaltige – Möglichkeiten des Produzierens und Konsumierens und liegen damit im Trend. Doch für wen geht dieser Plan eigentlich auf?

Designmärkte versprechen neue – vermeintlich charakteristische und nachhaltige – Möglichkeiten des Produzierens und Konsumierens und liegen damit im Trend. Doch für wen geht dieser Plan eigentlich auf?

Viele von uns kaufen gegen Jahresende Geschenke – so sehr man auch christlich motivierten Konsum kritisieren mag. Ob am Heiligabend an der 24h-Tankstelle im Heimatort oder via Internet beim keine Steuern zahlenden Versandhandel – es gibt halt kein richtiges Leben im falschen. Oder doch? Warum nicht den Einkauf auf einem der Kunst- und Designmärkte im hippen Stadtviertel erledigen? Die Sachen sind originell, oft Unikate – und man denkt zu wissen, wo das Geld landet: meist ohne Zwischenhandel bei den Hersteller*innen selbst. Das macht die Ware preisgünstig. Die Entfremdung zwischen Mensch und kapitalistischen Produktionsprozessen – aufgelöst. Beim Plausch am Standl mit den Erzeuger*innen kann man sogar oft Sonderwünsche deponieren. Vor frivol glitzernden Jesuskindern in vergoldeten Nussschalen muss sich auch niemand fürchten; die Organisator*innen von DIY-Märkten wissen, was gewünscht ist: „Design“ und „Kunst“ statt Kitsch. Abgesehen von ein paar ironisch gemeinten Marienbildern oder Ganeshs sind die Veranstaltungen und ihr Sortiment religionsneutral, wenn man von ihrem Anlass absehen will. Also packen jährlich zehntausende vorwiegend junge und kaufkräftige Menschen Bargeld und Goldgräber*innenschäufelchen ein und machen Ausflüge zu den meist etwas abgelegenen Venues – und das schon längst nicht mehr nur zu Weihnachten. Nachfrage und Angebot haben in den letzten fünf Jahren einen Boom erlebt, synchron mit dem Aufschwung eines neuen Handarbeits Selbstverständnisses weg vom Toilettenpapierschoner und hin zur urbanen Smart-Device-Hülle. Was vorher noch zur tiefenentspannenden Selbstbeschäftigung als leidlich individuelles Geschenk für die Liebsten angefertigt wurde, bekam zunehmend das Potenzial einer Handelsware; vielleicht sogar einer Karriere.

Ein vielversprechender Start. Oft beginnen die typischen Mini-Labels auf Designmärkten nach ein wenig Herumprobieren im Freundeskreis mit einem ersten Auftritt auf einem kleinen, günstigen Markt-Event. Bei Erfolg entsteht dann erst ein Markenname, eine Website, ein Logo. Damit kann dann eine größere Veranstaltung in Angriff genommen werden. Mit ein wenig Gespür und Glück steigt in diesen ersten Saisonen die Umsatzkurve steil; der Traum von der Fulltime- Design-Selbständigkeit scheint greifbar. Möglich, dass das Label bald von Boutique-Betreiber*innen angesprochen wird, die ihre Produkte auf Kommission verkaufen wollen (also Waren bestellen, aber nur bezahlen, was verkauft wurde; der Rest ist regelmäßig abzuholen bzw. auszutauschen). Der logistische Aufwand für solche Arrangements ist aber für die Designer*innen enorm und der Absatz meist irrelevant. Sollte ein Shop tatsächlich die Produkte des Labels kaufen wollen, trifft dieses oft unvorbereitet auf die Realität des Einzelhandels: Der Einkaufspreis darf in der Regel maximal die Hälfte des Ladenpreises betragen. Zusätzlich wird der Shop wenig begeistert sein, wenn die Produkte dann gleichzeitig auf einem Designmarkt viel günstiger auftauchen. Häufig werden dazu dann Bedingungen vereinbart, die die Konkurrenz zwischen dem Verkauf von Hersteller*in (z.B. durch Marktauftritt, Webshop) und Laden verhindern sollen. Der zu Beginn scheinbar demokratische Entwurf vom Designer*innenleben ist also auf den zweiten Blick doch mit einigen Schranken versehen. Eine weitere solche Hürde stellt das Management von Designmärkten selbst dar. Es kuratiert das Angebot, stellt die Räumlichkeiten zur Verfügung und bewirbt die Veranstaltung – hoffentlich möglichst aggressiv, damit für die Aussteller*innen auch die Kassa klingelt. Weitere Verpflichtungen hat es nicht. Damit haben Marktveranstalter*innen ideale wirtschaftliche Bedingungen: Im Gegensatz zu den Labels können sie alle Kosten vorher gut einschätzen. Sie heben etwa die Standgebühren vor der Veranstaltung ein und müssen so kaum etwas vorfinanzieren. Sämtliche Risiken, beispielsweise, ob genügend Gäste kommen, tragen Standbetreiber*innen selbst. Indem sie ein kleines Eintrittsgeld verlangen, erwecken manche Märkte den Eindruck, sie könnten ihre Kosten mit den Standmieten alleine nicht decken. Das ist allerdings schwer vorstellbar, wenn man überschl.gt, dass alleine durch Standmieten (aktuell bis zu 360 Euro pro Wochenende bei oft 80 bis 200 Ständen) bei vielen Events schon ein fünfstelliger Betrag umgesetzt wird. Zusammen mit Eintrittsgeldern und Aufschlägen für Gastronomiestände kann dann der Umsatz gut im sechsstelligen Bereich liegen.

(c) Christopher Glanzl

Kleine bleiben schwach. In diesem Zusammenhang ist auch die Preisentwicklung der Standgebühren interessant. Obwohl für Marktorganisator*innen alle Kosten im Vorhinein gut kalkulierbar sind, also kaum Verluste entstehen können, stiegen die Standgebühren in den letzten vier Jahren um bis zu 400 Prozent. Steigende Besucher*innen- und Aussteller*innenzahlen zeigen, dass das Format enorm gefragt und eine echte Alternative zum klassischen Highstreet Shopping ist: Das Sortiment kann preislich konkurrieren, die Auswahl ist groß, die Qualität stimmt. Dafür nehmen die Besucher*innen auch Eintrittsgeld, Warteschlangen am Eingang oder Gedränge auf dem Markt in Kauf.

Derart steigende Standmieten verändern aber auch das Angebot, das auf den Veranstaltungen vorzufinden ist. Während vor einigen Jahren vorwiegend selbst oder im Kollektiv produzierende Labels ausstellten, sind jetzt konventionell wirtschaftende Unternehmen stark vertreten, außer sie sind durch Richtlinien von der Veranstaltung ausgeschlossen. Kleine Ein-Personen-Unternehmen können sich die Miete oft gar nicht mehr leisten. Stellen diese verschiedenen Geschäftsmodelle allerdings nebeneinander aus, können kleine, lokal produzierende Stände kaum preislich mit den potenteren konventionellen Unternehmen konkurrieren. Denn diese können die economies of scale nutzen und sind natürlich nicht als Kollektiv organisiert, sondern bedienen sich ganz normaler Lohnarbeit. Produziert wird schon längst irgendwo im Global Village, lokal wird höchstens noch veredelt.

Die gute alte Zeit. Das ist für Einkaufende oft gar nicht leicht zu erkennen, denn die gesamte Designmarkt-Szene bedient sich der gleichen Ästhetik, die das Kleinteilige, Individuelle und Lokale in ihren Produkten verkörpern will. Manche Labels packen noch einen Knüller drauf: „Mit Liebe gemacht.“ Sorgfalt, Geduld oder künstlerisches und handwerkliches Wissen – sekundär. Nichts Geringeres als Liebe muss es sein. Liebe, und damit die Gewissheit, dass mit unseren Konsumgewohnheiten alles okay ist. Dass sich der Kapitalismus nach Fieber und Krise doch noch zum Guten wendet. Und dafür haben wir jetzt schon die passenden Accessoires: rustikale Filz-iPad-Taschen, iPhone-Cases aus handbearbeitetem Vollholz und die customized Schutzhülle für den Kindle. Mehr „Statement Jewellery“, damit wir uns in die Armee der Distinktion einreihen können. Mehr handgebundene Notizheftchen für die Gedichte, die wir dann endlich schreiben wollen. Mehr nostalgische Rucksäcklein, mit denen wir die Abenteuer der Kindheit nachholen können.

Die Marktgemeinde will irgendwohin „zurück“ und fühlt sich daher in der Ästhetik reaktionärer Ideen wohl. Der Vergangenheit wird angedichtet, der „fairere“ Kapitalismus gewesen zu sein. So nennen sich zahlreiche Labels „Manufaktur“, um auf die Hochwertigkeit ihrer Produkte hinzuweisen. Dabei wird übersehen, dass genau dieser Begriff historisch für den Beginn der Massenproduktion stand, bei der jede Arbeitskraft nur noch einen einzigen Arbeitsschritt beherrschte: die Vorstufe der Industrialisierung. Auch das Marketing der Jungdesign- Labels orientiert sich gern mit einem Augenzwinkern rückwärts, am liebsten in die 50er Jahre. Die mehrheitlich von Frauen unter 40 geführten Labels geben sich Namen wie Backfisch, Fräulein Mimi oder Ida häkelt. Viele studieren, sind alleinstehend oder junge Mütter. An die Stelle einer vielleicht wirtschaftskrisengebeutelten Biografie einer Twentysomething- Frau in Wien/London/Linz tritt die Corporate Identity der resoluten Näh-Mademoiselle aus einer Peter-Alexander Kleinstadt, die sich auf eine sichere Zukunft verlassen kann – solang sie nur fleißig arbeitet und freundlich bleibt.

(c) Christopher Glanzl

DIY aus China? Eine scharfe Ablehnung gegen alles, was „aus China“ kommt und demnach minderwertig und unauthentisch sein muss, ist Teil des Programms. Das ist selbstverständlich keine Eigenheit der DIY-Szene, sondern Merkmal der Alternativ-Shoppingliste junger Besserverdienender. Rassistische Vorurteile werden mit dieser Haltung oft unreflektiert mitgetragen oder verbreitet.

Das ist weltweit Thema in der DIY-Szene: Schon 2011 wurde in den Foren der New Yorker DIYVerkaufsplattform etsy.com heftig kritisiert, dass das Web-Unternehmen seine Plattform für Verkäufer*innen öffnete, die in Billiglohnländern industriell produzierte Waren lediglich weiterverkaufen. Vormals waren dort nur selbst oder im (kleinen) Kollektiv erzeugte Waren zugelassen. Der verständliche Aufschrei der dadurch wirtschaftlich zurückgesetzten Mikro-Unternehmen richtete sich allerdings nicht nur gegen das Management von Etsy, es mischten sich auch viele patriotische Töne in die Kritik: „Buy American!“, wurde aufgefordert. Das Unternehmen reagierte auf die gesamte Kritik mit großflächigen Löschungen in den Foren. Es schreibt sich weiterhin auf seine Fahnen, „gesellschaftliche und ökologische Probleme zu lösen“.

Es lohnt sich also, als Konsument*in genauer hinzusehen, wie ein angeblich die Kulturlandschaft fördernder Designmarkt eigentlich organisiert ist, oder an den Ständen nachzufragen, wo die Waren und insbesondere deren Einzelteile hergestellt werden. Doch auch dort, wo Marktorganisator*innen den Ausstellenden günstige Bedingungen bieten: Den Sprung in die Selbständigkeit und die finanzielle Unabhängigkeit ihrer „day jobs“ schaffen letztendlich doch nur die, die bereit sind, große Summen in eine Unternehmensgründung zu investieren und schließlich mit Lohnarbeiter*innen zu produzieren. Der moderne Kapitalismus erlaubt es nicht anders. Und so bleibt das Marktmanagement Verwaltung von Träumen und Hoffnungen der Verlierer*innen der Krise.

Mina ist sowohl als Designerin als auch als Organisatorin in der Designmarkt-Szene aktiv und hat deshalb für diesen Artikel ihren Namen geändert.

AutorInnen: Mina