"Die Sanktionen wirken"
Die deutsch-iranische Publizistin Saba Farzan gibt dem Regime Irans nur mehr wenige Jahre an der Macht. Flora Eder erzählte sie von der iranischen Studierendenbewegung, vom Kampf für Frauenrechte und von gefälschten Wahlen.
Die deutsch-iranische Publizistin Saba Farzan gibt dem Regime Irans nur mehr wenige Jahre an der Macht. Flora Eder erzählte sie von der iranischen Studierendenbewegung, vom Kampf für Frauenrechte und von gefälschten Wahlen.
PROGRESS: Das Lager des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad wurde bei den Parlamentswahlen im März abgestraft. Wird sich im Iran nun etwas ändern?
Farzan: Nein, das bedeutet das Wahlergebnis definitiv nicht. Außerdem kann man leider nur von einer Wahlfarce sprechen. Von Vornherein war die Auswahl der Kandidaten vom Wächterrat fixiert. Aber es regt sich starker Widerstand. Das Regime hätte zwar gerne, dass der Iran ein zweites Nordkorea wird, aber mit der jungen Generation geht das nicht. Sie boykottierten ja auch die Wahl: Das ist die einzige vernünftige Art, mit einer solchen Wahlfarce umzugehen.
Hat der Boykott der Opposition also etwas gebracht?
Sagen wir so: Witzig finde ich, dass im Iran angeblich 64,2 Prozent der Bevölkerung gewählt haben - und wenige Tage zuvor in Russland ebenso 64,2 Prozent. Bei beiden Wahlen können wir davon ausgehen, dass das eine Zahl ist, die von den staatlichen Medien ausgegeben wurde, und dass die tatsächliche Wahlbeteiligung deutlich niedriger ist. Auch wenn wir nicht genau wissen, wie hoch die Teilnahme am Boykott war, so war er auf jeden Fall deutlich und erfolgreich.
In österreichischen Medien wurden die Gegenkandidaten von Ahmadinejad als konservativ dargestellt. Passt dieses Wort?
Konservativ wäre zu nett. Es geht um fundamentalistische Positionen, sowohl nach innen als auch nach außen. In diesem Regime gibt es keine Schattierungen, keine verschiedenen Fraktionen, die für unterschiedliche Positionen stehen. Von daher ist der zur Schau gestellte „Pluralismus“ ein PR-Manöver des Regimes gewesen, damit die internationale Staatenwelt getäuscht und vom wahren Charakter des Regimes abgelenkt wird.
2009 hast du dich im Rahmen eines Vortrags sehr optimistisch gezeigt, dass das schon der Anfang des Endes des Regimes sei. Wie siehst du das heute?
Die Zeit arbeitet für uns. Die Sanktionen wirken. Der Druck auf das Regime ist sehr groß. Es ist ja nicht durch Legitimität, nicht durch demokratische Wahlen, nicht durch irgendeine Art der Unterstützung aus der Bevölkerung an der Macht. Sondern es ist einfach nur durch Repression an der Macht geblieben und das reicht nicht, um auf Dauer weiterzumachen.
Wie stark ist die Opposition derzeit, wie stark ist die Repression?
Die Repression ist menschenverachtend und sie ist so dermaßen groß, dass sie an die Anfangszeit dieser Diktatur erinnert, mit unglaublich vielen Todesurteilen, die in den letzten zwei Jahren ausgesprochen und vollstreckt wurden. Mit unglaublich hohen Gefängnisstrafen für politische und gesellschaftliche AktivistInnen. Trotzdem geht der Protest von 2009 weiter. Er hat aber andere Formen angenommen und ist nicht mehr auf den Straßen des Irans unterwegs. Aber in der Blogosphäre ist er sehr aktiv und hat sich auch in der Substanz verändert: Es geht um das Ende des Regimes und nicht mehr einfach nur um Reformen.
Zeigt sich das auch in der Popkultur?
Ja. Beispielhaft finde ich einen aktuellen Rap-Song, der die Solidarität mit der syrischen Freiheitsbewegung ausdrückt. In dem Text geht es darum, dass die ganze Welt über Israel spricht, während in Syrien tausende Menschen ermordet werden und nichts dagegen getan wird. Es gibt also eine Solidarität auch mit anderen Bewegungen im Nahen Osten, und das ist eine Bewegung, die sich klar gegen Antisemitismus und Antizionismus stellt. Vor zehn, fünfzehn Jahren hätte es das noch nicht gegeben.
Und wie verhält sich das in puncto Frauenrechte?
Schon vor 2009 gab es die Initiative für die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern, und das war eigentlich der Vorläufer für die Protestbewegung 2009. Denn bei den Frauenrechten sieht es im Iran genau so schlecht aus wie vor drei Jahrzehnten, als das Regime an die Macht gekommen ist. Die Islamische Republik versucht die Frauen zurück an die Kochtöpfe zu drängen. Die Iranerinnen machen das aber nicht mit. Das wurzelt auch in ihren eigenen Familien, weil die jüngere Generation der Iranerinnen schon sehr starke Mütter und Großmütter erlebte, die eben teilweise schon säkular geprägt waren, kein Kopftuch trugen und zu Hause in ihren privaten Räumen aufgeklärte Religion gelebt haben.
Es studieren besonders viele Frauen an iranischen Universitäten - trotz der starken Diskriminierung. Wie äußert sich die?
1982 gab es eine Art kulturelle Revolution an den Universitäten. Davor war es so, dass Frauen zu fast zwei Drittel der naturwissenschaftlichen Fächer nicht zugelassen waren. Das hat sich mittlerweile geändert. Nicht geändert hat sich allerdings, dass Studentinnen einer unglaublichen Benachteiligung ausgesetzt sind - es ist ja auch ein Bildungssystem, das von einem Regime geschaffen wurde, das Frauen als minderwertig betrachtet. Die junge Generation arbeitet aber stark autodidaktisch. Denn an den Unis lernen sie nicht akademisches Wissen, sondern Linientreue.
Worin unterscheidet sich der Alltag einer iranischen Studentin am meisten von dem einer österreichischen Studentin?
Im privaten Bereich unterscheidet sich der Alltag bestimmt überhaupt nicht. Er unterscheidet sich nur dann, wenn man einen Fuß vor die Haustür setzt. Zentral ist die Zwangsverschleierung. Es geht damit weiter, dass an den Universitäten die Geschlechter getrennt sind, und eigentlich separate Eingänge benutzt werden müssten - das wird aber boykottiert. Junge Frauen werden aufgrund ihres Make-Ups schikaniert und sind massiven Repressionen durch die Universitäten ausgesetzt. Studentinnen können sich auch in Studierendenvertretungen nicht politisch engagieren. All diese Geschichten müssen im Iran im Untergrund stattfinden. Viele der StudentInnen sind dafür auch im Gefängnis gelandet und wurden teilweise auch mit sehr hohen Haftstrafen bestraft. Der Mut ist aber keineswegs gebrochen.
Wie setzt sich denn die Studierendenbewegung aus sozialer Sicht zusammen?
Studieren ist im Iran eine sehr teure Angelegenheit. Es gibt Studiengebühren, die selbst für Familien aus der Mittelschicht nicht einfach zu tragen sind. Und das Schulsystem ist immer noch aus der Schah-Zeit. Wenn die Leute ihr Abitur gemacht haben, steht noch eine Aufnahmeprüfung für die Uni an. Die Vorbereitungszeit dafür beansprucht manchmal ein ganzes Jahr. Privatinstitutionen bereiten auf diese Prüfung vor - auch das kostet Geld. Trotzdem versuchen auch Familien aus ärmeren Schichten mit großem Aufwand, ihre Kinder auf die Unis zu bringen.
Wie verhält es sich mit Protest gegen das staatliche Vorgehen gegen homosexuelle Personen?
Obwohl die iranische Gesellschaft modern ist, ist Homosexualität noch ein Stück weit Tabuthema. Wenn, dann wird Homosexualität innerhalb der Familien geschützt. Es gilt hier aber noch immer sehr viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Das Regime geht brutal gegen Homosexuelle vor, verhaftet sie, setzt sie massiver Repression aus und hängt sie an Baukränen auf. Das macht natürlich auch Aufklärungsarbeit sehr schwierig. Aber die junge Generation kriegt über das Internet mit, dass die Rechte von Homosexuellen in der westlichen Welt sehr wohl ein Stück weit gesichert sind.
Ahmadinejad sagte ja einmal, im Iran gebe es keine Homosexualität.
Ja, weil das Regime ja auch versucht, so viele wie möglich zu erhängen.
Greifen die Sanktionen gegen das iranische Regime?
Die Sanktionen greifen nicht nur, sondern sie schädigen massiv die Geschäfte und den täglichen Handel des Regimes. Das ist immer eine gute Nachricht. Natürlich treffen die Sanktionen aber auch die Bevölkerung. Sie ist aber bereit, das in Kauf zu nehmen: Sie wollen, dass dieses Regime bankrottgeht. Das ist der Preis, den wir zahlen müssen. Sie wissen auch, dass die Sanktionen die einzige Möglichkeit sind, um eine militärische Intervention zu verhindern. Das Regime selbst ist in sich zerstritten, und eigentlich dabei, sich selbst zu zerlegen. Da wird die Wirkung der Sanktionen in den kommenden Wochen noch stärker sein.
Wie lang hat das Regime also noch Zeit?
Ich bin leider keine Hellseherin - ich kann kein Datum nennen. Aber ich hoffe und bin recht zuversichtlich, dass diese Parlamentswahlen im März die letzten der Islamischen Republik waren.
Saba Farzan ist deutsch-iranische Publizistin und Autorin. Sie studierte an der Universität Bayreuth Theaterwissenschaft, Amerikanische Literaturwissenschaft und Soziologie mit Forschungsaufenthalten in New York und an der Yale University.