Der Traum ist aus
Im Dezember 2009 wurde das besetzte Audimax geräumt. Das Ende von #unibrennt wurde damit eingeläutet. Ein ausschnitthaftes Resümee drei Jahre danach von Flora Eder.
Im Dezember 2009 wurde das besetzte Audimax geräumt. Das Ende von #unibrennt wurde damit eingeläutet. Ein ausschnitthaftes Resümee drei Jahre danach von Flora Eder.
Es war fünf Uhr früh. Auf den Rolltreppen der Station Schottentor wehte ein eisiger Wind gegen ihre Fahrtrichtung hinauf zur Uni Wien. Der Gehsteig wurde von einer zentimeterdicken Eisschicht bedeckt, es war noch finster. Der Tag musste erst in die Gänge kommen. In den frühen Morgenstunden des 21. Dezember 2009, vor drei Jahren also, wurde das Audimax in Wien geräumt. 85wohnungslose Menschen hatten hier Unterschlupf gefunden. Sie hatten größtenteils keine Österreichische StaatsbürgerInnenschaft und wurden auf die Wiener Straßen gesetzt – bei minus zehn Grad. Sie erhielten ein Wurstsemmerl und einen Zettel, der auf englisch und deutsch erklärte, dass sie sich an eine Einrichtung namens „P7“ wenden sollten. Nicht darauf zulesen war, dass sie alle bereits vom P7 abgelehnt wurden, da sie die falsche StaatsbürgerInnenschaft hatten. „Eine humanitäre Katastrophe. Ich bin sauer – heute Nachmittag hätten wir vierzig Notschlafstellen gemeinsam mit der Caritas für sie organisiert“, kommentierte das Markus Reiter, damaliger Vorsitzender des Dachverbands der Wiener Wohnungslosenhilfe vor der Uni Wien. „Aber jetzt sind die Menschen vertrieben. Drei Tage vor Weihnachten, bei minus zehn Grad.“
Auch jene 15 BesetzerInnen, die im Audimax die Stellung hielten, wurden von der Polizei geweckt und aus dem Audimax getragen. Auf sie wartete eine kleine Truppe an Fernsehteams, die eilig zur Uni kamen, um Interviews aufzuzeichnen. Dass „es“ wohl in den Winterferien passieren würde, dass das Audimax der Uni Wien geräumt würde, war vielen schon davor klar. Dass es ausgerechnet an diesem Tag geschehen würde, nicht. Und so wurde #unibrennt aus dem Schlaf gerissen, geplatzt war ein Traum, der noch nicht zu Ende geträumt war.
Doch was war er, der Traum von #unibrennt? #Unibrennt drückte die Sehnsucht einer ganzen Studierendengeneration aus. Eine Sehnsucht nach Veränderung; danach, einmal etwas wirklich Wichtiges zu schaffen. Eine Sehnsucht danach, in dieser Gesellschaftendlich eine Rolle zu spielen, Geschichte zu schreiben – etwas Unumkehrbares loszutreten. Einmal „ich war auch dabei“ sagen zu können; eine Art inszeniertes Schauspiel, um später nostalgisch auf eine Zeit zurückblicken zu können, die das sonst wohl nicht verdient hätte. Aber was ist sonst von #unibrennt drei Jahre danach übrig geblieben?
Aller Anfang ist leicht. „Ich wusste, dass eine Demo vor dem Wissenschaftsministerium stattfindet. Plötzlich erreichte mich ein Anruf, dass sie zur Uni Wien gezogen sei, und ich sofort ins Audimax kommen müsse, denn es sei besetzt worden“, erinnert sich Ina* an den 22.Oktober 2009. Ausgegangen war die Demonstration von der Akademie der bildenden Künste, deren Aula bereits zuvor besetzt war. Im Audimax ging daraufhin alles ganz schnell: Plena wurden einberufen, Eintopf gekocht, Arbeitsgruppen gebildet, RednerInnenlisten erstellt, eine Pressekonferenz eilig einberufen, Parties gefeiert, Fotos geschossen, Livestreams und Filme gedreht – kaum eine Wortmeldung wurde nicht dokumentiert. Allein auf der Uni Wien waren es tausende Studierende, die in den ersten Wochen von #unibrennt ins Audimax strömten. Denn ungewiss war, wie lange die Besetzung andauern würde. Viele glaubten nicht daran, dass sie mehr als einige Tage bestehen würde. Doch #unibrennt entwickelte eine Sogwirkung, die schnell auch die anderen österreichischen Unis mitriss und sich auf andere europäische Unistädte ausweitete. „Die vielen Studierenden, die mit diesem 22. Oktober begonnen haben, sich für ihre Studien- und Lebensbedingungen einzusetzen, waren überwältigend. Und als an den darauffolgenden Tagen die Meldungen kamen, dass auch Unis in anderen Ländern brennen – das war schon ein aufregendes Gefühl“, erinnert sich Ina.
So wurden am 24. Oktober ein Hörsaal in Graz, am 28. Oktober das Haus für Gesellschaftswissenschaften am Rudolfskai in Salzburg und am 29. Oktober die Sowi-Aula in Innsbruck besetzt – und das ist nur ein kleiner Auszug der Ereignisse. „Ich stand damals am Anfang meines Studiums und hatte kaum Demo-Erfahrung, ich habe mich einfach auf #unibrennt eingelassen. Dass daraus meine politische,Geburtsstunde‘ würde, war mir nicht klar“, erinnert sich Sebastian, der bei #unibrennt in Innsbruck aktiv war.
Was blieb von all dem Engagement? „In Graz heißt der größte Hörsaal seither nach dem kommunistischen Widerstandskämpfer Willi Gaisch“, sagt Georg*, „und einige sind dadurch in die ,linke Szene‘ gekommen. Es haben sich in Graz neue Netzwerke gebildet, Freundschaften ergeben, aber eine besondere Politisierung dieser Generation ist nicht eingetreten“, merkt er kritisch an: „An der Uni Graz haben der Alltag und der prekäre Normalbetrieb wieder eingesetzt. Es gibt mehr Bewusstsein für die Bildungsproblematik, aber der Bildungsdiskurs selbst hat sich leider nicht verändert“, sagt er. In Innsbruck hingegen, meint Sebastian, habe sich durch #unibrennt mehr verändert als in anderen Unistädten: Das GeiWiMax ist seither ein offener und selbstverwalteter Raum – „um den gerade wieder ein wenig mit dem Rektorat gekämpft wird“, sagt er. „Die kritische Uni wiederum ist für mich das tollste Ergebnis der Besetzungen.“ Bis heute erhält das Innsbrucker #unibrennt-Plenum pro Semester eine gewisse Geldmenge und kann damit gesellschaftskritische Lehrveranstaltungen organisieren, die in vielen Studienrichtungen als Wahlfächer angerechnet werden können.
Auch an der Uni Salzburg, sagt Kay, habe #unibrennt seine Spuren hinterlassen: „Gerade unipolitisch Engagierte sprechen #unibrennt immer wieder an, um auf die Notwendigkeit der demokratischen Mitbestimmung hinzuweisen.“ Konkrete Forderungen wurden aber nur teilweise umgesetzt. „Ein großer Erfolg ist der öh:freiraum in der Kaigasse 17“, betont Kay aber doch. Das Forderungsbündel betreffend der Studienplangestaltung sei aber „nur bedingt“ berücksichtigt worden. An der Uni Wien haben Studierende seit #unibrennt endlich wieder die Möglichkeit, im Rahmen eines kleinen Spielraums von 15 ECTS freie Wahlfächer gestalten zu können – außerdem wurden aus den Mitteln der ministeriellen Notfallreserve einige Lehrstellen in den besonders belasteten Studienrichtungen der Publizistik, der Internationalen Entwicklung und der Psychologie geschaffen. Auch wurden in den Bereichen Studieren mit Behinderung und Frauenförderung Geld und Strukturen aufgebaut und ein zusätzliches Angebot für Deutschals Fremdsprache realisiert.
Gewonnen und Zerronnen. Es bleibt jedoch schwer, von einem faktischen Erfolg von #unibrennt auf der Ebene eines Forderungskatalogs zu sprechen: Denn woran ist der Erfolg einer so vielfältigen und unterschiedlich organisierten Ansammlung vonprotestierenden Menschen zu messen? Tatsächlich stolperte #unibrennt nämlich immer wieder über die Frage, was der Zweck der Versammlung sei. So sagten viele, eben die Zweckfreiheit sei der Zweck – andere beharrten auf klar artikulierten bildungspolitischen Zielen, die nach ihrem Erreichen auch zu einem Ende der Besetzung führen könnten. Wieder andere positionierten sich dagegen mit einer Ablehnung einer „single-issue-Bewegung“ und noch weitere andere fanden an #unibrennt den Freiraum, gemeinschaftliche Gestaltung basisdemokratisch üben zu können, zentral. Mit dieser unklaren Positionierung und diesem uneindeutigen Selbstbild stolperte man zwangsläufig über gesamtgesellschaftliche Phänomene. So kam es zu sexuellenÜbergriffen und sexueller Gewalt, und dazu, dass sich einige gegen die im Wiener Audimax Unterschlupf suchenden wohnungslosen Menschen stellten, anstatt sich zu solidarisieren.
Auch Ina sagt, dass von der Besetzung nicht viel mehr als „eine Facebookseite und ein Twitteraccount“ übrig geblieben seien: „Und dass die Leute später einmal überromantisiert ihren Kindern davon erzählen können. Was bei #unibrennt so schnell entstanden ist, ist leider ebenso schnell wieder verpufft.“
*Die Namen wurden auf Wunsch der Interviewten geändert und sind der Redaktion bekannt.
Flora Eder studiert Sozialwissenschaften an der Uni Wien.