Der Fluch der Medien
Die Hochschulproteste 2009 werden in die Geschichte Österreichs eingehen, das lässt sich sagen, obwohl sie noch gar nicht zu Ende sind. Nun besteht aber die Gefahr, dass die Studierenden den Aufstand zu sehr ins Audimax verlagern und die Hörsäle leer bleiben.
Die Hochschulproteste 2009 werden in die Geschichte Österreichs eingehen, das lässt sich sagen, obwohl sie noch gar nicht zu Ende sind. Nun besteht aber die Gefahr, dass die Studierenden den Aufstand zu sehr ins verlagern und die Hörsäle leer bleiben.
Als sich am 22. Oktober ein paar hundert Studierende neben dem Hauptgebäude der Universität Wien unangemeldet zu einer Demonstration versammelten, erhielt ein Mitarbeiter der Wochenzeitung Falter einen Anruf eines Aktivisten, der schon Tage zuvor daran gearbeitet hatte, den Protest zu schüren. „Bitte komm her! Ruf Kollegen an! Wir brauchen die Medien, sie sind der einzige Grund, warum wir das hier machen“, sagte der junge Mann dem Journalisten.
Wenige Minuten später vertreibt die Polizei die Studierenden mit Megaphonen. Die Sache scheint erledigt. Ein Teil der Demonstrierenden zieht sich ins benachbarte Gebäude der Uni Wien zurück. Einzelne Stimmen werden laut, im Auditorium Maximum, dem größten Hörsaal des Gebäudes, sei gerade Vorlesungspause. Kurz diskutieren die FührerInnen an der Spitze des Zuges: Sollen wir da wirklich rein? „Los geht’s“, brüllt da die Kleinste unter ihnen. Gesagt, getan – das Audimax ist besetzt.
Niemand kann recht fassen, wie einfach alles vonstattengeht. Immer mehr Studierende strömen in den Raum und alle versichern sich, bleiben zu wollen, was immer auch passiere. Eine Studentin, die darauf insistiert, ein Recht auf ihre Biologie-Vorlesung zu haben, erntet Spott, Gelächter und vereinzelte Buh-Rufe. Die junge Frau muss bald erkennen, dass ihr Versuch, die Studierenden zum Abziehen zu bewegen, chancenlos ist. Sie ist die Erste von vielen, die zu spüren bekommt, dass es den Besetzerinnen und Besetzern ernst ist.
Große Egos auf der Bühne. Schnell teilt sich der Raum in zwei Gruppen. Die große Mehrheit bleibt passiv und setzt sich auf die HörerInnen-Bänke, der Rest schaltet und waltet rund um den Katheder und versucht, der Besetzung eine Struktur zu geben. Nicht, dass irgendwer davon abgehalten wird, auf dem Podium zu stehen, aber eine Bühne zieht immer die Art von Egos an, denen die bloße ZuschauerInnenrolle zu wenig ist. Die Menschen hinter dem Katheder heizen mit ihren Reden die Menge an und sonnen sich ergriffen im Applaus, der fast immer auf ihre Worte folgt. Die Stimmung ist gut und aufregend.
Nach drei Stunden Besetzung stellt sich der Student, der zuvor den Mitarbeiter vom Falter angerufen hat, hinter das RednerInnen-Pult, hebt triumphierend die zur Faust geballte linke Hand und schreit ins Mikrophon: „Ich habe eine gute Nachricht, wir sind beim Online-Standard ganz oben.“ Frenetisches Triumphgebrüll schallt ihm entgegen, der Raum verwandelt sich für Minuten in ein Fußballstadion, in dem ein Tor bejubelt wird.
Gleichzeitig sammeln sich die ersten Freiwilligen, um die Pressearbeit der Besetzung zu koordinieren. Bald werden sie nur noch „Arbeitsgruppe Presse“ genannt, weil im besetzten Audimax jedeR und alles eine Arbeitsgruppe (AG) ist. Als eine ihrer ersten Taten klebt die AG Presse ausgedruckte Artikel verschiedener Online-Medien an die dunklen Holzwände des Hörsaals. Die Studierenden stehen nun vor den Artikeln und lesen, was sie gerade machen. „Echt flashig“, findet das eine junge Studentin.
Freundliche Medien. Flashig ist das Wort, das oft gebraucht wird, um die ersten Tage im besetzten Audimax zu beschreiben. Da treffen sich zwei-, dreihundert verärgerte Studierende im Park neben der Universität und nur wenige Stunden später dominieren sie die Schlagzeilen in Österreich und finden letztlich NachahmerInnen in ganz Europa. Das fast noch größere Kuriosum: Den BesetzerInnen schlägt seitens der Medien kaum Ablehnung entgegen, sie ernten größtenteils Zuspruch. Außer in besonders einschlägigen Produkten war nichts zu lesen, zu hören oder zu sehen von „faulen linken Krawallmachern“, die die Hörsäle schleunigst wieder freigeben sollten. Sogar die populär-reaktionäre Kronen Zeitung wusste zwischenzeitlich nicht genau, ob sie die Besetzung dulden oder niederschreiben sollte. (Im Zweifel entschied sie sich doch für das Zweite.) Die Zeit im Bild 2, in der Marie-Claire Zimmermann Ex-Wissenschaftsminister Johannes Hahn verbal abwatschte, ist längst legendär. Am weitesten ging aber die Wiener U-Bahn-Zeitung Heute, die eigentlich ein ähnliches Klientel bedient wie die Krone und auch ihrem Einflussbereich zuzurechnen ist: Sie las sich zeitweise wie das offizielle Presseorgan des Protests. Mehrere MitarbeiterInnen der AG Presse versichern, Heute-Chefredakteur Richard Schmitt habe bei ihnen mehrmals angerufen, um logistische Hilfe anzubieten. Die BesetzerInnen und die Medien – sie gingen eine eigenartige Symbiose ein. Was ist passiert?
Ungleiches Echo. Das Audimax der Uni Wien war schon oft besetzt, daran kann es nicht gelegen haben. Im März und April 1996 harrten BesetzerInnen eineinhalb Monate darin aus, um gegen eine Verschärfung des Beihilfensystems zu protestieren. Das mediale Echo von damals steht in keinem Vergleich zu dem von heute. Wer Ende November in die Suchmaske der österreichischen Presseagentur APA in der Rubrik „Alle Quellen“ die Wortkombination „Audimax“ und „Besetzt“ eingab, erhielt für das Jahr 1996 vier Treffer, für das Jahr 2009 aber ganze 1085. Der Vergleich hinkt, die APA und die Medien haben seitdem aufgerüstet, dennoch bleibt ein Anstieg um mehr als 25.000 Prozent. Was hat sich verändert?
Auf diese Frage kann es natürlich nicht nur eine Antwort geben. Eine mögliche Erklärung ist die ausgezeichnete Öffentlichkeitsarbeit, welche die AG Presse geleistet hat. Martina Kraft (Name von der Redaktion geändert) aus Deutschland gehört gemeinsam mit acht anderen Personen zum harten Kern der AG. Sie war schon dabei, als das Team, wie sie sagt, „nur aus dreieinhalb Leuten“ bestand und noch nicht im schicken Prominentenzimmer untergebracht war.
Kommandozentrale. Die AG Presse koordinierte den Aufbau der Homepage, beantwortet täglich dreihundert Mails und dutzende Anrufe, twittert, facebooked, bloggt und streamt. Die Informationen über die Arbeit aller AGs laufen bei ihr zusammen, sie ist der Server des Protests. Zeitweise ist ihre Macht so groß, dass sie aus einer Liste von Freiwilligen diejenigen Personen aussucht, die als SprecherInnen gegenüber Fernsehen, Radio und Zeitungen fungieren. Wer am Abend in der Zeit im Bild oder im Club 2 als Gesicht der Bewegung auftritt, wurde von der AG Presse dorthin geschickt. „Viele bezeichnen uns als Kommandozentrale des Aufstands“, sagt Martina nicht ohne Stolz.
So viel Macht erfährt auch Widerspruch: „the revolution will not be facebooked. nor streamed or twittered” und „Seit wann ist Plenum wie Fernsehen?” stand auf Zetteln, die Studierende schon während der ersten Tage an den Wänden im Audimax anbrachten. Was meinen sie damit?
Thomas Hauptmann will seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen, trägt Bücher von Gilles Deleuze und Michel Foucault in den Taschen seiner weiten Strickweste und arbeitet in drei AGs mit. Er sagt: „Wenn alle über uns reden und schreiben, dann lähmt das die Bewegung. Ich kam mir am Anfang wegen der breiten Berichterstattung wie hypnotisiert vor. Jeder achtet nur auf die Außenwirkung der Proteste, aber die Außenwirkung wird das neoliberale Bologna-Programm nicht verändern. Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig, aber sie kann nicht das Wichtigste sein, sonst müssen wir von PR und nicht von Politik sprechen“
Inszenierung des Scheins. Hauptmann spricht ein Problem an, das weit über die Studierenden-Proteste hinausgeht. Das politische System richtet seine Arbeit immer stärker an den Medien und immer weniger an den wirklichen Problemen der Gesellschaft aus. Die „Inszenierung des Scheins“ anstelle der „Inszenierung der Wirklichkeit“ nennt das der deutsche Politologe Thomas Meyer, laut dem wir längst in einer Mediendemokratie leben. Was bedeutet das?
Traditionellerweise sollten die Medien die Politik beobachten, damit sich die StaatsbürgerInnen eine vernünftige Meinung von dieser bilden können. „In der Mediendemokratie aber beobachten die politischen Akteure das Mediensystem, um zu lernen, was sie und wie sie sich präsentieren müssen, um auf der Medienbühne einen sicheren Platz zu gewinnen“, schreibt Meyer in der Neuen Zürcher Zeitung. Die Politik unterwerfe sich den Regeln der Medien, um auf diesem Wege die Herrschaft über die Öffentlichkeit zu gewinnen.
Der Protest verlagert sich. Ende November erschien im Standard ein Artikel, der das Dilemma der Mediendemokratie auf die Uni-Proteste ummünzte: „Generell sind die Medien für die Besetzer Segen und Fluch zugleich. Einerseits wurde durch die große mediale Aufmerksamkeit bisher eine Räumung erschwert, andererseits birgt die positive Berichterstattung die Gefahr, die Proteste zu schlucken. (…) Die Studierenden befinden sich in einem Dilemma: Sie wollen den positiven Rückhalt nicht verlieren, da ihnen die Medienpräsenz hilft. Doch deswegen bleiben sie zu brav, um negative Schlagzeilen zu vermeiden.“ Ob die Studierenden wirklich „zu brav“ sind, sei dahingestellt. Wahr ist, dass sich der Protest in seiner ganzen Form zunehmend von den Hörsälen in die Medien und das Internet verlagert hat.
Nach wie vor twittern, bloggen und streamen die BesetzerInnen. Die Qualität der Homepage wird immer besser, selbst IT-Profis zeigen sich angetan. Aber wer sich Ende November ins Audimax begab, fand meist leere Bankreihen vor. Nicht ohne Chuzpe zu beweisen, schlug Georg Winckler, Rektor der Universität Wien, deshalb sogar eine Teilzeit-Besetzung vor. Eine Stunde pro Tag dürften die Studierenden Aufstand spielen.
Es ist bizarr, der mediale Erfolg der Protestierenden ist so groß, dass er sich nun gegen sie zu wenden droht. Deshalb gehört es bereits jetzt zur wichtigsten Erkenntnis der ruhmreichen Studierenden-Proteste 2009, dass die Politik zwar Blogs und Homepages ignorieren kann, einen bummvollen, besetzten Hörsaal aber nicht.