Demokratie von unten

  • 29.09.2012, 03:21

Der westafrikanische Staat Mali wird von seinen BürgerInnen demokratisiert.

Der westafrikanische Staat Mali wird von seinen BürgerInnen demokratisiert.

Afrikanischen Regierungen wird gerne Korruption, Nepotismus und Kleptomanie zugeschrieben – eine Einschätzung, die von vielen Exil-AfrikanerInnen geteilt wird. Auch in Mali ist die Regierung äußerst unbeliebt. Aber das zu den ärmsten Ländern der Welt zählende Mali hebt sich von anderen afrikanischen Staaten deutlich ab. Die MalierInnen leben – trotz korrupter Eliten – in einer funktionierenden Demokratie und zeigen, dass Demokratie etwas ist, das von unten kommt.
Vor 16 Jahren fing alles an: Die damaligen Machthaber Malis ließen eine Demonstration niederschießen, woraufhin der Offizier Amadou Toumani Toure, genannt ATT, ins Lager der Aufständischen wechselte und die alte Regierung wegputschte. Kein ungewöhnliches Ereignis für die afrikanischen Länder schon hunderte Militärregierungen erlebten. Das besondere daran war, dass ATT kurze Zeit später seine frisch gewonnene Macht an eine zivile Regierung abgab. „Wenn der zivile Staatschef vereidigt ist, kann ich mich zur Ruhe setzen, Fußball spielen und Fallschirm springen“, sagte Toure.

Korruption reloaded. Wer glaubt, dass die zivilen MachthaberInnen daraufhin die Herzen der Bevölkerung eroberten, der irrt. Die Regierungen dümpelten vor sich hin, betrieben Klientelismus, die Beteiligung an den Wahlen war niedrig, die MalierInnen blieben bitterarm und die Pro-Kopf-Verschuldung stieg und stieg. 2002 trat der bei der Bevölkerung noch immer sehr beliebte ATT selbst noch einmal zum Rennen um das Präsidentenamt an und konnte 64 Prozent der Stimmen auf sich vereinen; aber trotz seiner Popularität gingen auch bei dieser Wahl nur drei von zehn MalierInnen zur Wahl. ATT ist auch heute noch im Amt – konnte dem parlamentarischen Staatssystem aber bis dato kein neues Leben einhauchen. Eher im Gegenteil: Vor kurzem wurde bekannt, dass der Staat im vergangenen Jahr 150 Millionen Euro unterschlug, diese Summe entspricht 70 Prozent aller staatlichen Gehälter. „Volksfeindlichen Vampirismus“, nannte das die Zeitung Les Echos.

Mutige Medien. Genau das ist aber der Punkt, der Mali von dutzenden anderen afrikanischen Staaten unterscheidet: Die Jahre der Demokratie brachten dem Land eine ansatzweise funktionierende Zivilgesellschaft und die Medien lassen sich vom Staat nicht gleichschalten und unterjochen. Amidu Diarra macht aus seinem Missmut über die herrschende Kaste kein Hehl: „Guten Tag, ihr korrupten Politiker! Guten Tag, ihr Diebe der öffentlichen Kassen! Guten Morgen ihr Arbeitsscheuen!“, beschimpft der populäre Radiomoderator die Machthaber in seiner Sendung. Vor kurzem wurde Diarra brutal zusammengeschlagen, aber in Mali gibt es an die 150 freie Radiostationen, die den Menschen nicht nur Unterhaltung bringen, sondern ihnen auch dabei helfen, ihr Leben zu organisieren und dabei auch politische Probleme thematisieren. Als vor kurzem fünf Journalisten verhaftet wurden, weil sie angeblich ATT beleidigt hatten, traten viele ihrer KollegInnen in Streik. Und das, obwohl die Strafe für die Verhafteten mit „Gefängnis auf Bewährung“ für afrikanische Verhältnisse relativ glimpflich ausfiel.
Die malische Demokratie hat auch den ständig von Hunger bedrohten Bauern etwas gebracht: „Sie sind nicht mehr stumm, sie haben eine Stimme: Vertretungen, Aktivisten, gewerkschaftsähnliche Verbände. Und die Bauern beginnen, wo es möglich ist, sich selbst zu organisieren, an der Basis“, schreibt die vor Ort berichtende Zeit-Journalistin Charlotte Wiedemann.

Eine Demokratie-Studie der Bertelsmann-Stiftung attestierte Mali eine schnellere Demokratisierung als Rumänien und 2006 fand der afrikanische Teil des Weltsozialforums, an dem 50 000 Menschen teilnahmen, in Malis Hauptstadt Bamako statt. Aber die Klagen der MalierInnen gegen ihre Regierung werden nicht leiser und Privatisierungen von einstigem Staatsbesitz heizen den Unmut weiter an: Als Antwort darauf, dass der Staat die malische Eisenbahn an ein französisch-kanadisches Konsortium verkauft hat, entstand ein „Bürgerkomitee für die Rückgabe der Eisenbahn“. „Wie kann ein Land, das sich souverän nennt, sein nationales Erbe verkaufen wie einen Sack Nüsse?“, fragt der promovierte malische Ingenieur und Schauspieler Tiscoura Traore.

AutorInnen: Wolfgang Zwander