Befähigung zur Gesellschaftskritik als Präventionsarbeit
Der zweite Rechtsextremismus-Band der Forschungsgruppe „Ideologien und Politiken der Ungleichheit“ (FIPU) widmet sich der Prävention und der politischen Bildung. In der Schule, in der außerschulischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und in der Sozialen Arbeit stellt sich die Frage nach sinnvoller Prävention, aber auch nach einem adäquaten Umgang mit rechtsextremen Einstellungsmustern. Die Stärke des Bandes liegt in der Vielfalt der Zugänge zum Thema, da viele der Autor_innen sowohl in der Rechtsextremismusforschung verankert sind, als auch über Praxiswissen aus dem Schulalltag und der Sozialarbeit verfügen.
Die Bedeutung der Erziehung zur Mündigkeit – oder anders ausgedrückt: der Befähigung zur Ideologiekritik – zieht sich als roter Faden durch den Sammelband. So argumentieren etwa Stefanie Mayer und Bernhard Weidinger, dass autoritäre Denkweisen und die Vorstellung einer hierarchischen Gesellschaftsordnung durch eine Gesellschaft begünstigt werden, in der alles einem kapitalistischen Konkurrenzprinzip unterworfen ist. An diese Denklogiken könnten rechtsextreme Ideologien leicht anknüpfen. Mayer und Weidinger plädieren dafür, die Projektionsmechanismen des Rechtsextremismus zum Thema zu machen und die Reflexion der eigenen Abwertung anderer in den Mittelpunkt zu stellen. Ziel davon sei es, „äußere Zumutungen und innere Konflikte in einer Weise zu bearbeiten, die ohne Projektion auf andere und Verfolgen des Projizierten an diesen auskommt.“ Einem ähnlichen Ansatz folgen Elke Rajal und Heribert Schiedel, die der Frage nachgehen, was diese Überlegungen für die rassismus- und antisemitismuskritische Bildungsarbeit in der Schule bedeuten. Eine Schwierigkeit der Selbstreflexion sehen sie darin, dass rechtsextreme Vorstellungen nicht einfach aufgelöst werden können, weil sie oft von grundlegender Bedeutung für das Selbstbild sind und als Problemlösungsstrategien in den Lebenswelten vieler Jugendlicher verankert sind. Die kritische Analysefähigkeit von Kindern und Jugendlichen müsse nach Rajal und Schiedel ebenso gestärkt werden wie ihre Handlungskompetenz. Dadurch werden Ohnmachtsgefühle, die den Rechtsextremismus begünstigen, gemindert.
Neben Selbstermächtigung und Ideologiekritik ist ein zentraler Begriff des Bandes jener der Anerkennung. Da gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit oft auf einem Anerkennungsdefizit fuße, sei es wichtig den Jugendlichen mit Respekt und Anerkennung zu begegnen und sich verstehend auf sie einzulassen. Erst wenn ein Vertrauen hergestellt sei, könne sinnvoll an problematischen Einstellungen gearbeitet werden. Politische Sozialisation erfolge, so Fabian Reicher in seinem Beitrag, durch das Erlernen anhand von dem, was vorgelebt wird. Werden Jugendliche als Problemfälle identifiziert und behandelt, wird ihnen undemokratisches Verhalten vorgelebt. Insofern ist das Buch auch sehr bereichernd für alle, die sinnvolle Reflexionsanregungen für die eigene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen suchen.
Katharina Gruber hat Politikwissenschaft in Wien studiert und ist in der politischen Bildungsarbeit und im Journalismus tätig.