Ausgegrenzt und verspottet

  • 13.07.2012, 18:18

Es gibt SchülerInnen, für die die Schulzeit die Hölle bedeutet. Ihr größter Wunsch wäre es, unsichtbar zu sein, um den täglichen Schikanen ihrer MitschülerInnen zu entkommen. Was sie erleben, beschreibt ein Wort: Mobbing.

Es gibt SchülerInnen, für die die Schulzeit die Hölle bedeutet. Ihr größter Wunsch wäre es, unsichtbar zu sein, um den täglichen Schikanen ihrer MitschülerInnen zu entkommen. Was sie erleben, beschreibt ein Wort: Mobbing.

Sie werden belächelt, ausgegrenzt und verspottet. Für sie ist die Schulzeit die wohl schlimmste Zeit in ihrem Leben.
Den/Die klassischeN AußenseiterIn gibt es nicht. Oft handelt es sich um Kinder, die schwächer oder schüchterner sind als ihre MitschülerInnen oder aus einem Elternhaus kommen, das teure Statussymbole nicht erlaubt. Aber auch begüterte Eltern schützen nicht davor, von den KlassenkollegInnen ausgegrenzt zu werden. Diese Ausgegrenzte durchleben jeden Schultag die Hölle. 

Drangsalierung. Sie werden meist von mehreren MitschülerInnen verbal oder körperlich angegriffen. Gehen diese Tyranneien über einen längeren Zeitraum, wird von Mobbing (von to mob: angreifen, anpöbeln) oder Bullying (engl. für tyrannisieren) gesprochen. Die gemobbten Personen geraten in eine untergeordnete Rolle, aus der sie sich in den seltensten Fällen alleine herauskämpfen können.
Gemobbte Kinder leiden oft unter Kopfweh oder Magenschmerzen, Schlaf- oder Essstörungen, Depressionen und Selbstmordgedanken. Ausgelöst von dem Gefühl, nicht zur Gruppe zu gehören. Infolge dessen ziehen sich die Betroffenen immer mehr in ihre eigene Welt zurück, leben isoliert oder suchen sich virtuelle FreundInnen im Internet. Oft vermindern sich auch die schulischen Leistungen. Entweder aus der Angst heraus, als StreberIn beschimpft zu werden – oder noch schlimmer, weil die Lehrperson als Komplizin der TäterInnen gesehen wird.
Gerade das Internet hat die Situation von Gemobbten noch verschlimmert, da die Beleidigungen dort dokumentiert und archiviert werden können. Mit dem Aufkommen der Social-Network-Seiten wie Facebook oder Studi/SchülerVZ ist auch sogennantes Cyber-Mobbing entstanden, Personen werden auf ihren persönlichen Seiten beleidigt.
Großbritannien erschütterte im September der Fall der 15-jährigen Holly Grogan, die sich von einer Brücke in den Tod stürzte, weil sie die Beleidigungen im Internet und in der Schule nicht mehr aushielt. Viele der Opfer begegnen den Drangsalierungen mit autoaggressivem Verhalten. Grogan ist das dritte junge Mädchen, das sich in den letzten zwei Jahren in Großbritannien aufgrund von Mobbing umbrachte. 

Hilfeschrei. Neben diesem Cyber-Mobbing ist auch „Happy Slapping“ sehr verbreitet. Dabei wird eine Person von mehreren TäterInnen ohne Vorwarnung körperlich angegriffen und dabei gefilmt. Solche Videos kursieren im Internet zuhauf.
Es lässt sich auch ein Zusammenhang zwischen Mobbing und Amokläufen feststellen. Bei vielen Schulamokläufen ähnelt sich die Biografie der -zumeist- Täter: Es handelte sich um Außenseiter, die gehänselt wurden, kaum FreundInnen hatten, denen die Schuld für ihr Einzelgängertum selbst zugeschrieben wurde und die frühzeitig von der Schule abgegangen sind. Irgendwann ändert sich das Gefühl des Nicht-dazu-Gehörens in eines des Nicht-mehr-dazu-gehören-Wollens. Ein Amoklauf ist oft der erste (und meist auch letzte) Akt des Aufbegehrens gegen TäterInnen.
Was kann ein „Opfer“ tun, um sich aus seiner Rolle zu befreien? In der Regel nur sehr wenig. Wehren sich die Opfer nicht, werden sie als „Weichei“ abgestempelt, wehren sie sich, gelten sie als die Verschrobenen, die keinen Spaß verstehen. Oft hilft am Ende nur ein Schulwechsel, durch den das Opfer schon wieder verliert und die TäterInnen indirekt belohnt werden.
Ein besonders guter Nährboden für Mobbing sind hierarchisch klar reglementierte Strukturen wie die Schule und die Armee. In diesen Strukturen fällt es besonders schwer zu fliehen.

Es gibt keinen klassischen TäterInnentyp. Vielmehr ist es so, dass immer eine ganze Gruppe den Psychoterror zulassen muss. Es gibt die These des schwedischen Psychologen Dan Olweus, dass vor allem besonders selbstbewusst auftretende SchülerInnen gerne das Mobbing anstiften, während die etwas unsicheren, schüchternen zu MitläuferInnen werden.
Es geht den TäterInnen dabei um die Ausübung von Macht. Einer Macht, die sie nicht mehr abgeben wollen. MobberInnen haben laut Olweus generell eine positivere Einstellung zu Gewalt als der/die DurchschnittsschülerIn. Ein klärendes Gespräch zwischen Opfer, TäterInnen, den Eltern und LehrerInnen führt meistens sogar zu einer Verschlimmerung der Lage des Opfers. Der/Die TäterIn fühlt sich in seiner Machtposition angegriffen und will nach solchen Gesprächen die Hierarchie wieder herstellen.
Die LehrerInnen wissen oft nicht, wie sie mit mobbenden SchülerInnen umgehen sollen. Nicht selten werden solche Übergriffe gar nicht wahrgenommen, und was nach der Schule oder im Internet passiert, geht an den LehrerInnenn meist völlig vorbei. Das Problem des Mobbings ist ihnen zwar bekannt, wird aber selten erkannt, und wenn doch, zu einem Zeitpunkt, zu dem es vielleicht schon zu spät ist, um noch etwas an der Situation zu ändern. 

Rollenspiele. Als positiv haben sich Rollenspiele herausgestellt, bei denen Freiwillige aus einer Klasse die Rolle der AußenseiterInnen übernehmen und aus dem Raum geschickt werden. In ihrer Abwesenheit werden die anderen Kinder gebrieft, nun besonders unfreundlich und ausgrenzend zu ihnen zu sein. Diese Rollenspiele brauchen nur wenige Minuten, um die Kinder zum Weinen zu bringen. Ziel dieser Übung ist die Entwicklung von Empathie; das Mitgefühl und Einfühlungsvermögen gegenüber anderen soll erlernt werden – also etwas, dessen Grundstein ganz früh in der Kindesentwicklung gelegt wird. Fehlt dieses Mitgefühl, ist es beinahe unmöglich, dass Kinder dies noch von ihren LehrerInnen innerhalb der Strukturen des regulären Unterrichts erlernen. 
 

AutorInnen: Jennifer Bendele