Audimax als Prototyp für Europa

  • 13.07.2012, 18:18

Die Hochschulproteste 2009 haben das Potential zu Großem. Gelingt es den protestierenden SudentInnen, ihr Anliegen nach außen zu kommunizieren und sich europaweit zu vernetzen, dann könnten sie bald eine mächtige Reform-Allianz bilden, die den Bologna-Prozess entscheidend verändern könnte.

Die Hochschulproteste 2009 haben das Potential zu Großem. Gelingt es den protestierenden SudentInnen, ihr Anliegen nach außen zu kommunizieren und sich europaweit zu vernetzen, dann könnten sie bald eine mächtige Reform-Allianz bilden, die den Bologna-Prozess entscheidend verändern könnte.

In Washington D.C. und Priština, zwischen Ministerstuben und ungeheizten Volksschulen an den Rändern Europas; ob für Magazine, Thinktanks oder die Europäische Union: meine Arbeit und mein Leben spielen sich an vielen Orten ab. Ich habe gelernt, Standpunkte zu ändern, Bestehendes zu hinterfragen und jedem Prozess mit dem Blick einer Anfängerin zu begegnen. Durch diese Prismen hindurch stellt sich die Audimax-Bewegung als mehr dar als ein Protest. Sie ist ein möglicher Prototyp für unsere Zukunft. Drei Gründe:
Erstens, ich selbst kenne den globalen Marktplatz als einen Ort, wo Initiativen prinzipiell eine Chance gegeben wird – seien das die Yale Global Fellowships, die BBC World Challenge oder die TED Talks (Vorlesungen im Internet; u.a. vom Vorarlberger Designer Stefan Sagmeister). Allein dass so viele Studierende eine gewaltlose Allround-Organisation für Bildung aufbauen, mit Pressedienst, Livestream, Ausschuss- und Plenardebatten zur Bildungspolitik, zum Klimawandel und zur politischen Ökonomie, würde in internationalen Foren mit Applaus beantwortet.
Zweitens, in der Weltpolitik werden Prioritäten der Zukunft verhandelt, nicht der Vergangenheit. Die EU hat vor einem Jahr einen Weisenrat zum Thema Zukunftsplan bestellt (mit an Bord: der Bevölkerungswissenschaftler Rainer Münz). Jenes Österreich, das die Audimax-Bewegung bisher nur aus dem Fernsehen kennt, hat nun einen solchen Rat frei Haus bekommen. Diese Bewegung möchte über Österreich im Jahr 2030 sprechen und das ist für alle essenziell.
Drittens, Führungskräfte im 21. Jahrhundert denken international und interdisziplinär. Im Kommen sind multiple Identitäten und multipolare Biografien. Wer heute in Linz oder Graz studiert, wird mit großer Wahrscheinlichkeit in Zukunft nicht in Linz oder Graz arbeiten, sich verlieben, forschen, Praktika absolvieren, Kurzverträge annehmen, Trennungen durchstehen, Wohnungen mieten, ein Doktorats-Studium machen und Kinder großziehen. Wir pendeln, wir reisen, wir binden uns kaum noch an einen Ort. Ähnlich wie für die Menschen in Berlin und Baku, geht es für die Studierenden in Linz und Graz darum, sich mit dem komplexen 21. Jahrhundert zu arrangieren. Dazu gehört auch das Diskutieren über und Ausrangieren von Dingen, die entbehrlicher Ballast geworden sind. Parteibücher, Klubzwang, Landtage, Bundesrat: das sind Schubladen. Unsere Leben verlangen jedoch nach USB-Docking-Stationen. Also nach klaren, verständlichen Spielregeln, wo und wie wir mit unserer Existenz andocken können. Egal, ob für ein paar Monate oder für ein ganzes Leben. Was kann die Bewegung Audimax tun, um ihre Rolle als Prototyp zu entwickeln? 

Unübliche Prozesse und spannende Narrative. Die Bewegung kann von der Weltpolitik lernen. Die Aufgaben des 21. Jahrhunderts – Pandemien, Klimawandel, Ressourcenknappheit, Finanzkrisen etwa – erfordern breite und oft unübliche Allianzen. Das betrifft die G20 und die UNO; Staaten, Firmen und NGOs. Zwei Beispiele: Ocean 2012 ist eine neue Gruppe von NGOs plus einigen Regierungen, die ihre Interessen formulieren und bündeln, um die EU-Fischereipolitik im Jahr 2012 zu reformieren. Dieses große Orchester ist nötig, wenn sehr laute Interessens-Gruppen über lange Zeit hinweg die Politik dominieren. Oder: vor einigen Jahren haben sich Unilever Indonesia (ein Zweig des multinationalen Konzerns) und die britische NGO Oxfam zusammengetan: Die Frage, die Unilever an Oxfam stellte: Lindern oder intensivieren unsere Aktivitäten die Armut? Oxfam bekam Zugang zu allen Unilever Dokumenten und MitarbeiterInnen. Der Prozess brachte Einsichten; er brachte vor allem seitenlange Narrative über diese unübliche Partnerschaft.
Für die Audimax Bewegung heißt das: Wenn die, an die sich die Bewegung wendet, schlafen, dann wende sie sich an jene, die wach sind. Die Bewegung könnte einen „Stakeholder-Prozess“ in Gang setzen, indem sie zuerst eine Landkarte erstellt: Wer ist Audimax? Wer ist Nicht-Audimax? Welche Interessensgruppen und Individuen sind im Nicht-Audimax, ließen sich aber mit Überzeugungskraft in den Orbit Audimax hineinziehen? 

Vielfältige Handlungskreise. Stadt, Bundesland, Österreich, Europa. Die Personen und Gruppen sind ebenfalls vielfältig: Studierende von heute, gestern und morgen, TrendforscherInnen, Eltern, VolksschullehrerInnen, SpitzensportlerInnen, Tourismus-Gurus, Vorstandsvorsitzende, ArchitektInnen, MusikerInnen, ForscherInnen im Ausland. All diese Leute, so die These, erahnen den Lebenstraum und den Weg dorthin. Sie wissen um die Wichtigkeit von Bildung und Chancen Bescheid, sie misten regelmäßig ihre Wohnungen, ihre Facebook-Accounts und ihre Leben aus; weil sie wissen, wie wichtig die Inventur und das Neue sind.
Sie alle sind potenzielle Freund-Innen der Bildungs-Bewegung Audimax. Der Schlüssel zur breiten Bildungs-Bewegung und -Debatte heißt: erklären, erklären, erklären. Was will Audimax? Was wünscht Audimax? Was hat Audimax mit dem Kindergarten in Frastanz, der Volksschule in Frankenburg, der Hauptschule in Telfs zu tun? Was bietet Audimax den eigenen Geschwistern, die den Lehrberuf wählen? Den Kindern aus Kosovo von nebenan? Der Optikerin aus den Niederlanden, die sich hier niedergelassen hat?
Worauf die Audimax Bewegung weiters bauen könnte, heißt – als Potenzial – Euromax. Fast 100 europäische Unis sind besetzt. Damit hat der EU-weite Bologna-Prozess in den vergangenen Wochen eine Fokusgruppe bekommen, wie ihn sich kein Staat und kein Meinungsforschungsinstitut hätte leisten können. Europas Studierende in Hörsälen und auf Straßen sind die breite Rückkoppelung auf einen Prozess, der nach Kalibrierung verlangt. Dieses Potenzial – Audimax als Reform-Allianz im Bologna Diskurs – könnte die Bewegung nützen, indem sie sich nicht nur als Österreich-Prototyp, sondern auch als EU-Prototyp versteht. Audimax könnte die Plattform für ein „Buch der Rekorde“ (in Sachen AutorInnen-Zahl) zum zehnjährigen Bologna-Jubiläum 2010 darstellen. Die vielen Stimmen an Europas Unis könnten gesammelt und nach Brüssel getragen werden. Audimax als Prototyp für Euromax.
Woraus die Audimax-Bewegung schöpfen könnte? Ein Beginn ist die Umfrage Gallup World Poll. Sie ergab, dass die Mehrheit der Menschen einen dominanten Lebenstraum hat und der heißt: „einen guten Job.“ PolitikerInnen haben demnach dann Erfolg, wenn sie ihr Dorf, ihre Stadt, ihre Uni, ihr Land zu einem Ort machen, an den Menschen kommen (und von dem sie nicht weggehen); einem Ort, wo wenige „Kreative“ wiederum etliche neue, gute Jobs kreieren; wo Neues möglich wird. Anders gesagt mit den Worten Jim Goodwins:  „The impossible is often the untried“ – „Das Unmögliche ist oft das Unversuchte.“

 

 

AutorInnen: Verena Ringler