Alles für Alle?
In den letzten Jahren ist als Gegenentwurf zum neoliberalen Wirtschaftssystem eine dynamische und globale Commons-Bewegung entstanden. Im Mai fand das bereits dritte Commons Fest statt – nicht zufällig im von der Wirtschaftskrise schwer getroffenen Athen.
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts entstanden globalisierungskritische Bewegungen, die hauptsächlich bessere Regulierung und Umverteilung durch den Staat forderten. Über eine Dekade und eine Weltwirtschaftskrise später stellen sich viele Aktivist_innen die Frage, ob nationale Regierungen tatsächlich die richtigen Ansprechpartner_innen sind. Zunehmend versucht man, bestimmte Ressourcen der Kontrolle durch Staat und Markt zu entziehen und der Allgemeinheit zugänglich zu machen.
COMMONS – WAS IST DAS ÜBERHAUPT? Fast jeder nutzt Commons bzw. Gemeingüter, häufig ohne sich dieser Tatsache überhaupt bewusst zu sein. Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist Wikipedia – ein gemeinsam geschaffenes und kostenfrei nutzbares Onlinelexikon. Digitale Commons wie Wikipedia haben gegenüber anderen Ressourcen einen entscheidenden Vorteil: sie werden durch die Nutzung nicht weniger. Wissen ist die vielleicht einzige Ressource, die sich durch ihre Verwendung sogar vermehrt. Eine Quelle ohne Beschränkungen – was für die einen wie ein Idealzustand wirkt, sorgt in anderen Kreisen für Irritationen. Mit frei zugänglichen und kostenlosen Ressourcen lässt sich auf einem kapitalistischen Markt nämlich kein Gewinn machen, erst durch eine künstliche Verknappung lässt sich Profit erwirtschaften. In der digitalen Welt bedeutet das künstliche Beschränkungen wie Kopierschutz oder Patente.
Gemeingüter sind natürlich wesentlich älter als Wikipedia, Linux oder Open Office. Über weite Strecken der Menschheitsgeschichte war Privateigentum ein unbekanntes Konzept, die gemeinschaftliche Nutzung von Ressourcen war eher die Norm als die Ausnahme. Die Entstehung des Kapitalismus in England ist eng mit der Enteignung von gemeinschaftlich genutztem Land verbunden. Dabei wurden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: einerseits wurde den Bauern und Bäuerinnen die Existenzgrundlage entzogen, worauf sich viele als Lohnarbeiter_innen in den gerade entstandenen Fabriken verdingten. Andererseits waren die Commons ein Quell von Widerstand und Rebellion und darum den Mächtigen stets ein Dorn im Auge. Der Kampf um das Zur-Ware-machen von nicht dem Markt unterworfenen Bereichen hält bis heute an. Gegenwärtig gibt es kaum etwas, das man nicht mit Geld erwerben könnte: Wasser, Arbeit, Geld, Boden und Bildung, ja sogar Luft (mittels Emissionsrechtehandel) oder Leben (mittels Genpatentierungen) unterliegen dem kapitalistischen Profitstreben. Doch auch die Commoners entwickelten unterschiedliche Praktiken: von Volxküchen, Kostnixläden und Hausbesetzungen über solidarische Landwirtschaft und digitale Commons bis hin zu bewaffneten Kämpfen wie den der Zapatistas in Mexiko.
VERNETZUNG DES WIDERSTANDES. Das Ziel des Commons Festes, das vom 15. bis zum 17. Mai in Athen stattfand, war die Verbindung und Vernetzung dieser verschiedenen Ansätze. Auf dem (recht männlich dominierten) Programm standen Vorträge und Diskussionen über die selbstverwaltete Fabrik VIOME, die Alternativwährung Koino, Do-It-Yourself-Energieversorgung und solidarische Landwirtschaft ebenso wie Workshops über freie Soft- und Hardware. Diese Themenvielfalt spiegelt wieder, dass es sich nicht um eine homogene Bewegung handelt, sondern um ein Mosaik an Ideen, Weltanschauungen und Zielen.
Ein allgegenwärtiges Thema war der Umgang mit Staat und Markt. Commons können sich kaum komplett aus dem kapitalistischen System lösen. Ein Beispiel: digitale Commons sind vom Zugang zu Computern und Internet abhängig. Während eine Seite den Kontakt zu Staat und Markt auf ein absolutes Minimum reduzieren will, hält die andere eine gewisse Zusammenarbeit für überlebenswichtig. Peni Travlou, die einen Vortrag über feministische Ansätze des Commoning hielt, sieht eine Kooperation kritisch: „Der neoliberale Kapitalismus hat eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit, er kann sich verändern und neue Ideen absorbieren. Das hat man bei der Sharing Economy bemerkt. Was als antikapitalistische Praxis begonnen hat, ist nun zu Airbnb und Uber geworden und damit selbst Teil des Kapitalismus.“ Außerdem besteht gerade in Krisenzeiten die Gefahr, dass staatliche Aufgaben wie die Gesundheitsversorgung auf selbstorganisierte Initiativen abgewälzt werden. An das Potential von Commoning glaubt sie dennoch: „Wir müssen uns Schritt für Schritt weiterentwickeln. Revolutionen sind in der Regel gescheitert. Commoning ist ein langsamerer Prozess, aber er hat das Potential, den Kapitalismus von innen aufzubrechen.“
Stavros Stavrides, Architekt und sowohl Praktiker als auch Theoretiker der Commons-Bewegung, hält das Warten auf die Revolution für ein quasi-religiöses Konzept. Das Neue soll vielmehr schon jetzt, in der Hülle des alten Systems, entstehen und dieses schließlich ablösen. „Aber Commons sind nicht per se antikapitalistisch. Eine Gated Community, wo sich die Reichen von der Außenwelt abgrenzen, könnte man auch als Common bezeichnen. Deshalb müssen Commons immer offen bleiben. Wenn sie sich vor der Außenwelt abschließen, dann sterben sie – egal wie egalitär sie nach innen sind.“ Das ist in der Praxis nicht immer leicht. Stavrides selbst war bei der Besetzung und Schaffung des Navarino Parks in Athen beteiligt. Bewohner_innen des Stadtviertels Exarchia waren 2009 dem Bau einer Tiefgarage zuvorgekommen und hatten an der geplanten Baustelle selbstorganisiert einen neuen Park geschaffen. „In den Versammlungen gab es viele Konflikte. Die einen wollten den Park zu einer alternativen Festung machen, die anderen wollten einen öffentlichen Raum schaffen, der für Alle zugänglich ist. Glücklicherweise hat sich die zweite Seite durchgesetzt. So ein selbstorganisierter Freiraum hat natürlich wieder andere Probleme. Man muss sich an ungeschriebene Regeln halten, man kann z.B. nicht einfach seine leeren Bierdosen auf den Kinderspielplatz werfen. Das klingt wie ein banales Problem, aber es steht stellvertretend für viele größere Probleme, die es beim Commoning gibt.“
In der Idealform würden Commons Privateigentum, Knappheit, Lohnarbeit, Wettbewerb und Markt ersetzen. In der Realität steht die moderne Praxis des Commoning noch am Anfang ihrer Entwicklung und hat mit zahlreichen Problemen zu kämpfen. Auf der einen Seite versorgt sie das Kapital mit kostenlosen Ressourcen, auf der anderen Seite schaffen sie Freiräume, in denen Widerstand, Alternativen und neue Ideen entwickelt werden können.
Eine gelungene Einführung zum Thema:
Andreas Exner, Brigitte Kratzwald: „Solidarische Ökonomie & Commons“
Mandelbaum-Verlag, 120 Seiten
10 Euro
Dieter Diskovic studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien.