Marlene Brüggemann

Bombe!

  • 23.02.2017, 19:17
Die Wizard-Jubiläumsedition schlägt ein!

Die Wizard-Jubiläumsedition schlägt ein! 1996 veröffentlichte der Spielehersteller AMIGO in Österreich die erste Edition des Stichspiels Wizard von Ken Fisher. Als Zauberlehrling muss eins taktisch klug 52 Karten der vier Völker, Menschen, Zwerge, Riesen und Elfen, sowie acht Sonderkarten, nämlich Zauber_innen und Närr_innen, gegeneinander ausspielen. Mit ästhetisch ansprechenden Karten, einfacher Spielpraxis und einer geschickten Kombination aus Strategie und Spannung überzeugte Wizard allein in Deutschland 1,7 Millionen Spieler_innen. Die queere Gestaltung der Charaktere und deren ausgeglichene weibliche_ und männliche_ Bezeichnungen sprachen bereits kurz nach Veröffentlichung ein breites Publikum an. Nach zwanzig Jahren leistet sich AMIGO nun eine limitierte Wizard-Jubiläumsedition, die dem Kartenspiel eine neue, trickreiche Facette verleiht. Grund dafür sind sechs zusätzliche Sonderkarten, die jeder längerfristigen strategischen Überlegung ein jähes Ende bereiten können. So kann ein Drache die bisher höchste Karte, den_die Zauber_in, übertrumpfen. Aber Vorsicht, im Deck versteckt sich eine Fee! Sie kann dem Zauberlehrling einen sicher geglaubten Drachenstich wieder entreißen. Wer die Oberhand im Spiel hat, kann sich schneller ändern als eins „Mein Stich!“ rufen kann. Das stellen neben Drache und Fee noch eine Bombe, eine Wolke, ein Werwolf und ein Jongleur sicher. Klar ist: Die Wizard-Jubiläumsedition bringt Verhältnisse durcheinander! Weiters entschuldigt die Jubiläumsedition ehemalige schlechte Entscheidungen. Was AMIGO an Krimskrams, wie Stichplättchen, neuen Farben und einen Schwarzen Magier, zu Wizard Extrem hinzufügte, streifte es für die Jubiläumsedition erfreulicherweise wieder ab. Erneut aufgenommen wurden hingegen die Berufsbezeichnungen der Karten – ein wehmütig vermisstes Feature, das in späteren Ausgaben von Wizard verloren ging. Jetzt spielen Zauberlehrlinge wieder nicht mehr nur mit Zahlen, sondern mit Schmied_innen, Dieb_innen und König_innen. Mit nur sechs Karten schafft es AMIGO, neue wie treue Wizard-Zauberlehrlinge wortwörtlich vom Hocker zu reißen!

Ken Fisher: Wizard Jubiläumsedition 2016 AMIGO; für drei bis sechs Spieler_innen; ab zehn Jahren; 9,99 Euro

Marlene Brüggemann hat Philosophie an der Universität Wien studiert.

Frisurloses FischFleisch

  • 23.02.2017, 18:29
Häh, bi? Gibt's das noch? Und wenn ja, wo sind die richtigen bi-Personen? Über fehlende Labels und Revolution bi-Style Now.

Häh, bi? Gibt's das noch? Und wenn ja, wo sind die richtigen bi-Personen? Über fehlende Labels und Revolution bi-Style Now.

„Is there a bisexual option available?“ – „No, sir, this option is no longer available since about last summer, due to several operational problems.“ Was in „The Lobster“ als düsterer Eingangsgag wirkt, ist für viele bisexuelle Personen keine Dystopie, sondern Realität. „Für mich als bi-Person interessiert sich kaum jemand besonders“, meint Anja. Die 26-jährige Soziale-Arbeit-Studentin sieht die mangelnde Aufmerksamkeit, die bi-Personen zu Teil wird, als eine Medaille mit zwei Seiten: „Positiv ist, dass man als bi-Person oft kein großes Outing hat. Negativ dagegen ist das klischeehafte Porno-Bild vieler Männer und die geringe Akzeptanz einiger lesbischer Frauen gegenüber bi-Frauen.“ Für Anja ist die Diskriminierung, die sie aus der lesbischen Szene erfährt, besonders verletzend. „Sprüche wie ‚Du bist nicht Fisch und nicht Fleisch‘, ‚Du bist irgendwas‘, ‚Jetzt sagst du, du bist bi, aber vermisst dann doch einen Mann‘ sind von lesbischen Frauen mir gegenüber oft gefallen“, so Anja.

LGT. Das Gefühl zu haben, als bi-Person weder in hetero- noch in homo-Räume zu passen, ist für viele schwierig. Sanna, 25, machte ähnliche Erfahrungen: „Bei LGBT-Treffen kamen negative Reaktionen, wenn klar wurde, dass ich bi bin. Ich persönlich muss nicht mit einem bi-Button rumlaufen, aber ich möchte als bi-Person nicht aus LGBT-Räumen ausgegrenzt und rausgedacht werden.“ Um mehr bi- Empowerment zu schaffen, startete Sanna während ihres Studiums Media and Culture Studies 2015 das Projekt „Still Loving BI“. Dafür entwickelte sie eine Kampagne mit Facebookpage, Twitteraccount und einer Superheld_innen-Fotoaktion. Neben fehlender Sichtbarkeit und Vorurteilen, gegen die bi-Personen ankämpfen, fiel Sanna im Zuge ihres Projekts auf, dass bi-Personen oft Zweifel bezüglich ihres bi-Lebens haben: „In vielen Gesprächen mit bi-Personen kam die Frage auf: Wer ist eigentlich richtig bi?“

BISEUDO. Ist eine bi-Frau, die mit einem Typen zusammen ist, oder eine Person, die auf non-binary Personen steht, überhaupt bi oder nur pseudo-bi? „Für mich heißt bi, auf mehr als ein und eventuell verschiedene Gender zu stehen. Egal, welche Gender das dann sind und welche Erfahrungen eins schon gemacht hat. Es geht darum, ob eins das Potential hat, auf verschiedene Leute zu stehen“, so Sanna. Shiri Eisner setzt sich in ihrem Buch „Bi: Notes for a Bisexual Revolution“ mit dieser von der bi-Aktivistin Robyn Ochs stammenden Definition und anderen auseinander. Sie bleibt aber nicht nur bei der Auseinandersetzung mit Stereotypen und bi-Feindlichkeit. Ausführlich arbeitet sie Monosexismus als Struktur heraus, die Personen, die auf nur ein Geschlecht stehen, privilegiert und nichtmonosexuelle Personen systematisch bestraft. Sei es, wenn es um Gesundheit, Job oder persönliche Beziehungen geht.

BI CLASSIC. Julia* möchte ihren Namen nicht preisgeben. Sie befürchtet ungewollt vor Familienmitgliedern und Arbeitgeber_innen als bi geoutet zu werden, falls ihr Name öffentlich wird. „Ich war im Juli auf der dritten European Bisexual Conference in Amsterdam. Dort haben mich andere Teilnehmer_innen vor Problemen am Arbeitsplatz gewarnt“, so Julia. Wenn die 23-Jährige sonst von der EuroBiCon, dem größten bi-Treffen Europas, erzählt, kommt sie ins Schwärmen: „Ich musste mich nicht einmal für meine Bisexualität rechtfertigen. Die EuroBiCon war für mich eine Bubble aus Glücklichkeit.“ Auf die Frage hin, ob dort ein „bi- Code“ zu beobachten gewesen sei, erwidert Julia: „Wie eine klassische bi-Person aussieht und lebt, war eine Frage der Konferenz. Der Schluss war jedoch: In der bi-Community gibt es keine stereotype bi-Person und wir wollen und brauchen für die Sichtbarkeit auch keine ‚eigenen‘ Codes.“ Julia sieht auch in ihrer lokalen bi-Gruppe „VisiBIlity Austria“ keine Ansätze dahingehend.

INCONSISTENT BI SLUT. Geht das überhaupt, bi leben ohne eigene bi-Frisur? Bei dem monatlichen Treffen der „VisiBIlity Austria“-Gruppe in Wien scheint das kein Thema zu sein. Die bi-Gruppe ist heterogen und groß. Zu jedem Treffen kommen zwanzig bis dreißig Leute und die Gruppe wächst. „Heute sind sechs oder sieben neue da. Dafür fehlen die alten Hasen“, schätzt ein Teilnehmer. „Die alten Hasen“ sind eine Handvoll bi-Personen, die im Sommer vor zwei Jahren „VisiBIlity“ gründeten. Das Ziel der Gruppe ist es „Netzwerk und Anlaufstelle für Bisexuelle und Pansexuelle in Österreich sowie deren Freund_innen/Angehörige/ Unterstützer_innen zu sein“. Beim Treffen sammeln die Anwesenden, „unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität“, Ideen für Locations für die Bi-Visibility-Day-Party, diskutieren Themen für zukünftige bi-Inputs und tauschen Lieblingsserien mit queeren Charakteren aus. Was etwas chaotisch daherkommt, ist aber auch flexibel und offen für Neues. Es gibt Picknicks, Wandertage und Spieleabende – aber auch eine gewisse Trägheit, Personen, die Deutsch als Zweitsprache sprechen, einzubinden. Die werden mit Snacks besänftigt. Dabei müssten bi-Personen nicht ruhig halten. Im Druck, der auf bi-Personen ausgeübt wird, indem sie als „unentschlossen“, „slutty“ oder „inexistent“ bezeichnet werden, zeigen sich indirekt gesellschaftliche Ängste. Gleichzeitig bedeutet dies, dass bi-Personen nicht nur das Potential haben, auf verschiedene Leute zu stehen; sie haben auch großes revolutionäres Potential. Wie Shiri Eisner schreibt: „While we address monosexism, biphobia, and bisexual erasure, we must also keep in mind that the very powers that oppress us also give us the crack through which to break the system.“

*Name von der Redaktion geändert

Marlene Brüggemann hat Philosophie an der Universität Wien studiert.

Die Hacklerinnen_

  • 23.02.2017, 18:04
Philosophie als Mackerdisziplin? Mit einer untypischen Philosophiepraxis bieten Frauen_ falschen Genies, mühsamen Gesprächskulturen und sinnloser Ghettoisierung die Stirn.

Philosophie als Mackerdisziplin? Mit einer untypischen Philosophiepraxis bieten Frauen_ falschen Genies, mühsamen Gesprächskulturen und sinnloser Ghettoisierung die Stirn.

„Ich fand abstraktes Denken schon immer spannend“, so Karoline Paier. Die 24-Jährige begann nach der Schule Philosophie und Psychologie zu studieren. Damals war noch nicht klar, dass Philosophie ihr Schwerpunkt werden würde. Heute ist Paier Studienassistentin und Tutorin bei mehreren Professor_innen am Institut für Philosophie der Universität Wien und arbeitet in den Bereichen Logik, Wissenschafts- und analytische Philosophie. „Dass ich im akademischen Kontext eine Frau bin, fiel mir erst auf, als in meinen ersten Logik-Lehrveranstaltungen nur Texte von Männern gelesen wurden und ich und höchstens eine andere die einzigen Frauen im Raum waren“, schildert Paier. Persönlich und erkenntnistheoretisch problematisch findet sie die in der Philosophie verbreitete Gesprächskultur des Gegeneinanders und Namedroppings. „Für ein gutes Arbeiten sollten Gruppen Probleme gemeinsam angehen und Gespräche auch so gestalten. Wie ernst philosophische Fragen genommen und behandelt werden, hat viel mit der Kultur, mit der Philosophie praktiziert wird, zu tun“, so Paier. Dass sie trotzdem bei der Philosophie blieb, lag nicht nur an ihrer Faszination logische Schlüsse mit Gesellschaftskritik zu verbinden. „Ich begann früh am Institut zu arbeiten und war Teil des Wiener Forums für Analytische Philosophie, das ich jetzt leite. Dort konnte ich in einem sicheren Umfeld Argumente ausprobieren und Fragen stellen. Das gab mir ein Gefühl von Zugehörigkeit“, so Paier.

ERBE. Immer wieder besucht Paier Vorträge von Philosophinnen_, die im Rahmen der Reihen „Philosophinnen*geschichten“ an das Institut für Wissenschaft und Forschung und „Women in Philosophy“ an das Philosophie-Institut der Karl- Franzens-Universität in Graz eingeladen werden. Studierende mit international renommierten Philosophinnen_ zusammenzubringen, war ein Ausgangspunkt für Amelie Stuart und vier weitere Frauen_, „Women in Philosophy“ überhaupt zu gründen. „Die Vortragsreihe soll den weiblichen Nachwuchs ermutigen und den männlich geprägten Kanon um wichtige Beiträge erweitern“, so Amelie Stuart. Die Frauen_ hinter den Texten live zu erleben hat für die Veranstalterinnen_ drei positive Seiten: Philosophinnen_ können ihre hochwertige Forschung präsentieren, sich vernetzen und als Vorbilder wirken. Das Ziel von „Women in Philosophy“ ist, (junge) Frauen dazu zu motivieren, längerfristig in der Philosophie zu bleiben.

MUNDARBEIT. Anhand der statistischen Daten von unidata des BMWFW zeigt sich, dass am Weg vom Bachelor zum Doktorat immer mehr Frauen_ der Universität den Rücken kehren. Während im Wintersemester 2015 am Institut für Philosophie an der Universität Wien – mit 2.838 Studierenden Österreichs größtes – 43,3 Prozent Frauen_ im Bachelor studierten, waren es im Master 41 Prozent und im Doktorat 33,8 Prozent. Was die Institute in ganz Österreich angeht, wirkt die Verteilung jedoch halbwegs ausgeglichen. Im Wintersemester 2015 studierten an Österreichs öffentlichen Universitäten insgesamt 4.866 Personen im Bachelor, Master und Doktorat Philosophie, davon waren 2.222 Frauen_ (45,6 Prozent). Das Projekt „philosopHER“ der Studierendenvertretung Philosophie und des Referats für feministische Politik der ÖH Uni Graz fragte in einer eigenen Instituts-Umfrage nicht nur nach den Verteilungen, sondern auch nach der Wahrnehmung der Philosophie-Studierenden der Universität Graz. Der Aussage „Männliche Studierende sind in LVs zurückhaltender als weibliche“ stimmten 91 Prozent der Befragten „eher nicht“ oder „gar nicht“ zu. Weiters gaben 84 Prozent der Frauen_, die Philosophie studieren, an, sich „eher ungern“ bis „sehr ungern“ mündlich in Lehrveranstaltungen einzubringen.

SCHWEISS. Die Philosophin Elisabeth Nemeth war bis September Dekanin der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft an der Universität Wien und ist Vorstandsmitglied der anerkannten Österreichischen Ludwig Wittgenstein Gesellschaft. Sie findet die statistische Herangehensweise, um Missstände aufzuzeigen, gut, kritisiert aber die Fokussierung auf die Kategorien „Männer“ und „Frauen“. „Wenn man nur von Frauen und Männern redet, sieht man viel dazwischen nicht, damit meine ich keineswegs nur queere Personen, sondern die vielen Lebensentwürfe, die untypisch sind“, so Nemeth. Mit zwei Kindern konnte sie mit Glück und intensiver Arbeit eine philosophische Laufbahn machen – aber es war schwer. „Ich litt darunter, nichts gescheit machen zu können. Wenn ich keine Kinder bekommen hätte, hätte ich noch viel mehr erreicht. Aber ich weiß nicht, ob ich das überhaupt wollte. Eher nicht“, so Nemeth. Aufgrund der großen Unterstützung seitens des Instituts blieb sie im akademischen Bereich. Nemeth hält die Fokussierung auf Frauen_ längerfristig aber für strategisch wenig sinnvoll: „Frauen extra zu betreuen und herauszuheben, birgt die Gefahr der Ghettoisierung und Spezialbehandlung. In der Lehre geht es darum, möglichst klare Arbeitsund Lernbedingungen zu schaffen, damit Personen von ihrem individuellen Standpunkt aus arbeiten können“, betont Nemeth. Dass das nicht selbstverständlich ist, läge in der Vorstellung, Philosophie sei stark mit Genialität und Begabung verbunden. Das sei, laut Nemeth, auch der Grund dafür, warum viele Frauen_, die sich für Philosophie interessieren, trotzdem nicht glauben, ein Philosophiestudium sei etwas für sie. „Die Vorstellung des genialen und begabten Philosophen ist extrem ausschließend. Die einzige Möglichkeit dagegen, ist ein anderes Konzept von Philosophie zu praktizieren. Nämlich alle, Männer und Frauen, dazu zu bringen, Philosophie als Arbeit an Texten und Argumentationsstrukturen wahrzunehmen und nicht als geniales Gequatsche“, schließt Nemeth.

Marlene Brüggemann hat Philosophie an der Universität Wien studiert.

Dünne Dialoge

  • 18.06.2016, 13:54
OMG, eine Graphic Novel aus dem deutschsprachigen Raum zu Transition!

OMG eine Graphic Novel aus dem deutschsprachigen Raum zu Transition! Die deutsche Illustratorin Sarah Barczyk erhielt 2014 das Egmont-Comic-Stipendium und zeichnete die Geschichte von Kai, der trans ist. Ganz ohne Probleme kommt die Geschichte aber nicht aus: Kais Eltern sind vorerst uneinsichtig und dann verliert er auch noch eine Freundin. Trotz Kais Unbeirrtheit, sind es die Momente des Zweifels, die den Charakter erst persönlich machen: der ersten Besuch beim Therapeuten („Aber was, wenn er sagt, ich sei psychisch krank“), der eigenen dicken Körper („Warum sind die ganzen Transmänner immer sportlich oder schlank?“), die Wahl der passenden Umkleide („Mh. Umkleide…Oje, da hab ich noch gar nicht dran gedacht.“).

Leider ist das aber schon alles, was den_die Leser_in am Charakter fesselt. Die abgehackten Dialoge wirken eher wie schlechte Übersetzungen, denn wie authentische Gespräche. Auch inhaltlich stellt sich bald heraus, dass ein kritischer Ansatz mit Geschlecht umzugehen keine Rolle in „Nenn mich Kai“ spielt. Was für Kai zählt, ist so gut wie möglich als „echter“ Kerl durchzugehen. Da gehört auch das richtige Bro-Verhalten in Männergruppen und Mackertum (gegenüber Frauen_) dazu. Und wer weiß besser wie das funktioniert als Kais Freund, der Cis-Mann Marko. Er zeigt Kai wie Mann-Sein geht: „Du gehst viel zu feminin. So geht das! Schön O-Beine machen und locker schwingen!“ Ähm, ok?

Im Vordergrund der Graphic Novel steht das Bedürfnis einen programmatisch-geraden Weg darzustellen dessen Anfang in Barczyks Zeichnungen symbolisch platt im Flowerfresh-Deo-noch-sanfter liegt und mit einem 48-Men-Power-Deo endet. So klar wie die Geschlechterrollen in „Nenn mich Kai“ verteilt sind, so geradlinig ist auch Barczyks Zeichenstil in Schwarz-Weiß: Für Schattierungen, Grautöne und das Dunkel der Tiefen bleibt wenig bis kein Platz. Im Missy Magazin-Interview erklärt Barczyk ihre Zielgruppe seien eher unwissende Cis-Personen, wie sie bis vor Kurzem selbst eine war. Was als eine noble Idee daherkommt, ist in der Ausführung leider nur ein oberflächlicher Cis-Blick auf Transition und Geschlechterstereotypen geworden. Das Stipendium zu dem Thema wäre bei einer Trans-Person wohl besser aufgehoben gewesen.

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

 

Sarah Barczyk: Nenn mich Kai
Egmont Graphic Novel
80 Seiten
15,50 Euro

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

Haarige Welten

  • 16.06.2016, 20:23
Die tschechischen Spieleentwickler_ innen Amanita Designs haben sich, was die Gestaltung des Computerspiels Samorost 3 angeht, viel angetan.

Die tschechischen Spieleentwickler_ innen Amanita Designs haben sich, was die Gestaltung des Computerspiels Samorost 3 angeht, viel angetan. Die eigenwillige Computerspielkreation legt ihren Schwerpunkt nicht auf die spieltechnische Herausforderung, sondern konzentriert sich auf das ästhetische Empfinden der Spieler_innen. Gefordert sind vor allem Augen und Ohren. Als weißer Gnom in einem reinweißen Ganzkörperanzug mit Zipfelmütze bewegt eins sich v ia Point-and-Click durch neun haarige, hölzerne, steinige oder bewaldete Welten: Planeten und Asteroiden, die von magischen Klängen bewohnt sind. Mittels einer Flöte interagiert der Gnom mit seiner Umwelt.

Die perfekte Gestaltung der Welten stellt auch die Herausforderung von Samorost 3 dar. Vom Bau eines primitiven Raumschiffs bis hin zur Vernichtung des Endgegners; die Struktur der Welten gibt selten einen Hinweis darauf, wo die Lösung der Rätsel liegt. Die vorherrschende Methode, um in Samorost 3 voranzukommen, ist Trial-and-Error. Selbst nachdem ein Rätsel gelöst wurde, ist nicht immer ganz klar, wie es dazu kam. Die Extra-Achievements lassen ebenfalls zu wünschen übrig: Meist lassen sie sich nur durch zufälliges Anklicken von irgendwelchen Gegenständen oder Tieren freischalten. Da Samorost 3 vollkommen auf die sprachliche Ebene verzichtet, sind die meisten Probleme im besten Fall bildlich dargestellt. Sonst zieht sich ein roter Faden durch das Spiel: Die Findung des Problems ist Teil des Rätsels. Deeep!

Das ist jedoch auch das große Manko von Samorost 3. Trotz der wunderschönen Welten wird die Spielfreude durch ein langsames Tempo und unnachvollziehbare, teilweise sogar frustrierende Spielerfahrung getrübt. Ungeduldige Spieler_innen werden, obwohl Samorost 3 ein kurzes Spiel ist, nicht ohne einen Blick in die Komplettlösung auskommen. Die Stärke von Samorost 3 liegt in der Wirkung von lebendigen Bildern, die von seltsamen Klarinettentönen begleitet werden. Anders als in herkömmlichen Spielen, stellt die Vernichtung des Endgegners, eines Mönchs mit schwarzer Rüsselnase, nicht den Höhepunkt dar, sondern ist ein Moment des Zurücklehnens. Wem das reicht, hat mit Samorost 3 eine Freude. An alle anderen: meh!

Amanita Designs: Samorost 3
Einzelspieler_in für Mac und Windows
19,99 Euro

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

„Ich bekomme Schmerzen, wenn Leute Texte singen.“

  • 09.06.2016, 19:34
Wir sprachen am Coded Cultures mit Electric Indigo und Angélica Castelló über Alienstimmen, Schablonensongs und restriktive Clubmusik

Am diesjährigen Coded Cultures Festival bespielten die DJ und Musikerin Susanne Kirchmayr aka Electric Indigo und die Performerin und Musikerin Angélica Castelló eine ehemalige Polizeistation in Wien. Marlene Brüggemann sprach für progress mit ihnen über Alienstimmen, Schablonensongs und restriktive Clubmusik.

progress: Welche Technologie ist für die Musik die unwichtigste?
Kirchmayr: Presets (lacht).

Warum?
Kirchmayr: Presets sind eine Falle in die man gerne stolpert. Das blöde bei Presets ist, es fällt Leuten, die sich ein bisschen damit beschäftigen, sofort auf, wenn du sie verwendest. Presets sind total lame, auch wenn sie auf Platten von Michael Jackson und Pet Shop Boys zu hören sind. Das ist wie wenn du malen würdest, aber von jemanden anderen dafür die Schablonen kaufst.
Castelló: Ich finde eher der Looper, aber das ist Geschmackssache. Wenn die Technik nur als Technik verwendet wird, ist sie überflüssig. Wenn man was zu sagen hat, kann man das mit egal was sagen. Presets hab ich noch nie verwendet, weil ich keinen Computer verwende (lacht).

Würdet ihr euch als Soundkünstlerinnen_ bezeichen?
Kirchmayr: Ich für mich sicher. Ich kann keine Songs schreiben.
Castelló: Komponistin, Künstlerin, Performerin, aber Soundkünstlerin ist global.

[[{"fid":"2274","view_mode":"colorbox","fields":{"format":"colorbox","field_file_image_alt_text[und][0][value]":"Angélica Castelló steht vor einer roten Ziegelsteinwand und einem Metallgitter. Sie hat lange lockige schwarz-grüne Haare die im Wind wehen, trägt dunkle Kleidung, hat die Arme verschränkt und schaut skeptisch.","field_file_image_title_text[und][0][value]":"Angélica Castelló (Foto: Niko Havranek)"},"type":"media","attributes":{"alt":"Angélica Castelló steht vor einer roten Ziegelsteinwand und einem Metallgitter. Sie hat lange lockige schwarz-grüne Haare die im Wind wehen, trägt dunkle Kleidung, hat die Arme verschränkt und schaut skeptisch.","title":"Angélica Castelló (Foto: Niko Havranek)","height":"253","width":"380","class":"media-element file-colorbox"}}]]
Was treibt euch an, neue Klänge zu entdecken?
Castelló: Für mich ist es mein Instrument, die Blockflöte, die musikalisch oft zu wenig ausgeschöpft wird. Sie ist mein Zentrum und Antrieb als Performerin. Ich versuche den Mangel meines Instruments und auch der Stimme in ein klangliches Universum zu transformieren.
Kirchmayr: Bei mir ist es ein Spieltrieb, also ein Spielen mit meinen Werkzeugen, der Hardware oder auch der Software. Was ich in den letzten Jahren gerne mache, ist ein Ausgangsmaterial möglichst vielfältig zu verfremden bzw. weiter zu prozessieren. Ich beschränke mich zum Beispiel auf eine Audioaufnahme von einem Satz, den jemand sagt und aus dem mach ich ein langes Stück Musik, das viele verschiedene Klänge hat.

Ihr beide arbeitet oft mit Sprachaufnahmen. Was fesselt euch an ihnen?
Kirchmayr: Ich studierte zwei Jahre lang Linguistik und finde Grammatik und die Bedeutungsverschiebungen, die sich durch grammatische Unterschiede ergeben können nach wie vor spannend. Diese Freude am Spielen mit Sprache findet in meiner Musik einen Niederschlag. Mit Vocals habe ich aber ein Problem. Ich mag immer die Instrumentalversion von Stücken lieber. Wegen meiner Aversion gegen Messages, habe ich aus Prinzip keine (lacht).
Castelló: Mir geht es ähnlich. Schon als Kind war ich immer die, die keine Ahnung von den Wörtern in Songs hatte, auch wenn sie auf Spanisch waren. Meine Schwester konnte immer die Songtexte von Queen oder Pink Floyd verstehen, obwohl sie nicht gut Englisch konnte. Ich dagegen bekomme Magenschmerzen, wenn Leute Texte singen. Umso mehr mag ich Sprachen, die ich nicht verstehe. Alles was die Menschen dann sagen, kann nur schön, geheimnisvoll oder magisch sein. Deswegen faszinieren mich Radio- oder versteckte Alienstimmen. Also eher die weirden Stimmen, bei denen man nicht genau weiß, ob sie von dieser Welt sind.
Kirchmayr: Sprichst du mit Aliens (lacht)?
Castelló: Ja! Durch meine Flöte (lacht).

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Macht es für euch einen Unterschied, ob ihr in einem Club, Konzertsaal oder einer ehemaligen Polizeistation Musik spielt?
Castelló: Total. Ich kann nicht ein Konzept haben und das überall spielen. Meine Medien, die Flöte, die Instrumente und auch Kassetten, sind alle low-fi. Meine Musik ist davon abhängig, wie der Raum ist und ob es eine_n Tontechniker_in gibt oder nicht. Da muss ich mich anpassen.
Kirchmayr: Während des Spielens am Coded Cultures war mir überhaupt nicht bewusst, dass ich in einer ehemaligen Polizeistation bin. Nach dem Soundcheck kam ein Mann vorbei, der ziemlich verstört war. Er meinte, 1991 hätte die Polizei ihn hier mit einem Sack über den Kopf und mit Schlägen eines Telefonbuchs auf den Hinterkopf abgeführt. Er wollte auch nach 25 Jahren nicht in den Raum hineingehen. Sonst hatte die Location aber nichts bedrohliches mehr an sich.
Castelló: Die Konzerte waren auch so laut, da führten wir schon eine Katharsis durch. Falls in der ehemaligen Polizeistation schlechte Geister waren, sind die jetzt futsch.
Kirchmayr: Prinzipiell finde ich es super, wenn man alle Arten von Räume in Beschlag nimmt. Das ist eine Aneignung von öffentlichen Raum, in die man sonst nicht ohne weiteres reinkommt. Die Umdeutung eines Ortes ist immer interessant.

Was sind Mindestansprüche an einen Veranstaltungsort?
Castelló: Ich könnte egal wo spielen, aber ich bräuchte eine_n super Tontechniker_in und eine super Musikanlage. Als Vergleich: Wenn du Profipianist_in bist, schleppst du dein Instrument nicht mit. Dann bist du auf das Instrument vor Ort angewiesen. Aber ein_e Pianist_in spielt kein Konzert auf einem Klavier, das verstimmt ist oder bei dem zwei Tasten fehlen. Bei aller Liebe zum Trash – es geht sich nicht immer aus und macht nur die Ohren kaputt.

Was braucht ihr um euch als Veranstaltungsbesucherinnen_ wohl zu fühlen?
Castelló: Einen Kühlschrank, eine gute Anlage und ein Klo.
Kirchmayr: Und ein gutes Team, die machen die Atmosphäre. Stichwort gute Anlagen: Die sind in den meisten Wiener Clubs skandalös schlecht. Den Wiener_innen reicht es, wenn es was zu trinken gibt und es richtig wrummt. Auf einer schlechten Anlage kannst du Radiomusik spielen, die sich im Frequenzspektrum der menschlichen Stirn abspielt, weil du nur eine leicht eingängige Melodie hören musst. Musik, die eine große Wucht vom Sound und den Bässe her braucht, funktioniert auf schlechten Anlagen nicht.

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Glaubt ihr zu eurer Musik wird in naher Zukunft in den Clubs getanzt?
Castelló: Ich mache Filmmusik und elektroakustische Musik, also nein. Ich bin nicht so der Clubmensch. Ich liebe Tanzen, aber ich verstehe den Beat nicht.
Kirchmayr: Mir fällt es viel schwerer Club-kompatible Musik zu machen, weil sie viel restriktiver ist. Was in den Clubs besser funktioniert, ist das Funktionale, das einfach zugänglich ist und den_r Hörer_innen schon bekannt vorkommt. Es gibt aber auch andere Musik, die komplexer, vertrackter und nicht so ganz zugänglich sind.
Castelló: Ist die auch zum Tanzen?
Kirchmayr: Ein Groove ist schon dabei. Ich rede von Dancefloormusik.
Castelló: Ich stehe auf die Latino-Rythmen. Vielleicht mach ich mal eine experimentelle Cumbia (lacht).

Ihr schaut auf eine eine 20-jährige Zeit des Musikmachens zurück und habt zahlreiche Preise und Stipendien erhalten. Legt ihr noch auf kleinen Technoparties auf oder bespielt Keller?
Kirchmayr: Die Stipendien, so wie ich eines vom Bundesministerium bekommen habe, sind keine Vermögen. Du bekommst in einem Jahr soviel wie ein_e halbwegs arrivierte_r Künstler_in für einen Auftritt. In jeder Biografie von Künstler_innen stehen Preise drinnen und wenn man keinen hat, ist das doof. Preise sind gut, wenn man darauf angewiesen ist, etwas auf den Tisch legen zu müssen.
Castelló: Das Niveau des Finanziellen ändert sich mit Preisen und Stipendien nicht. Ich bin nicht edel geworden – im Gegenteil. Die Anerkennung macht dich halt ein bisschen mehr sexy.

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

Körbe im Kopf

  • 29.04.2016, 17:36
Beim diesjährigen „Crossing Europe“-Filmfestival in Linz fand der Dokumentarfilm „Europe, She Loves“ reges Interesse. Im Juni kommt er in die österreichischen Kinos. Marlene Brüggemann hat für progress mit dem Regisseur Jan Gassmann über Paarbeziehungen im EU-Parlament, Routinesex und nationale Nussschalen gesprochen.

Beim diesjährigen „Crossing Europe“-Filmfestival in Linz fand der Dokumentarfilm „Europe, She Loves“ reges Interesse. Im Juni kommt er in die österreichischen Kinos. Marlene Brüggemann hat für progress mit dem Regisseur Jan Gassmann über Paarbeziehungen im EU-Parlament, Routinesex und nationale Nussschalen gesprochen.

progress: Du bist aus der Schweiz. Warum interessierst du dich für Europa?
Jan Gassmann:
Genau aus dem Grund. In erster Linie sind wir Schweizer, dann mal Weltbürger und irgendwann vielleicht noch Europäer. Dadurch, dass die EU in einer Schieflage ist, ist die Schweiz in der angenehmen Position, sich raushalten zu können. Trotzdem sollte es eine Mitverantwortung der Schweiz geben. 1992 stimmten die Schweizer knapp gegen eine EU-Mitgliedschaft, seitdem ist dies ein Tabuthema. Die Schweizer gehören aber zum Kern Europas und ich persönlich sehe mich auch als Europäer. Ich las viel über die Krise in der EU, war aber selber nicht davon betroffen. Eine Zeit lang gab es überall Beiträge über die Jugend in der EU, dann plötzlich war das Thema uninteressant und die Artikel blieben aus. Dabei war die Krise, dort wo wir als Filmteam waren, für die Jugend total aktuell. Das war auch die Motivation, „Europe, She Loves“ zu machen.

Im Film gibt es eine starke Diskrepanz zwischen den Nachrichten, die im Radio oder Fernseher liefen und den Reaktionen der vier Paare, die du darstellst. Habt ihr beim Drehen die Nachrichten absichtlich laufen lassen?
Oft hat sich das zufällig ergeben, dass eine Nachrichtensendung lief. Es gibt diese ewige Berieselung und du nimmst die Nachrichten auch wahr, aber du kannst sie nicht richtig verarbeiten. Das was von den Medien kommt, hat einen starken Stellenwert. Gleichzeitig hat man einen kleinen Papierkorb im Kopf, wo alle diese Informationen hineingehen. Denn es sind keine Gesichter mehr dahinter, sondern nur Zahlen. Ich konnte filmen, worüber die Medien berichten. Die Gesichter hinter den Nachrichten zeigen – das war mein Thema.

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Eine Meldung ist die Ermordung des antifaschistischen Rappers Pavlos Fyssos durch einen Neonazi der „Goldenen Morgenröte“-in Athen. Woraufhin Penny und Nicolas auf eine Solidaritätsdemo für Fyssos gehen. Wie ist die politische Stimmung in den anderen Ländern, die im Film vorkommen?
In Tallinn gibt es die Spannung zwischen der russischen und der estnischen Community. Die haben sehr wenig miteinander zu tun. Die russische Minderheit will sich wieder Russland annähern, während die Esten einen Zaun an der Grenze zu Russland gebaut haben. In Dublin war vielmehr das Thema präsent, dass die alten Parteien überholt waren und es nur noch Protestparteien gab. Nach dem „Celtic Tiger“ war die Arbeiterpartei total am Boden, die Konservativen beschädigt. Dort waren einfach alle total genervt von Politik. In Sevilla waren die Bürgerbewegungen interessant. Als wir dort waren, war die Frage wichtig, ob die Bürgerbewegungen es ins Parlament schaffen würden. Es gab aber auch andere Themen. Der Bildungsminister José Ignacio Wert hatte alle Erasmus-Zuschüsse gekürzt; auch für die Studierenden, die bereits im Ausland waren. Sie mussten deswegen nach Spanien zurückkehren. Dagegen gab es auch eine Demonstration.

Abschottung ist also ein länderübergreifendes Thema?
Wir sind die erste Generation, die keine Limitierungen hatte. Die Vermischung und dass die Leute sich frei bewegen können, tut uns doch gut. Dass man jetzt wieder zurück muss in seine nationale kleine Nussschale und sich absperrt, das finde ich schrecklich.

Bietet ein Studium den jungen Menschen eine Zukunftsperspektive?
Es ist die Frage, was du daraus machst. Die Unterschiede zeigen sich an Karo und Juan aus Sevilla. Karo hat nach dem Film doch noch einen Masterplatz in Barcelona bekommen. Sie weiß, dass sie das Studium zu Ende bringen muss. Da tut sich ein Zwiespalt auf, weil die Jungen wissen, dass sie einen Abschluss brauchen, um im Ausland einen Job finden zu können. Sie sind aber auch mit ihren Städten und ihrem Land verbunden. Diese EMigration, weil es nicht anders geht, die funktioniert für die meisten innerlich dann doch nicht wirklich. Ich würde dennoch allen empfehlen zu versuchen etwas zu studieren. Andererseits, ist da Juan, der nie studiert hat. Er machte eine Graphikerausbildung, war Gabelstaplerfahrer, Rettungsschwimmer und ist jetzt Security. Seine Eltern sind ebenfalls Securities. Juan ist talentiert, kommt aber aus einer Klasse, bei der es gar nicht zur Diskussion stand, dass er ein Studium beginnen könnte. Seine Position ist noch viel unklarer als die von Karo, weil er überall einsetzbar ist, aber keine Chance hat, sich beruflich zu definieren.

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Die Protagonist_innen arbeiten alle in prekären Jobs als Kellnerin, Tänzerin, Security oder Pizzalieferant. Siobhan und Terry aus Dublin sind arbeitslos. War Arbeit ein Thema?
Am Anfang ging ich thematisch an den Film heran. Ich dachte, die Arbeitssituation ist eigentlich das Wichtigste. Erst während dem Dreh und als ich die Paare besser kannte, habe ich gemerkt, dass die Arbeit zwar ein Teil des Films sein wird, aber ich werde nicht zehn Mal zeigen, wie jemand Pizza ausliefert.

Die Repetition, die auch harte Arbeit charakterisiert, kommt dafür in Bezug auf Sex vor.

Ist es natürlich auch. (Lacht) Normalerweise ist im Spielfilm der Sex immer ein Klimax oder der Anfang von etwas Neuem. Ich versuchte Sex in meinem Film zu demystifizieren und in einen Alltag einzuflechten. Sex als etwas, was man macht, weil er nichts kostet und man halt zusammen ist.

In „Europe, She Loves“ kommen nur heterosexuelle Paare vor. Wie hast du sie ausgewählt?
Wir casteten fast hundert Paare. Dass es die vier wurden, die im Film porträtiert sind, war eine Bauchentscheidung. Wichtig war mir auch die Kombination aus verschiedenen Paaren, deswegen wollte ich auch die estnische Familie mit Veronika und Harri. Die Idee war, die Veränderungen, die man zwischen 20 und 30 durchmacht, darzustellen. In einer Paarbeziehung sucht man gemeinsam einen Kompromiss, eine Zukunft oder eine Entscheidung. Darin spiegelt sich gut, was auch im EU-Parlament in Brüssel passiert. Die kleinen Dinge, die zu einem Zusammenleben beitragen, zeigen sich schön in der Paarbeziehung. Dass es nur heterosexuelle Paare waren, hat sich so ergeben. Außerdem hätte ich es schade gefunden, wenn man im Nachhinein immer die drei Hetero-Paare mit dem homosexuellen verglichen hätte. Da hätte ich dann gern ein schwules oder lesbisches Pärchen gewollt, das nicht noch zusätzlich ein Klischee erfüllt.

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Im Abspann spielt das Lied „Europe Is Lost“ von Kate Tempest. Ist Europa verloren?
Für mich ist der Song und das, was er sagt, im Kern sehr positiv. Alles aus dem Film ist darin kondensiert. „Europe Is Lost“ fragt auch danach, wann wir wir endlich wieder aufwachen werden. Ich glaube an Europa- Es ist schade, dass man dem Experiment EU nicht wirklich eine längere Zeit zugesteht, fünfzehn Jahre EU sind nicht lange. Ich bin aber auch nicht super Pro-EU. Es ist eine komplexe Materie, aber man muss dem Konzept eine Chance geben, dass es sich erarbeiten und sich daraus etwas ergeben kann.

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

Abenteuer Familie

  • 12.03.2016, 13:00
Die US-amerikanische Animatorin Patricia Beckmann Wells zeigte am diesjährigen tricky women-Festival ihren Kurzfilm „Family Tale“. Mit progress-Journalistin Marlene Brüggemann sprach sie über ihre Erfahrungen als Adoptivmutter, Shrek-Macherin und kreative Hundehüterin.

Die US-amerikanische Animatorin Patricia Beckmann Wells zeigte am diesjährigen tricky women-Festival ihren Kurzfilm „Family Tale“. Mit progress-Journalistin Marlene Brüggemann sprach sie über ihre Erfahrungen als Adoptivmutter, Shrek-Macherin und kreative Hundehüterin.

Sehnsucht, Verluste und Freude – in „Family Tale“ verarbeitet Patricia Beckmann Wells die Geschichte, wie sie zu ihrer jetzigen Familie kam. Aus einem Leben als sprunghafte Abenteurerin mit ihren beiden Hunden Thelma und Louise entwickelt sich der Wunsch Kinder zu bekommen. Was Patricia sich als natürliche Gegebenheit vorgestellt hat, entpuppt sich als ein schmerzvoller Weg geprägt von drei Fehlgeburten und missglückten Adoptionsversuchen. Zum Schluss gibt es aber den Anfang eines Happy End mit einem Sohn, dessen biologische Mutter und Geschwister zur erweiterten Familie werden.

progress: Bist du eine Familienperson?
Patricia Beckmann Wells:
Als ich jung war, dachte ich nie, dass ich eine bin. Aber jetzt schon. Als ich meinen Ehemann kennenlernte, hörte ich auf zu reisen und wollte nur noch mit ihm rumhängen. Davor lebte ich ein abenteuerliches Leben. Ich war so eine Person, die gerne alle ihre Sachen packte und dann einfach auf die andere Seite des Landes gezogen ist. Das ist mehr als einmal passiert. (Lacht)

In „Family Tale“ hast du dich als schemenhaftes Strichwesen dargestellt. Warum?
Als ich jünger war, fühlte ich mich eher wie ein Cartoon. Ich war sehr naiv, auch wenn ich bereit war überall hinzugehen und alles auszuprobieren. Auch die ältere Patricia ist in „Family Tale“ sehr skizzenhaft, das liegt aber daran, dass meine Arbeit mit dem Alter abstrakter wird.

Seit wann machst du Animationsfilme?
Ich schloss mein Animationsstudium 1996 ab. Seitdem arbeitete ich für Warner Bros an Filmen wie „Mars Attacks!“, „Eraser“ und einem Batmanfilm; für DreamsWorks Animation an „The Bee Movie“, „Shrek“, „Kung Fu Panda“ sowie für die Disney Animation Studios an dem 2D Film „The Princess and the Frog“ und Rapunzel und für Film Roman, das Studio das Die Simpsons macht. Eine Zeit lang war ich Freiberuflerin. Dann ging ich in den Bildungssektor, weil ich mehr Zeit für meine eigenen Filme haben wollte. Es ist wirklich hart in den Filmstudios, weil du dort ein Zahnrad in einer Maschine bist.

Was sind deine Erfahrungen mit den großen Animationsfilm-Studios?
Es hat etwas von einem Nomadenleben, weil du den Jobangeboten nachreist. Wenn du einmal in dem Studiosystem drinnen bist, , läufst du in dessen Rythmus mit. Das ist richtig cool. Irgendwann bemerkst du aber, dass deine Skillsets mehr und mehr verfeinert werden müssen. Es gibt so viele verschiedene Arten von Animator_innen, zum Beispiel für Visual Effects, Charaktere oder einfach nur Tentakeln oder Arme. Du kannst ein_e Animator_in sein, aber du wirst in eine sehr spezielle und enge Position gesteckt.

Für mich war das Problem: Ich wusste nicht mehr, was mein Stil ist. Ich arbeitete immer in dem Stil, der mir vom Filmkomitee aufgetragen wurde. Zusätzlich machte ich den Fehler, als Trainee zu arbeiten. Ich hätte gleich kreative Positionen belegen sollen, aber ich war nie wirklich dafür in Betracht gezogen worden, weil ich einen Hintergrund im Bildungswesen hatte. Das war eine persönliche Herausforderung, daraufhin kündigte ich meinen Job in den Filmstudios. Außerdem wurde ich nie als Künstlerin gesehen, obwohl ich von 2000 bis 2005 all diese Filmfestivals gewann. Ich fragte mich: Warum? Ich frage mich, ob das bei anderen Frauen auch so ist, dass sie nur in einer Schiene willkommen geheißen werden.

Wie ist es eigentlich für Frauen_ in der Animation?
Es gibt das Ziel, mehr Frauen in die kreativen Positionen zu bringen. In den USA machen sie an den Studios weniger als 20 Prozent aus. Es hält sie niemand auf, in der Animation anzufangen, aber sie tendieren dazu, entlang des Weges dahin zu verschwinden. Ich erarbeite gerade als Professorin am Irvine Valley College eine Studie, anhand der wir einhundert Frauen in der Animation über fünf Jahre begleiten werden, um herauszufinden, was mit ihnen passiert.

Du bist also jetzt in der Wissenschaft?
Nach meiner Kündigung machte ich mein Doktorat und konzentrierte mich auf meine eigenen Filme. Das war hart, weil ich alles aufgab. Menschen behandeln dich anders, wenn du nicht mehr in den großen Filmstudios arbeitest, sondern als Professorin.

Ist dein Leben jetzt weniger aufregend?
Anders aber auch aufregend, weil ich jetzt in Virtual und Augmented Reality arbeite und das explodiert zurzeit. Es heißt, VR würde eine Zwei-Milliarden-Industrie werden. Da kannst du noch experimentieren und deine eigenen Visionen realisieren.

Mit welchen Techniken hast du „Family Tale“ realisiert?
„Family Tale“ ist eine 2D-Animation und handgezeichnet. Dass ich alleine einen achteinhalbminütigen Film geschafft habe, liegt daran, dass alles sehr lose gezeichnet ist, weil es als Storyboard gedacht war. Ich mag Stop-Motion Filme, aber es hätte zehn Jahre gedauert, bis er fertig geworden wäre. „Family Tale“ war eine emotionale Arbeit und ich wollte sie einfach machen.
Zusätzlich trieb mich meine Hündin an. Sie war von einem Koyoten angegriffen worden und musste über die ganze Seite genäht werden. Um sie ruhig zu halten, saß ich zwei Monate lang neben ihr und zeichnete. Das hat mir geholfen, den Film fertig zu machen. Die Technik war „an-einen-Hund-gebunden“-Zeichnen. (Lacht)

„Family Tale“ ist ein schneller Film – eine ganze Familiengeschichte wird erzählt. Fehlt dir retrospektiv das Detail?
Was ich gern noch stärker reinbringenwürde, ist die Perspektive der Mutter. Sie hat so eine interessante Geschichte und eigene Angelegenheiten, mit denen sie umgehen muss. Sie zu behandeln, wäre eine eigene Geschichte.

Dein Film handelt auch von Fehlgeburten. Wieso ist es so schwierig, darüber zu sprechen?
Ich war bei einer meiner Fehlgeburten sehr wütend auf einen Arzt, der auch im Film vorkommt. Er hätte sich nach meiner Fehlgeburt 30 Sekunden nehmen und Mitgefühl auszudrücken können. Stattdessen sagte er zu mir: „Das passiert allen. Glauben Sie, Sie sind etwas Besonderes?“ Es schockierte mich, so etwas nach einem Verlust zu hören. Du brauchst nach einer Fehlgeburt eine Entlastung und die wurde mir nicht gegeben. Ich fühle sehr mit den Frauen, die mit niemandem darüber sprechen können. Was ich mit „Family Tale“ ansprechen will, ist, dass es wichtig ist, die mentale Gesundheit der Patientinnen, die eine oder mehrere Fehlgeburten erlebt haben, ernst zu nehmen. Es gibt oft den Moment des kollektiven Stolzes, wenn Frauen ihre Babys zum ersten Mal herumtragen. Das ist eine unfaire Verteilung von Aufmerksamkeit. Es gibt so viele Frauen, die ihre Kinder verloren haben und du hörst nie davon, außer du sprichst über deinen eigenen Verlust. Wieso ist das so? Ich möchte mit meinem Film zu mehr Kommunikation über Fehlgeburten anregen, weil es ein großes psychisches Gesundheitsproblem ist.

Neben Fehlgeburt ist das Thema Adoption zentral – eine Ermutigung zur Mutterschaft abseits der biologischen Mutter-Kind-Bindung?
Die ersten Tage, in denen mein Sohn bei uns war, fragte ich mich ständig: „Liebe ich dieses Kind?“ Aber jetzt liebe ich ihn sehr. Ich kann – er ist drei Jahre alt – seine biologischen Brüder und Schwestern in ihm sehen, aber auch mich und meinen Mann. Das versichert mir, dass er mich und meinen Mann in sich erkennen wird, wenn er später mal merkt, dass wir nicht seine biologischen Eltern sind. Außerdem wird er seine biologische Familie kennen, weil wir uns für eine offene Adoption entschieden haben. Er trifft seine biologische Mutter, seine Brüder und Schwestern zweimal im Jahr, sie spielen dann miteinander und geben sich Geburtstagsgeschenke. In einer offenen Adoption nimmst du dich nicht nur des Kindes an, das du adoptierst, sondern auch der biologischen Mutter und deren Familie. Ich wollte einen Sohn, jetzt habe ich acht Kinder! (Lacht) Jede_r ist anders, aber ich und mein Ehemann haben uns für das Konzept der offenen Adoption entschieden und für uns funktioniert es, weil die richtigen Leute involviert waren. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen das nicht funktioniert. Aber wenn es funktioniert, ist es eines der fantastischsten Abenteuer, die eins erleben kann.

 

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

Eis(Bären)Erlebnis!

  • 25.06.2015, 11:31

Schneesturm, der Kunuuksaayuka, in der arktischen Eiswüste: Die junge Iñupiat Nuna hat sich verlaufen und versucht zurück zu ihrer Familie zu finden. Ausgestattet mit einer Bola, einem Wurfzeug, begibt man sich als Nuna und/oder ihr treuer Freund, ein weißer Polarfuchs, auf eine Odysse durch Schnee, Eis und Wind und erlebt pulssteigernde Abenteuer.

Schneesturm, der Kunuuksaayuka, in der arktischen Eiswüste: Die junge Iñupiat Nuna hat sich verlaufen und versucht zurück zu ihrer Familie zu finden. Ausgestattet mit einer Bola, einem Wurfzeug, begibt man sich als Nuna und/oder ihr treuer Freund, ein weißer Polarfuchs, auf eine  Odysse durch Schnee, Eis und Wind und erlebt pulssteigernde Abenteuer.

Mal überlistet man das kleine Volk, um dem Eulenmann, eine Art Shamanen aus Nunas Dorf, seine Trommel zurückzubringen, dann schwimmt man im wassergefüllten Magen-Labyrinth eines Wals oder stellt sich dem grusligen Menschentöter. Bei allen Abenteuern hilft Nuna Sila, das Wetter: Gezeichnet in schön geschwungen, geisterähnliche Tierformen hält sich Nuna daran fest oder wird über Wasser und Abgründe getragen. Auch der Polarfuchs gehört diesen Naturkräften an und kann mit ihnen kommunizieren. Später in Gestalt eines Peter Pan mit Öhrchenkapuze, der durch die Lüfte flitzt, kann er sie  sogar lenken.

Ohne die anderen geht hier gar nichts. Das legt auch der Zwei-Spieler_innen-Modus nahe, in dem der die Mitspieler in in die gleichberechtigte Rolle des Fuchs schlüpfen kann. „Never Alone“ steht ganz im Zeichen der Gemeinschaft und des Respekts. Es ist bestechender Ausdruck der engen Zusammenarbeit mit 40 Iñupiat, den indigenen Bewohner_innen Alaskas, aus der das Videospiel entstanden ist.

In 24 in das Spiel integrierten, kurzen aber hochwertig produzierten Videoclips erzählen sie ihre Geschichten über das Leben im Schnee, Mythen über Polarlichter und ihr Wissen über die Natur. Letzteres schlägt sich auch in dem weichen, liebevoll gestalteten Artwork nieder, das eine Schneelandschaft nicht einfach weiß, sondern in differenzierten Eis- und Schneeformen und mit wechselnden Windstärken darstellt.

Die Macher_innen von „Never Alone" haben aus einem simplen Jump-and-Run eine epische Geschichte entwickelt, die man nur gemeinsam zu Ende bringen kann. „Never Alone“ beweist, dass es, ohne ins Kitschige, Verherrlichende oder belächelnd Herablassende zu verfallen, Spieler_innen spannend und lehrreich in das Leben der Iñupiat involvieren kann – auch im Sommer!

„Never Alone“ (Kisima Ingitchuna) Upper One Games
Einzel- oder Mehrspieler_innen für Windows, Mac,
PlayStation 4, Xbox One, (demnächst) Wii U 14,99 Euro

 

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

 

Schauen, was ich kann

  • 25.06.2015, 10:43

Natalie Ofenböck ist eine der beiden Stimmen des #oehwahlfahrts-Jingles und Ohrwurms „Hallo“ von Krixi, Kraxi und die Kroxn. progress hat mit ihr über Aufwecklieder, Tastatur-Klack-Geräusche und Katzenkalender gesprochen.

Natalie Ofenböck ist eine der beiden Stimmen des #oehwahlfahrts-Jingles und Ohrwurms „Hallo“ von Krixi, Kraxi und die Kroxn. progress hat mit ihr über Aufwecklieder, Tastatur-Klack-Geräusche und Katzenkalender gesprochen.

progress: Gehst du tatsächlich jeden Tag in den Prater?
Natalie Ofenböck: Nein. (lacht) Aber ich bin schon oft dort, ich wohne ja nicht weit weg. Ich mag den Prater sehr gerne, den Grünen wie auch den Wurstelprater.

Krixi, Kraxi und die Kroxn sind nicht drei Freund_innen, sondern 17 Menschen: Wie funktioniert das als Bandprojekt?
Bei der ersten CD haben wir zu zweit bzw. zu dritt Lieder geschrieben und aufgenommen. Später erst haben wir Leute eingeladen, ihnen unsere Lieder vorgestellt und dann hat jeder dazu gemacht, was er wollte oder konnte. Irgendwann waren wir dann bei 17. Aber bei keinem Lied haben alle 17 mitgemacht. Wir hatten kein einziges Konzert, wo alle dabei waren. Einmal  waren wir 16.

Du und Nino aus Wien tretet öfter zu zweit auf. Ihr habt auch die Krixi,-Kraxi-und-die-Kroxn-Lieder geschrieben. Wie kommt ihr auf so unkonventionelle Ideen wie „Hallo“ oder  „Käfer“?
Mit „Käfer“ hab ich begonnen, um Nino aufzuwecken, weil er nicht aufwachen wollte. Irgendwann dann haben wir daraus ein ganzes Lied gemacht. Und „Hallo“ war das erste Lied, das wir gemeinsam gemacht und aufgenommen haben. Das haben wir an einem traurigen Tag geschrieben.

Das Artwork zur CD „Die Gegenwart hängt uns schon lange zum Hals heraus“ hast du gemacht. Im Booklet findet man dein Zitat „Das Fröhlichste das ich je machte.“ Warum?
Weil alles so spontan passiert ist. Ich arbeite sonst ewig an Dingen und das war viel leichter. Auch weil so viele Leute dazu beigetragen haben und es so gut funktioniert hat. Wenn ich allein arbeite, dauert es ewig und ich mache ständig Verbesserungen. Bei dem Projekt haben wir ein Lied geschrieben und es am nächsten Tag aufgenommen. 

Du bist ja nicht nur bei Krixi, Kraxi und die Kroxn dabei, sondern hältst auch Lesungen, arbeitest mit Stoffen und illustrierst. Siehst du dich als interdisziplinäre Künstlerin?
Ich will einfach schauen, was ich alles kann. Oder ob ich das kann. Ich finde Zeichnen, Schreiben und das Mit-Stoffen-Arbeiten sehr ähnlich. Bei Kleidung war es so, dass es mich lange nicht interessiert hat, ob sie tragbar ist. Für mich war es eher Bildhauerei, nämlich, dass man etwas formt – nur eben am Körper. Es ging mir eher darum zu schauen, welche Formen und Farben es gibt. Das, was dabei herausgekommen ist, war dann oft nicht etwas, was man so im Alltag trägt. Bei den Sachen, die ich im Studium gemacht habe, war es mir nicht wichtig, dass es zumindest angenehm zu tragen ist, sondern, dass es eher eine Art Bild wird.

Welches Studium war das?
Das  Bachelorstudium  Mode in Hetzendorf in Wien. Zuvor habe ich ein Jahr in Antwerpen Mode studiert. 

War das für dich als Künstlerin eine Ergänzung oder eine Herausforderung?
Alle Studien, die ich begonnen habe, habe ich gemacht, um eine bestimmte Art von Lernen kennenzulernen. In Hetzendorf war es sehr zeitintensiv, weil es sehr schulisch und mit Anwesenheitspflicht war. Aber ich wollte nähen und mich mit Mode beschäftigen, auch theoretisch.

Unter kkkatzenadvent.com findet man von dir detailreiche  und  animierte  Illustrationen. Hast du an jede Kunstform  verschiedene Ansprüche?
Die Katzenzeichnungen sind eher so wie einen schnellen Text zu schreiben oder ein schnelles Lied zu machen. Aber wenn man ein Kleidungsstück macht, braucht es viel mehr Vorbereitung und Änderungen. Aber beim Zeichnen oder Schreiben passiert alles viel mehr im Moment, das ändert sich dann oft auch nicht mehr. Zumindest bei den Katzenzeichnungen oder den Texten.

Deine Texte sind manchmal sehr assoziativ, dann gibt es wieder ganz andere wie: „man muss die liebe umpolen. die liebe die zäh ist wie trockene kaugummifäden.“  Wie schreibst du?
Diese aneinandergereihten Wörter oder Assoziationsketten sind mit einer Art Rhythmus in meinem Kopf geschrieben. Das geht sehr schnell und das lass ich dann auch so. Es gibt aber natürlich andere Texte, zum Beispiel Strophen, wo man auch reimt. Ich finde man kann ganz gut mit einer Tastatur schreiben, weil das ein Klack-Geräusch macht. Das finde ich angenehm. Da kommt ein Rhythmus zustande.

Das heißt du kannst das 10-Finger-System?
Nein. So schnell bin ich auch nicht. (lacht)

Viele deiner fragmentarischen Werke, Wortspiele und Katzenskizzen publizierst du auf Facebook, Tumblr und auf deiner Webseite. Ist das Internet für dich Möglichkeit oder  Einschränkung?
Ich bin mir nicht sicher. Natürlich ist es eine Möglichkeit, dass Leute das sehen und mitbekommen, was du machst. Zum Beispiel der Katzenkalender würde ohne Internet  nicht  funktionieren. Dann ist es schon gut, aber sonst finde ich es auch ein bisschen seltsam, dass Sachen so schnell nach außen gehen können ohne einen Rahmen. Ich poste auch gar nicht so viel, weil ich mir oft auch nicht so sicher bin, ob ich das sofort teilen will.

„Fräulein Gustl“ als Buch mit Hörspiel tendiert da eher in die analoge Form.
Da wollten Lukas Lauermann, Raphael Sas, Stefan Sterzinger, Nino und ich was Fertiges in der Hand haben. Das ist was anderes als einen Text zu posten. Etwas in physischer Form zu haben, finde ich allgemein besser. Aber das ist eine Kostenfrage. Damals ging  das, weil wir einen Verlag gefunden hatten.

Kannst du uns eine Wortassoziation machen? salzlackengedächtnisse händigen mir die brühe aus. salzaugen. salzorgane. salzorganisten. salzprinz. spiegelsalz. augentracht. spitzenwerk. fliegendreck. zwirbelspeck. spielkatze. zwischenmagen. kitzelkatze. schmirgelkatze, kastenpratze. (gekürzt)

 

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

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