Treue um Treue

  • 28.09.2012, 10:12

Feldbach in der Steiermark galt den Nazis 1945 als Bollwerk gegen die Allierten. Daran erinnern sich bis heute die lokalen Bevölkerung, SS-Veteranen und auch der Bürgermeister gerne.

Feldbach in der Steiermark galt den Nazis 1945 als Bollwerk gegen die Allierten. Daran erinnern sich bis heute die lokalen Bevölkerung, SS-Veteranen und auch der Bürgermeister gerne.

Seit knapp 60 Jahren treffen sich jährlich Mitte Mai Veteranen von Gebirgsjäger- und Fallschirmjäger-Einheiten des Dritten Reiches in Gniebing, einem Ortsteil von Feldbach, in der Südoststeiermark. Dabei wird zweier Schlachten der Wehrmacht gedacht: der Eroberung Kretas durch deutsche Fallschirmjäger und Gebirgsjäger im Jahr 1941 sowie der Eroberung der bereits von der Roten Armee befreiten Stadt Feldbach durch Fallschirmjäger und Waffen-SS im Jahr 1945. Veteranenorganisationen der Wehrmacht und SS, deutschnationale Burschenschaften, PolitikerInnen, Geistliche, Bundesheer und Polizei sind hier Jahr für Jahr anzutreffen. Sie betrauern die Toten auf Seiten der Nazis, den Heldenkampf und versichern sich gegenseitig „ewiger“ und „wahrer“ Werte.

Befreiung und Rückeroberung. Im März und April 1945 stand die Rote Armee kurz davor, Österreich von Osten und Südosten her zu befreien. Am 29. März wurde die „Reichsgrenze“ überschritten, schon am 3. April 1945 begann die Befreiung Wiens. Zu diesem Zeitpunkt strömten über Kärnten/Koroška und die Steiermark zahlreiche Verbände der Wehrmacht und SS nach Österreich zurück; die meisten hatten den Glauben an den Endsieg schon lange aufgegeben und versuchten, von den Westalliierten statt von der Roten Armee gefangen  genommen zu werden, um einer Strafverfolgung durch den „bolschewistischen Untermensch“ zu entgehen.

Nicht so jedoch die in der Steiermark liegenden Verbände, die auch 1945 noch vom Endsieg überzeugt waren. Feldbach wurde am 1. April von der Roten Armee befreit, aber nur schwach gesichert: Die Rote Armee konzentrierte sich auf die Befreiung Wiens. Es gelang der Wehrmacht, Feldbach zurückzuerobern: Vom 5. auf den 6. April 1945 wurde die heutige Bezirkshauptstadt von Westen her von einer Fallschirmjäger-Einheit, die gerade zufällig aus Italien kommend im Raum Graz eintraf und von einigen Wehrmachts- und SS-Einheiten unterstützt wurde, aus NS-deutscher Sicht „zurückbefreit“. Der Angriff kostete die schlecht ausgerüsteten und kaum aufeinander eingespielten Verbände viele Opfer. Die deutsche Propaganda berichtete ausführlich über die Rückeroberung Feldbachs sowie weiterer steirischer Städte, wodurch das Unternehmen auch  eine propagandistische Bedeutung für den im April 1945 bröckelnden „Durchhaltewillen“ in der „Alpenfestung“ erhielt. Auch als am 27. April die Unabhängigkeit Österreichs proklamiert wurde, am 28. April Benito Mussolini und am 30. April Adolf Hitler starben, dauerte die Verteidigung Feldbachs weiter an.

Niederbrennen von Ortschaften. Griechenland war zu Beginn der 40er-Jahre noch kein Schauplatz des Zweiten Weltkrieges, die militärische Strategie der NationalsozialistInnen konzentrierte sich auf die Vorbereitungen für den Überfall auf die Sowjetunion. Aber Anfang April 1941 eroberte die Wehrmacht  Jugoslawien und Griechenland. Die Eroberung Kretas wurde von bayrischen und österreichischen Fallschirmjägern und Gebirgsjägern getragen und vom  österreichischen Generaloberst Alexander Löhr geleitet. Am 20. Mai 1941  startete die Luftlandung der Fallschirmjäger, am 27. Mai zogen sich die Alliierten zurück. Die kretische Bevölkerung leistete – zur Überraschung der Wehrmacht und der abziehenden Alliierten – starken Widerstand, ohne von den Alliierten dazu aufgefordert oder dafür ausgerüstet worden zu sein.

Die Besatzer setzten von Anfang an Vergeltungs- und Sühnemaßnahmen ohne Einschränkungen ein. Ihr Befehlshaber Kurt Student wies die Besatzungstruppen auf Kreta am 31. Mai 1941 an: „Als Vergeltungsmaßnahmen kommen in Frage: 1.) Erschießungen 2.) Kontributionen 3.) Niederbrennen von Ortschaften 4.) Ausrottung der männlichen Bevölkerung ganzer Gebiete.“ Mit diesem Befehl, dem ähnliche folgten, war schon 1941 vorweggenommen, was später den „Partisanenkrieg“ prägen sollte: freie Hand für Übergriffe durch Soldaten, Sühnemaßnahmen und Vergeltungen gegen die Zivilbevölkerung. Der Wehrmachtseinsatz auf Kreta sticht durch seine immense und beispielgebende Grausamkeit gegenüber der Zivilbevölkerung heraus.

Ablauf der jährlichen Feier. Das Veteranen-Denkmal, das sich heute am Rande von Feldbach befindet, besteht aus einem auf einer übergroßen Steinsäule sitzenden Adler und mehreren Widmungstafeln. Auf einer dieser Tafeln steht: „Hier kämpften und fielen in den ersten Apriltagen des Schicksalsjahres 1945 deutsche Fallschirmjäger. Getreu ihrem Eid und Gehorsam der beschworenen Pflicht.“ Darunter befindet sich eine große Platte mit kretischer Erde samt eingraviertem Wehrmachts-Fallschirmschützenabzeichen. Die Gedenkfeier in Feldbach findet seit 1954 immer rund um den 20. Mai statt – an jenem Tag, an dem der Überfall auf Kreta begonnen hatte. Die TeilnehmerInnen marschieren schweigend, begleitet von Trommelschlägen, zum Denkmal: 2012 waren es rund 200 Personen. An der Feier beteiligen sich nicht nur der oder die durchschnittliche FeldbacherIn, GemeinderätInnen verschiedener Parteien, der Bürgermeister und Militärgeistliche und Nationalratsabgeordnete, sondern auch in- und ausländische Militaristen, Weltkriegsveteranen, Ritterkreuzträger, Kameradschaftsverbände von Wehrmacht und (Waffen-)SS und deutschnationale Burschenschafter.

Im Jahr 2011 nahm auch die SPÖ-Abgeordnete zum Nationalrat Sonja Steßl-Mühlbacher teil. Einen militärischen Charakter bekommt die Veranstaltung durch eine bewaffnete Bundesheer-Ehrengarde sowie PolizistInnen in Uniform. Seit 2009 wird die Veranstaltung von einem ehemaligen General des  Österreichischen Bundesheeres ausgerichtet, der seit Jahrzehnten im Netzwerk
 rechter Veteranen-Organisationen fest verankert ist, etwa an der Veteranenfeier in Mittenwald in Bayern teilnimmt und immer wieder in rechtsextremen Medien publiziert. Die TeilnehmerInnenzahl nimmt in den letzten Jahren kontinuierlich zu. Bei den Feiern selbst werden die Veteranen der Wehrmacht und SS namentlich begrüßt und ihre „Leistungen“ erläutert. Die Veteranen nehmen samt aller ihnen vom Dritten Reich verliehenen Auszeichnungen teil, darunter Ritterkreuz, Erdkampfabzeichen, Bandenkampfabzeichen und Kreta-Ärmelband.

Bei dem auf etlichen Fahnen von Verbänden ehemaliger Fallschirmjäger  aufgedruckten Spruch „Treue um Treue“ handelt es sich um die Parole der Fallschirmjäger der Wehrmacht. Auch das Fallschirmschützenabzeichen, dessen Kopie zahlreiche Teilnehmer der Feier auf dem Barett tragen, ist eine direkte Übernahme aus der Wehrmacht. Auf den Fahnen der Waffen-SS-Kameradschaft K IV ist der Spruch „Unsere Ehre heißt Treue“ rund um ein Balkenkreuz angeordnet. Es handelt sich dabei um den leicht abgewandelten Schwurspruch der SS „Meine Ehre heißt Treue“. Zum Programm gehört außerdem Wehrmachtsliedgut wie das Edelweiß-Lied und das Fallschirmjäger-Lied.

Die andere Geschichte. In Feldbach befanden sich bis 1945 eine Kaserne der Waffen-SS sowie mehrere Lager mit jüdischen ZwangsarbeiterInnen, die beim Stellungsbau eingesetzt wurden. Das Kommando für einen Bauabschnitt des „Südostwalls“ befand sich ebenfalls hier, sowie ein für das Militär und für den Transport von ZwangsarbeiterInnen wichtiger Bahnhof. Als regionaler Knotenpunkt wurde Feldbach zum Schauplatz des NS-Alltags: Zwangsarbeit, Durchhalteparolen, Erschießungen. Mit Hilfe des „Südostwalls“ – einem tiefen Graben rund um Ostösterreich – glaubten die Nazis vor der Roten Armee sicher zu sein. ZivilistInnen, kriegsgefangene Soldaten und rund 30.000 ungarische Juden und Jüdinnen wurden zum Ausschaufeln des Grabens gezwungen. Alleine im Bauabschnitt Feldbach waren es 3.000 ZwangsarbeiterInnen. Die Bauleitung des Abschnitts befand sich in Feldbach, ebenso die jeweiligen Stellen der für den Bau zuständigen „Organisation Todt“. Daneben bestand ein Kasernen- beziehungsweise Lagerkomplex der Waffen-SS in Feldbach, in dem der größte Teil der jüdischen ZwangsarbeiterInnen untergebracht war.

Die ZwangsarbeiterInnen wurden teils in der Stadt Feldbach selbst zur Arbeit gezwungen, zum größten Teil aber per Zug zu den Schanzarbeiten transportiert. Zahlreiche Ermordungen und Übergriffe sind überliefert. Zum Beispiel kam am 25. März 1945 eine größere Anzahl Gefangener direkt in Feldbach zu Tode: Die Gefangenen befanden sich in Eisenbahnwaggons während der Bahnhof von alliierten Fliegern angegriffen wurde. Der Angriff forderte einige Tote und vor allem Verletzte. Das “Problem” wurde so gelöst, dass die überlebenden jüdischen ZwangsarbeiterInnen die Verletzten und Toten auf einen LKW laden mussten und alle zum nahen Mühldorfer “Judenfriedhof” gebracht wurden. Die Unverletzten mussten ein Grab ausheben und wurden sodann zusammen mit den Verletzten erschlagen oder erschossen.

Das „Drama vom Bahnhof“ stellt sich in der Dorfgeschichte anders dar: An den Toten dieses Angriffs hätten die Alliierten Schuld, andere Opfer als jene der Amerikaner hat es nicht gegeben. In der Ortsgeschichte liest sich das so: „Das grauenhafte Blutbad bei der Beschießung des 'Judenzuges' durch den Tieffliegerangriff der Amerikaner im Bahnhof von Feldbach ist für mich persönlich ein unvergeßliches Ereignis. Es gab viele Tote, zahlreiche Verletzte, schreckliches Angstgeschrei, durchlochte und blutbespritzte Waggons.“ Dass die meisten Toten dieses Tages von örtlichen Nazis und der SS erschossen wurden, kommt in dieser Geschichte nicht vor.

Maschinenpistolen gegen Flecktyphus. In der unmittelbaren Umgebung von Feldbach befinden sich, neben dem Massengrab am Friedhof, zahlreiche weitere Massengräber mit jüdischen Opfern. Diese sind das Ergebnis zahlreicher Massaker und Übergriffe auf Juden und Jüdinnen, sehr häufig etwa im Rahmen „systematischer Erschießungen von Kranken“ zur „Bekämpfung“ von Flecktyphus in den Lagern. Ende März und Anfang April 1945 wurden die Gefangenen auf Todesmärsche Richtung Oberösterreich getrieben, wobei nicht mehr marschfähige ArbeiterInnen von den Wachmannschaften systematisch ermordet wurden. Eines der größten Massaker im Rahmen eines solchen Todesmarsches fand nahe Graz statt. Rund 200 Menschen wurden erschossen.

In vielen Städten der Steiermark war das Los der Jüdinnen und Juden sichtbar und allen BewohnerInnen bekannt. Trotzdem erinnert heute nichts an ihre Qualen – ihren Bewachern und Mördern wurden hingegen Denkmale gesetzt. Insbesondere die Rückeroberung Feldbachs hatte katastrophale Konsequenzen: Durch den Stopp der Roten Armee konnten einerseits die Wehrmachtsverbände fliehen und darüber hinaus vor allem die Todesmärsche gedeckt und ungehindert durchgeführt werden. Die Darstellung von “Feldbach als Bollwerk” geht dabei direkt auf NS-Propaganda zurück, die im April 1945 sonst nirgendwo von Erfolgen berichten konnte. Zwar ist dies auf Basis der österreichischen Opferthese nicht unüblich, doch selten wird heute so unverfroren eine Umkehrung von Tätern und Opfern betrieben wie in Feldbach.

Während die Feier in den letzten 60 Jahren unhinterfragt stattfinden konnte, wurden 2012 einzelne Aspekte erstmals in der Wochenzeitung Falter und in der Tageszeitung Der Standard skandalisiert. Ähnlich wie in der Berichterstattung zum Ulrichsbergtreffen in Kärnten/Koroška drehen sich die Kritikpunkte um die Bundesheer-Teilnahme und die Gemeinde Feldbach als Veranstalterin. Aus antifaschistischer Sicht müsste die Palette an Problemfeldern etwa um die dort erfolgende Identifizierung mit Soldaten der Wehrmacht und der (Waffen-)SS genauso thematisiert werden wie die totale Ausblendung von jüdischen Opfern – sowohl im Stadtbild als auch während der Feier. Auch müsste einer „typisch österreichischen“ Lösung entgegengetreten werden, einfach TäterInnen wie  auch Opfern unter dem Motto „Nie wieder Krieg“ gleichermaßen zu gedenken. Proteste gibt es 2013 aber jedenfalls bestimmt.

Die lange Version dieses Artikels könnt in Kürze ihr hier nachlesen: akhinterland.wordpress.com

AutorInnen: M. N. Thaler und L. Berwald