Studis am Ende
Dem Ziel so nah und doch so fern – so schwierig kann der Uni-Abschluss sein.
Dem Ziel so nah und doch so fern – so schwierig kann der Uni-Abschluss sein.
Aller Anfang ist schwer, heißt es. Doch kaum jemand spricht darüber, dass das Ende genauso problematisch sein kann. Während nämlich zu Beginn des Studiums zahlreiche Tutorien und Infoveranstaltungen den Einstieg ins Unileben erleichtern, fühlen sich viele Studis auf den letzten Metern vor dem Abschluss allein gelassen.
FRODO STATT BACHELORARBEIT. Studierende, die ewig an ihrer Abschlussarbeit sitzen, die sich immer wieder vor der letzten Prüfung drücken oder gar – mit dem Ziel schon vor Augen – alles hinschmeißen, sind keine Einzelfälle. Sein Bachelorstudium an einer FH in Wien nach drei erfolgreichen Studienjahren ohne Titel beendet, hat etwa der 25-jährige Martin. 40 Seiten Bachelorarbeit – für ihn zum damaligen Zeitpunkt eine unbewältigbare Aufgabe. „Ich musste ständig daran denken, in meinem Kopf wurde die Arbeit immer größer und größer. Als letztendlich klar war, dass ich meine letzte Chance wirklich verpasst hatte, gab es deshalb kein Bedauern, sondern nur Erleichterung.“ Davor hatte Martin unter Stress, Frust und Ärger bereits eineinhalb Jahre an seiner Abschlussarbeit gefeilt. Lange Nächte saß er von Energydrinks aufgeputscht vor dem Computer und hatte um vier Uhr Früh keinen einzigen Satz niedergeschrieben. „Einmal habe ich mir einen ganzen Tag frei genommen, um mich voll auf die Arbeit zu konzentrieren. Am Ende hatte ich alle ‚Herr der Ringe‘- Filme in der extended Version am Stück gesehen.“ Die Folge war, wie immer, ein schlechtes Gewissen. Martin war gereizt, traurig und ständig schlecht gelaunt. Warum es ausgerechnet ihm so schwer gefallen ist, die Bachelorarbeit zu beenden, kann er bis heute nur vermuten: „Prinzipiell liegt mir das wissenschaftliche Arbeiten wohl nicht; an der FH lag der Fokus sonst ja auch eher auf praktischen Übungen. Aber dass das alles zu einem so großen Problem wurde, liegt wohl auch an einer persönlichen Veranlagung.“
HEMMUNGEN VOR HILFESUCHE. Die Hochschulprognose der Statistik Austria besagt, dass über 40 Prozent der heutigen StudienanfängerInnen ihr Studium ohne Abschluss beenden werden. Diese Dropout-Quoten sind laut einer Studie des Institut für höhere Studien (IHS) jedoch wenig aussagekräftig. Viele AbrecherInnen nehmen nämlich ein anderes Studium auf, wechseln zwischen FH und Uni oder bleiben inskribiert ohne Prüfungen abzulegen. Genaue Zahlen sind also schwierig zu ermitteln. Zumindest konnte festgestellt werden, dass neben vielen frühen Abgängen in den ersten drei Semestern die Abschlussphase ebenfalls eine besonders kritische Periode ist.
Doch die Hemmungen, um Hilfe zu bitten, sind groß. Eigentlich sollte Unterstützung ja auch von Seiten der Betreuerin oder des Betreuers gegeben werden. Doch immer wieder kommt es vor, dass hier auf eine Person über 50 Studierende kommen. Dabei bleibt der persönliche Kontakt zwangsläufig auf der Strecke. Eine alternative Form der Unterstützung können sich Betroffene bei der Psychologischen Studierendenberatung holen. Im Jahr 2013 wurden hier insgesamt 11.662 KlientInnen betreut. Abgesehen von bei der Studienwahl Unschlüssigen handelt es sich zum Großteil um KlientInnen, die bereits länger als fünf Jahre studiert haben.
Elisabeth Hefler ist klinische und Gesundheitspsychologin und leitet eine DiplomandInnen-Gruppe in der Beratungsstelle. Ihren Erfahrungen nach können unterschiedliche Faktoren zu einer Überforderung in der Studienabschlussphase führen. Dazu zählen etwa die persönlichen Fähigkeiten und die Themenwahl, aber auch die psychische Verfassung, diverse Ängste und Vorerfahrungen der Studis. Viele haben Probleme, weil plötzlich die gewohnten Strukturierungshilfen der Uni wegfallen. „Oft kommt es auch vor, dass Leute am Ende des Studiums bemerken, dass sie nicht wissen, was sie danach machen wollen – das kann Autonomieängste auslösen.“ Manche Studierende stehen aufgrund ihrer finanziellen Situation oder weil ihr Studiengang ausläuft unter Druck. Momentan sind es beispielsweise besonders viele Studierende im Diplomstudium Theater- Film- und Medienwissenschaft, die Hilfe in der Beratungsstelle suchen, da sie bis Ende April ihr Studium abschließen müssen.
ANGST VOR DEM LEEREN BLATT. Auch die 27-jährige Thewi-Studentin Sarah (Name von der Redaktion geändert) ist von dieser Frist betroffen. Für sie war das Auslaufen des Diplomstudiums Fluch und Segen zugleich. „Natürlich hat sich der zeitliche Druck und damit der Stress erhöht“, erzählt sie. „Doch ohne die Frist wäre ich wohl immer noch weit vom Studienabschluss entfernt.“ Offiziell soll das Thema einer Diplomarbeit so gewählt werden, dass es innerhalb eines halben Jahres ausreichend bearbeitet werden kann. Für eine Teilzeit-Berufstätige wie Sarah verlängert sich diese Zeitspanne. Doch Sarah hatte ihr Thema bereits im März 2013 eingereicht. Dass sie heute immer noch daran arbeitet, hat auch bei ihr zum Teil psychische Ursachen.
„Schon Seminararbeiten haben bei mir regelmäßig Probleme ausgelöst. Dabei lief es immer gleich ab: Erst wusste ich nicht, wo ich anfangen sollte, dann kam die Panik und damit auch die Schreibblockade. Das war bei der Diplomarbeit nicht anders. Oft fühlte ich mich nicht fähig, einen geraden Satz zu formulieren.“ Aus dem Druck heraus, zumindest irgendetwas aufs Papier zu bringen, begann Sarah ungenau zu arbeiten, was schlussendlich aber zusätzlichen Aufwand bedeutete. „Immer wieder nahmen die Zweifel überhand und ich dachte, ich würde den Abschluss nie schaffen. Das ging sogar so weit, dass sich der Stress körperlich äußerte.“ Heute steht Sarah trotz aller Schwierigkeiten kurz vor dem Abschluss. Der Weg zur fertigen Diplomarbeit war für sie mühsamer als für andere. Auch auf die Zeit danach blickt sie nicht gänzlich unbeschwert. Für sie gilt wohl wie für viele ihrer KollegInnen: Das Studium mag manchmal beschissen sein. Aber leider kann niemand versprechen, dass es auf der anderen Seite der Ziellinie besser aussieht.
Anna Radl studiert Globalgeschichte und Global Studies an der Universität Wien und schreibt gerade an ihrer Masterarbeit.