Marea Granate: Raus aus meinen Eierstöcken!
Über Marea Granate, eine Protestbewegung spanischer Migrantinnen und Migranten, und ihren Widerstand gegen die geplante Verschärfung des spanischen Abtreibungsgesetzes.
Über Marea Granate, eine Protestbewegung spanischer Migrantinnen und Migranten, und ihren Widerstand gegen die geplante Verschärfung des spanischen Abtreibungsgesetzes.
Es ist der 8. März, der Internationale Frauentag. Über den Lerchenfelder Gürtel hallt ein Megaphon: „Kathia, 38 Jahre, Ukraine. Verheiratet, vier Kinder. Sie lebt auf dem Land und kann kein weiteres Kind unterhalten. Sie treibt im Haus einer Frau ab, die Abtreibungen in dem Dorf vornimmt. Kathia stirbt an einer Entzündung nach der Abtreibung.“ Eine junge Frau fällt zu Boden.
Diese und viele weitere kurze Erzählungen rund um das Thema Abtreibung werden auf Deutsch, Spanisch und Englisch vorgetragen – schließlich soll die Botschaft so viele Menschen wie möglich erreichen. Die im Halbkreis um das Schauspiel stehenden Personen tragen Transparente und Plakate: „Selbstbestimmungsrecht“, „Mein Körper, mein Leben, meine Entscheidung“ oder „Gebären ist ein Recht, keine Auferlegung“.
Die weinrote Flut
Der Hintergrund dieses Schauspiels: Das Recht auf legalen Schwangerschaftsabbruch ist in Spanien massiv bedroht. Der mit absoluter Mehrheit regierende rechtskonservative Ministerpräsident Mariano Rajoy und seine Partido Popular („Volkspartei“) möchten das Abtreibungsgesetz derart verschärfen, dass nur nach Vergewaltigungen oder bei Gefährdung der Mutter abgetrieben werden darf. Raquel López, Aktivistin bei Marea Granate Viena: „97% der Abtreibungen des letzten Jahres wären mit diesem neuen Gesetz illegal. Mit unserer Performance am Internationalen Frauentag möchten wir auf diese Entwicklung aufmerksam machen.“
Marea Granate („Weinrote Flut“) ist eine transnationale Bewegung von Migrantinnen und Migranten aus Spanien, die ihr Herkunftsland meist wegen der wirtschaftlichen und sozialen Krise verlassen mussten: „Unsere Flut ist weinrot wie die Farbe unserer Pässe, als Symbol für erzwungene Migration“. Das Kollektiv entstand rund um andere soziale Bewegungen aus Spanien, zu deren bekanntesten wohl die Indignados („Empörten“) zählen, die noch vor Occupy zentrale Plätze besetzten und Protestcamps errichteten. Die „weinrote Flut“ ist mittlerweile weltweit vernetzt: Nicht nur in Wien, auch in New York, Paris und London, in Montevideo, München oder Montreal kämpfen Aktivist_innen gegen Austeritätspolitik, Korruption und Repressionen und die daraus entstehenden sozialen Ungerechtigkeiten. Da diese Problematiken nicht auf Spanien beschränkt sind, versucht Marea Granate, Brücken zu lokalen Gruppen aufzubauen.
„Raus aus meinen Eierstöcken!“
Mit ihrem Straßentheaterstück möchte Marea Granate Viena Frauen, die abgetrieben haben, eine Stimme und ein Gesicht geben. Die Gründe, sich für eine Abtreibung zu entscheiden, sind vielfältig: finanzielle Probleme, Krankheit, eine ungesicherte Zukunft, der Wunsch, seine Ausbildung zu beenden oder das Alter. Für Marea Granate sind die Gründe schlussendlich unerheblich – für sie gehört der legale Schwangerschaftsabbruch zum Selbstbestimmungsrecht der Frau. Eine hohe Akzeptanz scheint Ministerpräsident Rajoy mit seiner geplanten Gesetzesverschärfung in der spanischen Bevölkerung nicht zu haben. Laut Umfragen lehnen zwischen 70% und 80% der Spanier_innen den Gesetzesentwurf ab – selbst unter der Wähler_innenschaft der Partido Popular sind es weit über 50%. In Madrid gingen über hunderttausend Menschen auf die Straße und protestierten mit Slogans wie „Abgeordnete und Rosenkränze raus aus meinen Eierstöcken“ gegen die geplante Gesetzesänderung.
Bei einer weiteren Aktion versuchten hunderte Frauen, ihre Körper in das Handelsregister, in dem normalerweise Autos registriert werden, einzutragen – als Zeichen, dass nur sie selbst Eigentümerinnen ihrer Körper sind. Auf der neu gegründeten Plattform Wombastic werden Pro-Choice-Zeichnungen veröffentlicht. Doch was sind die Gründe für diese rückwärtsgewandte Politik? Die Aktivistin Raquel López hält einerseits den großen Einfluss der katholischen Kirche für einen wesentlichen Faktor, andererseits sieht sie auch einen Zusammenhang mit der Krise: „Sie wollen die Arbeiterinnen kontrollieren. Die Frauen, die es sich leisten können, werden es sowieso machen und die Armen, die kein Geld für Abtreibungen haben, werden entweder ihr Leben riskieren oder ein ungewolltes Kind bekommen. Das sind dann die Arbeiter und Arbeiterinnen der Zukunft.“ Eine Kriminalisierung von Abtreibungen kann einerseits zu „Abtreibungstourismus“, andererseits zur gesundheitlichen Gefährdung der betroffenen Frauen durch unprofessionell vorgenommene Abbrüche führen.
Europas Abtreibungsgegner_innen machen mobil
Wie sieht es im restlichen Europa aus? Abtreibungsgegner_innen haben eine große Lobby in der Politik. Die EU-Bürgerinitiative One of Us sammelte über eine Million Unterschriften für „den Schutz des menschlichen Lebens und der menschlichen Würde von der Empfängnis an“ und erreichte damit, dass die EU-Kommission den Antrag diskutieren muss. Die Initiative will einen Finanzierungsstopp von Aktivitäten bewirken, welche „zur Tötung menschlicher Embryonen führen“. Dahinter stecken Anti-Abtreibungsgruppen, welche u.a. von Vertreter_innen aus Kirche und Politik unterstützt werden. Über 30.000 Stimmen kamen aus Österreich. Brigitte Hornyik, Juristin und Vorstandsmitglied im österreichischen Frauenring, sieht die Ursache für die massive Unterstützung der Initiative vor allem in katholischer Anti-Abtreibungspropaganda. Selbst in Kirchen, so Hornyik, lagen Unterschriftslisten auf (siehe Interview: „Vögeln musst du, aber Geld hast du keines").
Immer noch gibt es Länder wie Polen, Irland oder Liechtenstein, die sehr restriktive Abtreibungsgesetze haben. In Malta, Andorra und San Marino gibt es sogar ein Totalverbot. In Spanien wurde die Fristenlösung erst 2010 von der damaligen sozialdemokratischen Regierung unter José Luis Rodríguez Zapatero eingeführt. Nur vier Jahre später soll sie nun wieder abgeschafft werden. Ob sich die geplante Gesetzesverschärfung abwenden lässt, ist fraglich. Die konservative und männlich dominierte Volkspartei verfügt im Parlament über eine absolute Mehrheit. Ein Abstimmungstermin steht noch nicht fest.
Manu Banu und Dieter Diskovic studieren Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien und engagieren sich bei der Screaming Birds Aktionsgruppe.