The internet is for hate
Wie sich Hass in der Gesellschaft im Internet offenbart.
Wie sich Hass in der Gesellschaft im Internet offenbart.
Eine junge Frau wird bedroht und muss mehrmals umziehen. Jeden Tag, wenn sie ihre sozialen Netzwerke öffnet, findet sie immer neue, üble Beschimpfungen. Jede ihrer Äußerungen wird verfolgt, längst hat sie mehrmals die Telefonnummer gewechselt. Was für Die feministische Medienwissenschaftlerin Anita Sarkeesian oder die Spiele-Designerin Zoe Quinn nicht erst seit dem misyogynen Videospiel-Shitstorm „Gamergate“ (vgl. progress 4/2014) groteske Normalität darstellt, kann ohne Weiteres für uns alle Alltag werden.
STREUFEUER. Hassrede ist das öffentliche Hetzen gegen Einzelne oder Bevölkerungsgruppen, denen bestimmte Eigenschaften (zum Beispiel „lesbisch“) oder Zugehörigkeiten (zum Beispiel „jüdisch“) zugeschrieben werden. Im österreichischen Strafrecht erfüllt eine solche Tat den Strafbestand der Verhetzung (§ 283 StGB), wenn die Hassrede „für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar” ist. Eine solche liegt laut Rechtssprechung ab 150 Personen vor. Nirgends lässt sich eine solche Öffentlichkeit und Gleichgesinnte schneller finden als online. Das Gesetz wird durchaus auch gegen Online-Hetze angewendet, so wurde letztes Jahr beispielsweise eine niederösterreichische Pensionistin wegen verhetzender Facebook-Postings über Muslime und Roma zu verurteilt.
Umfang und Ausmaß von Hassrede im Internet lassen sich kaum abschätzen. Auf der „Hate Map“ wurden ein Jahr lang Beleidigungen und ihre Geo-Tags in den USA dokumentiert. In der verwendeten Stichprobe finden sich 150.000 Hasstweets. Dabei wurden nur zehn Begriffe näher untersucht. Sarkeesian allein dokumentierte auf ihrem Blog feministfrequency.com 150 Hasstweets, die sie in einer Woche erhielt.
ORGANISIERTE RATLOSIGKEIT. Im Umgang mit Täter_innen wie Betroffenen sind Gesellschaft und Konzerne ratlos. Die meisten sozialen Netzwerke verbitten sich Hassreden, scheitern aber daran, die eigenen Vorgaben durchzusetzen und auffällige Nutzer_innen auszuschließen. Bei schwammigen Nutzungsregeln darf viel interpretiert und lange gehasst werden. So verwässert zum Beispiel Facebook seine Nutzungsbedingungen, indem Drohungen als Humor ausgelegt werden dürfen: „Allerdings sind eindeutige humoristische oder satirische Versuche, die anderenfalls als mögliche Drohungen oder Angriffe verstanden werden können, zugelassen.“ Auch Youtube bzw. Google hat eher ein merkwürdiges Verständnis von Hassrede: „Der Grat zwischen dem, was als Hassrede bezeichnet werden kann und was nicht, ist schmal. Beachte, dass nicht jede Gemeinheit oder Beleidigung eine Hassrede ist“, heißt es in den FAQs. Die größeren Medien und Tageszeitungen beschäftigen sich dagegen professionell mit Communitymanagement und suchen nach Wegen mit Trollen, Hass und Drohungen umzugehen. So wird mit Accountpflicht, strengeren Moderationen, geleiteten Diskussionen oder Votingfunktionen für Kommentare experimentiert. Vor drastischen Schritten wie Ausschlüssen oder klarer Kante scheuen aber auch sie zurück.
Der laxe Umgang und die so ständig wachsende Masse an Hass im Netz lässt nach Meinung aussehen, was tatsächlich menschenverachtende Anstiftung ist. Wenn davon gesprochen wird, dass beispielsweise eine Satire, die Tabus kennt oder eine scharfe Gesetzgebung bei Hassrede die Meinungs- und Redefreiheit einschränken, wird ausgeblendet, dass Diskriminierung, Hass und Gewalt die Betroffenen längst massiv einschränken. Die deutsche Psychologin Dorothee Scholz arbeitet mit Jugendlichen zu Gewalt und sagt dazu: „Über Sprache wird ein Klima geschaffen, in dem die psychischen Hemmschwellen zur Gewaltausübung gegen bestimmte Personengruppen gesenkt sind. Gewalt gegen jene, die diesen Gruppen angehören, ist in Folge gesellschaftlich akzeptierter und ruft auch weniger Mitgefühl in der breiten Masse hervor.“
HASSPOESIE UND TROLLMÜLLHALDEN. Immer wieder verschwinden Websites, Blogs und Twitteraccounts, und Menschen trauen sich nicht mehr, ihre Stimme zu erheben – weil sie das Gefühl haben, dem Hass nur noch entgegengschweigen zu können. Julia Schramm ist eine, die sowohl mit persönlichen Shitstorms als auch mit generalisierter Hassrede Erfahrungen machen musste. Seit 2012 sammelt sie diese auf ihrem Blog hassnachrichten.tumblr.com. Als Fachreferentin für Hate Speech informiert sie außerdem bei no-nazi.net über ihre Facetten. „Hate Speech ausgesetzt zu sein ist eine traumatisierende Erfahrung und sollte so behandelt werden. Konkret heißt das: Verstehen, dass eine Verletzung stattgefunden hat und Mitgefühl und Fürsorge sich selbst gegenüber aufbringen. Es heißt aber auch, die strukturelle Ungerechtigkeit, die Hate Speech ist, als solche zu akzeptieren und sich nicht daran aufzureiben. Dann lässt sich auch besser kämpfen. Ich bin froh, dass ich mich dazu entschieden habe, denn Hate Speech ist Gewalt und muss bekämpft werden.“
Da von den Betreiber_innen von Online-Communities kaum oder nur unzureichende Schritte gegen Angriffe oder notorische Menschenfeind_innen zu erwarten sind, wird von User_innen selbst zu Solidarität mit Betroffenen aufgerufen. Doch Hashtag-Ablasshandel allein, der Unterstützung mit Lippenbekenntnissen verwechselt, verbessert die Situation kaum länger als einen Moment. Es profitieren diejenigen, die ohnehin ein dichtes soziales Netz, Zugang zu Hilfe, eine große Reichweite oder eine bedeutsame Stimme haben.
Eine andere Strategie im Umgang mit dem Hass sind seine Dokumentation und das Schaffen einer Gegenöffentlichkeit: Viele zeigen die Angriffe in Blogs oder auf Tumblr, richten eigene Sektionen für Kommentare von Hassposter_innen, sogenannten Trollen, ein oder nehmen sich Zeit für satirische Antworten. Die Plattform hatr.org sammelt Trollkommentare von verschiedenen feministischen Blogs und will damit Werbeeinnahmen generieren. Andere bieten dem Hass sogar die ganz große Bühne: Bei „Hate Poetry“, einer antirassistischen Leseshow, tragen migrierte Journalist_innen zwischen Lachen und Weinen Kommentare und E-Mails vor.
All diese Maßnahmen können helfen, mit persönlichen Angriffen fertig zu werden, dem Hass den Nährboden entziehen können sie jedoch nicht. Denn Hassrede ist kein Netzphänomen, sondern dort bloß ein besonders gut dokumentiertes. Der vermeintliche Deckmantel der Anonymität, der nur das Schlechteste im Menschen hervorbringt, ist vielmehr ein Vorhang, der sich öffnet und aufzeigt, was ohnehin da ist: Eine Gesellschaft, die auf ihre diskriminierenden Strukturen lieber nicht verzichten möchte – das wird man wohl noch sagen dürfen…
Anne Pohl macht beruflich was mit Kommunikation und gründet nebenbei Onlineprojekte wie feminismus101.de oder herzteile.org.
Lesetipps und Links
In ihrer Broschüre „Geh sterben! – Umgang mit Hatespeech und Kommentaren im Internet“ informiert die Amadeu Antonio-Stiftung mit Betroffenenberichten, Tipps für Communitybetreibende, Erkennungsmerkmale und Infos über Strukturen hinter Hassreden.
International Legal Research Group on Online Hate Speech