Inside the Refugeeprotest

  • 05.11.2013, 17:16

„24 Flüchtlinge suchen ab sofort gemeinsame, selbstverwaltete Unterkunft in Wien und näherer Umgebung. (120€ Miete/Pers. durch Grundversorgung und gemeinsame Adaptierung/ Renovierung möglich).“ So ähnlich lauten die Suchaufrufe auf der Seite der Refugee - Protestbewegung. Die Flüchtlinge mussten heute am 5.11.13 die Akademie der bildenden Künste endgültig verlassen.

„24 Flüchtlinge suchen ab sofort gemeinsame, selbstverwaltete Unterkunft in Wien und näherer Umgebung. (120€ Miete/Pers. durch Grundversorgung und gemeinsame Adaptierung/Renovierung möglich).“ So ähnlich lauten die Suchaufrufe auf der Seite der Refugee - Protestbewegung. Die Flüchtlinge mussten heute am 5.11.2013 die Akademie der bildenden Künste endgültig verlassen.

„Solidarität zu zeigen heißt ja nicht, illegale Besetzungen zu dulden. Dies ist schließlich keine Wohnstätte.“, meinte Eva Blimlinger am Montagnachmittag. Die Rektorin der Akademie der bildenden Künste, in der sich seit letzter Woche Dienstag die zuletzt aus dem Servitenkloster übersiedelten Flüchtlinge befanden, will einzelne Räume bis Ende November zur Verfügung stellen. Allerdings nur stundenweise, eine gemeinsame Übernachtung solle nach heutigem Ablauf der Frist nicht mehr möglich sein. Bis zur Mittagszeit sollten die Flüchtlinge samt Hab und Gut aus der Akademie verschwunden sein. Dieses Angebot löste unter den Zuhörer_innen Empörung aus. Einen Raum für Versammlungen zu finden sei bisher nicht das Problem gewesen, vielmehr gehe es um einen gemeinsamen Übernachtungsort. In getrennten Unterkünften sei die Angst vor weiteren Abschiebungen zu groß. „Die Leute sind doch nicht ein Jahr im Protest, um jetzt ausgedruckte Stundenpläne zu bekommen“, so ein Zuhörer der Pressekonferenz.

„Im Rektorat verfolgen wir eine klare Linie“, verteidigte sich Blimlinger im Gespräch mit den anwesenden Journalist_innen. „Der Wunsch nach geregelter Normalität im Uni-Alltag wurde innerhalb der Akademie schon mehrfach geäußert.“

Normalität herrschte hier während der letzten Tage nicht. Dessen sind sich auch die Flüchtlinge bewusst. „Wir wissen, dass die Akademie ein Ort zum Lernen ist, kein Ort für Proteste. Aber es gab keine andere Möglichkeit für uns.“ So Mir Jahangir, einer der Sprecher der Flüchtlinge. „Unsere Zukunft wurde von der österreichischen Regierung zerstört. Wenn wir hier nicht bleiben können, warum wurden wir hier festgenommen? Trotz einem abgeschlossenen Studium habe ich keine Möglichkeit zu arbeiten oder mich weiterzubilden. Wenn ich abgeschoben werde, werde ich eingesperrt. Mit 25 Jahren fühlt es sich an, als ob mein Leben vorbei wäre. Wo sind die Menschenrechte in diesem Land? Niemand will Verantwortung übernehmen - es sind immer ‚die Anderen’ zuständig. Mit unseren Leben wird nur gespielt.“

Doch hinter der Kraftlosigkeit des monatelangen Protestes steckte auch Hoffnung. Ich wollte sie sehen, wollte wissen, was außer Pressekonferenzen und Plena das alltägliche Leben der Flüchtlinge bestimmt. Ich blieb über Nacht.

Mir Jahangir im Gespräch mit Eva Blimlinger. Foto: Christina Musa Mylko

Sonntag Abend. Es könnte zu diesem Zeitpunkt der letzte in der Akademie sein. Um 19 Uhr begann das Plenum. Die Flüchtlinge, die Unterstützer_innen und Gäste überlegten, wie es am nächsten Tag weitergehen sollte. Zu einer Entscheidung sollte es an diesem Abend nicht mehr kommen. Nach einigen Stunden löste sich die Versammlung auf. Einige legten sich in den zu einem Schlafsaal umfunktionierten Hörsaal. Der Rest besprach weiter, was zu tun sei.

Ich setzte mich zu Mir auf eine der Matratzen in der Aula. Er zeigte mir Fotos und Videos aus seinem Heimatland, erzählte, wie seine Heimatstadt 2005 von einem Erdbeben zerstört wurde. Ich blickte kurz verwundert auf das Smartphone in seiner Hand. Es ist nicht Mirs Handy, aber trotzdem versteht er nicht, warum die Medien Flüchtlinge immer verwahrlost aussehen lassen wollen. Er erzählte, wie er Musik hörend vor der Türe des Servitenklosters stand und ihm zwei vorbeigehende Männer abschätzig „Sieh an, einer der Flüchtlinge. Trägt ein schönes Hemd und hat ein Smartphone. Schlecht kann es denen ja nicht gehen” hinterherriefen. „Ja, es sind Flüchtlinge, aber es sind auch Menschen mit Rechten - zumindest sollten sie das sein. Das vergessen auch manche Medien leider immer wieder“, fügt ein Anwesender in der Akademie später hinzu.

Im Büro der ÖH der Bildenden Künste wurde telefoniert und organisiert, in der dazugehörigen Küche wurde auch morgens um drei noch gemeinsam gekocht. Nachdem sich alle vergewissert hatten, dass ich wirklich nichts mehr essen wollte, beschloss ich schließlich doch zu schlafen. Neben mir wurden noch Plakate beschrieben, Menschen liefen vorbei, es wurde geredet. Die Nervosität und Ungewissheit der vielleicht letzten Nacht lag in der Luft. Es sollte für alle ein unruhiger Schlaf werden.

Foto: Christina Musa Mylko

Am Montag um sieben klingelte der erste Wecker. Menschen gingen ein und aus, besprachen sich, bereiteten sich auf das für zehn Uhr angesetzte Gespräch mit der Rektorin vor. Das Medieninteresse war enorm, doch beinahe alle Medienvertreter_innen verschwanden kurze Zeit nach der Pressekonferenz wieder. Zurück blieb Unsicherheit. Wie es weitergehen sollte, wusste niemand. Während sich die Flüchtlinge berieten und in der Aula eine Dokumentation über den Protest gezeigt wurde, mobilisierten einige Unterstützer_innen zu einer Spontandemonstration vor dem Hauptgebäude der Universität Wien. Abends startete ein Plenum in der Akademie. Fragen wie ‚Wo werden die Flüchtlinge ab morgen wohnen? Wie wird die Protestbewegung weiter existieren?’ wurden besprochen. Auch nach Stunden waren viele Fragen noch ungeklärt. Ich fragte einen der Flüchtlinge, warum er nicht mitdiskutierte.  „Vielen ist die Kraft ausgegangen. Seit einem Jahr kein richtiger Schlaf, seit einem Jahr keine richtigen Mahlzeiten. Ich verspüre kaum noch Hunger. Das Lager war wie ein Gefängnis, abgeschottet von der Außenwelt. Das letzte Jahr war anstrengend, sowohl die Zeit in der Votivkirche als auch die im Keller des Servitenklosters. Wir brauchen einfach Ruhe, ein bisschen seelische Entspannung.“ Währenddessen ging die hitzige Debatte in der Aula weiter. Auch als ich mich schließlich am Abend auf den Heimweg begab, konnte noch kein genauer Plan beschlossen werden.

 

*** Update der Redaktion: Heute, am 5.11.13, zogen die Flüchtlinge aus der Akademie aus. Eine Unterkunft wird weiterhin gesucht. ***

*** Update 2 der Redaktion: Morgen, am 6.11.13 findet ein Plenum um 11:00 in der Aula der Akademie der Bildenden Künste statt ***

Mir Jahangir mit Redakteurin Christina Musa Mylko. Foto: Mustafa Naqvi

AutorInnen: Christina Musa Mylko