Distanzirkus

  • 12.12.2014, 17:51

Warum das Distanzieren plötzlich derart in Mode gekommen ist und was es wirklich bedeutet.

„Treffen sich zwei Linke und spalten sich“: Seit Neuestem wird dazu bewusst und manipulativ durch eine unvergleichliche Zusammenarbeit zwischen Medien und Rechten angestiftet. Das geschieht durch einen hinterhältigen rhetorischen Trick: die Distanzierungsaufforderung.

Parteien, Organisationen und Unternehmen werden ja regelmäßig dazu aufgerufen, sich von bestimmten Aussagen oder Vorkommnissen zu distanzieren. Das gehört zum gesellschaftlichen Diskurs dazu und ist als Methode gar nicht so originell. So werden auch Rechte regelmäßig aufgefordert, von „Einzelfällen“ in ihren Parteien oder „verbalen Entgleisungen“ Abstand zu nehmen – was sie dann auch mehr oder weniger herzhaft regelmäßig machen (müssen).

Was allerdings derzeit vergleichsweise neu ist, sind die Aufrufe beziehungsweise der vorauseilende Ge- horsam, sich von einer Materie zu distanzieren, die nichts mit einem zu tun hat. So müssen sich neuerdings etwa Parteien und Menschenrechtsorganisationen von den Protesten gegen den Akademikerball und gegen die Identitären distanzieren, obwohl sie weder Organisator*innen noch Teilnehmer*innen der antifaschistischen Demos waren.

Der letzte Schrei

Ein Auszug aus dem aktuellen Programm des Distanzzirkus: Die ÖVP ruft etwa in einer Aussendung dazu auf, „linke Gewalttäter“ zu verurteilen. Prompt antwortet der grüne Bildungssprecher Harald Walser und distanziert sich „von allen Gewaltanwendern“ (außer der Polizei natürlich, die immerhin ein Gewaltmonopol hat). Werner Herbert von den Freiheitlichen Arbeitnehmern formuliert seinen Distanzierungswunsch penibelst vor: „Wir, die Organisatoren der Gegendemonstration von letztem Samstag, distanzieren uns in aller Schärfe von den Ausschreitungen linksextremer, krimineller Gewalttäter“, so der Vorschlag. Und nicht zuletzt appellieren auf Twitter ORF-Journalist*innen an die ÖH, von „Gewaltbereiten“ abzurücken.

Die Distanzierung ist der letzte politische Schrei, wie schon auf die Schnelle durchgeführte Presseagentur- und Mediensuchen zeigen. Zur Erinnerung: Niemand, der jemals in diesen Zusammenhängen zur Distanzierung aufgerufen wurde oder sich distanziert hat, war nachweislich an irgendwelchen „Gewaltexzessen“ oder Scheibeneinschlägereien beteiligt. Niemand. Die Unschuldsvermutung interessiert Medien wie auch die Politik, wenn es um die vermeintlich „kriminelle“ Antifa geht, ja auch gar nicht: Diese ist nur bei namhaften Menschen mit der Bereitschaft und den Möglichkeiten zu klagen, wie Grasser, Strasser und Co., zu beachten.

Distanzierungswut

Die in Österreich als distanzierungswürdig eingestuften Scheibenbrüche werden übrigens wegen den niedrigen Sachschäden und ausbleibender Gewalt in anderen Ländern als „kleine Zwischenfälle“ oder „friedliche Demos“ beschrieben. Die hetzerische Berichterstattung in Österreich und die Diffamierung von friedlichem antifaschistischem Protest als „Gewaltexzess“, „Straßenschlacht“ und „Bürgerkrieg“ heizt die Distanzierungswelle an. Ohne Skandalisierung nämlich keine Distanzierungswut.

Jede und jeder fühlt sich aber nun plötzlich dazu be- und aufgerufen, sich von NOWKR, #blockit und der Ausübung von Demonstrationsrecht generell zu distanzieren – was auch immer das eigentlich in diesem Zusammenhang bedeuten soll. Oftmals erschöpfen sich Kommentare zu wichtigen Themen wie dem Rechtsruck und Antifaschismus lediglich darin, dass Abstand gesucht wird. Ist die brennend aktuelle Materie vielleicht auch einfach zu unbequem? Es ist für politisch Agierende jedenfalls viel einfacher, sich pauschal von irgendwelchen fiktiven Krawallen abzugrenzen, als sich inhaltlich mit den Fragen und den gesellschaftlichen Anliegen auseinanderzusetzen, die antifaschistische Proteste aufwerfen. Eine Distanzierung ist auch eine konsequente Verweigerung, Position zu beziehen.

Zu dieser Nicht-Ortung in der österreichischen Politik gehört meistens auch die fahrlässige und unglaublich fakten- und geschichtsblinde Gleichsetzung von Rechtsextremismus und (in Österreich nicht-existentem) „Linksextremismus“. Dazu kann nur eins gesagt werden: Wer von links und rechts gleich weit entfernt stehen will, befindet sich mitten in der Scheiße.

Jedenfalls führt die hysterische Distanzierungsmode zu einer breiten Entsolidarisierung mit antifaschistischem Protest und seinen Anliegen – eine perfide Strategie der Rechten, auf welche die Medien hereinfallen. Es ist eine enge Zwickmühle, aus der es nur schwer ein Entkommen gibt. Der Populismus ist nämlich eine gut geölte Maschine, die die mediale und politische Rhetorik fest in ihren Zahnrädern mahlt.

Entsolidarisierung

Ein besonders eindrückliches und erschreckendes Beispiel für die Entsolidarisierung war etwa die Kundgebung gegen den Putin-Besuch in Wien am 24. Juni: Die Organisator*innen der Demo gegen die homophobe Politik Russlands hatten die Antifa dezidiert ausgeladen – eine Antifa, die immer auch für die Rechte von Homosexuellen auf die Straße gegangen ist und sich – im Falle der Regenbogenparade etwa – dafür sogar festnehmen ließ.

Sich von Dingen zu distanzieren, die nichts mit einem zu tun haben – etwa zu Bruch gegangenen Scheiben – ist entbehrlich. Distanzieren muss oder kann man sich nur von Dingen, die man selbst angestellt hat oder für die man namentlich bürgt. In Österreich grenzt eine Distanzierung vom Antifaschismus an ein Verbrechen. Immerhin steht der antifaschistische Grundkonsens der Zweiten Republik trotz aller rechten Polemik mahnend im Raum. Trotzdem wird etwa in Interviews und Fernsehdiskussionen ständig zur Distanzierung gedrängt und selbstständig darauf hingestürmt.

Somit entgeht dem Antifaschismus in Österreich die Solidarität und Unterstützung einer breiteren Mitte. Es entsteht eine tiefe Kluft zwischen jenen, die für den Antifaschismus auf die Straße gehen, und jenen, die diesen prinzipiell oder zumindest feigenblättrig unterstützen würden. Diese Entsolidarisierung ermöglicht eine immer stärkere Kriminalisierung von Antifaschismus, eine Diffamierung aller, die ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen, und absurde Polizeigewalt und -strategien. Um diese Entwicklung zu stoppen, müssten Journalist*innen und Medien aufhören, ständig zur dieser gesellschaftlichen Spaltung aufzurufen.

 

Olja Alvir studiert Germanistik und Physik an der Universität Wien.

                               

                       

               

 

AutorInnen: Olja Alvir