„Das ist dann keine Kunst mehr“
DJ und Produzentin Joyce Muniz, Sängerin Katie Trenk (Sex Jams) und Labelgründer Martin Unterlechner (DuzzDownSan) haben einen Nachmittag zusammen verbracht und über Kreativität, Schaffensdruck und die österreichische Musiklandschaft diskutiert. progress war mit dabei.
DJ und Produzentin Joyce Muniz, Sängerin Katie Trenk (Sex Jams) und Labelgründer Martin Unterlechner (DuzzDownSan) haben einen Nachmittag zusammen verbracht und über Kreativität, Schaffensdruck und die österreichische Musiklandschaft diskutiert. progress war mit dabei.
progress: In den 70er Jahren meinte Joseph Beuys, dass jeder Künstler sein kann, der will. Der Kreativitätsbegriff erfuhr damit eine starke Aufwertung. In den 80ern galt Kreativität als Ausbruch aus der Arbeitsroutine und dem Stumpfsinn des Alltags. Inzwischen werden wir beim Arbeiten ständig aufgefordert, möglichst kreativ zu sein. Kann sich Kreativität unter Druck überhaupt entfalten? Wie geht ihr als MusikerInnen damit um?
Joyce: Druck kann sehr produktiv sein. Manchmal brauche ich monatelang für einen Remix und eine Woche vor der Deadline kommt dann plötzlich etwas Cooles raus. Der Druck Geld zu verdienen, ist aber trotzdem schlimm. Ich hab immer neben meiner Musik gearbeitet, irgendwann hat sich dann mein Hobby zum Beruf entwickelt. Als das passiert ist, hat sich aber schon etwas verändert in meinem Leben.
Inwiefern hat sich dein Leben verändert?
Joyce: Ich habe bemerkt, dass ich mich selbst unter Druck setzen und sehr organisiert sein muss, wenn ich kontinuierlich Geld verdienen will. Der Druck, Geld zu verdienen, war aber, denke ich, schon immer da. Für mich ist es wichtig, die goldene Mitte zu finden: Wenn gerade nichts da ist, auch ohne miese Jobs überleben zu können.
Martin: Es wäre wohl kontraproduktiv, wenn das Geldverdienen eine große Rolle bei DuzzDownSan spielen würde. Dann müsste man natürlich auch Kompromisse eingehen und hätte mehr Druck. In unserer Situation können wir kreativ sein, ohne Konsequenzen. Da ist die Freiheit, keine Erwartungen berücksichtigen zu müssen. In der Arbeitswelt hat man oft mit einer anderen Form von Kreativität zu tun. Denn dort schleichen sich oft Dinge ein, die mit Kreativität nicht mehr wirklich viel zu tun haben. In vielen Situationen, in denen man unter Druck an was arbeitet, überschlagen sich zu Beginn die Ideen, wenn dann Geld und Zeit als zwei kritische Faktoren hinzukommen, werden diese aber ausgehöhlt. Das ist dann eben eine Zweckkreativität, bei der auch meist nichts tolles entsteht.
Katie: Ich denke, entweder man ist Künstler oder eben nicht. Dagegen kann man sich nicht wehren und das kann man auch nicht lernen. Mit Sex Jams sind wir zu fünft in der Noise- Pop-Szene unterwegs. Wir bekommen viele und gute Reviews, wir spielen Live-Shows und es läuft eigentlich gerade sehr gut für uns. Aber es wird trotzdem nie so sein, dass wir alle davon leben können. Ich war vor zwei Jahren in einer Phase, in der ich mich gegen Druck, produktiv sein zu müssen, wehrte. Ich fragte mich, woher der Druck kommt und ob es das wirklich ist, was ich will.
Joyce: Ja, das, was dabei herauskommt, ist oft keine Kunst mehr.
Katie: Genau, sondern ein Scheiß- Job. Ich bin nicht im Proberaum und will einen Hit nach dem anderen hinauswerfen, ich will Triebe verarbeiten und ausdrücken. Die Band steht bei uns an erster Stelle. Wir haben alle unsere Brotjobs, die flexibel sind, sonst würde das auch nicht funktionieren. Wenn ich darauf aus wäre,schnell und viel Geld zu verdienen, dann würde ich wohl auch andere Musik machen. Etwas Elektronisches zum Beispiel. Bei Sex Jams kann ich es mir aber dafür leisten, mit Absicht falsch zu singen, das geht bei anderen Sachen dann nicht.
Joyce: Ich habe viel in meinem Leben aufgegeben für meine große Liebe, die Musik. Ich kann jetzt wirklich stolz sagen, dass ich davon leben kann. Ich weiß das auch zu schätzen, weil viele Musiker das eben nicht können. Ich opfere nach wie vor sehr viel dafür. Das ist etwas, das man von außen vielleicht nicht sieht.
Wie schwierig hat man es als Frau in dieser Szene?
Joyce: Die Techno- und House-Szene wird nach wie vor von Männern kontrolliert. Es gibt sehr wenige Frauen, dafür dass es so viele DJs gibt. Das Business ist schon sehr hart. Mir wurde oft die Tür vor der Nase zugeschlagen. Mittlerweile gibt es aber sehr viele Frauen, die präsent und erfolgreich sind. In den letzten zehn Jahren hat sich das stärker ausgeglichen.Katie: Ja, das zieht sich durch alle Bereiche.
Martin: Mädchen sind schneller abgeschreckt. Da ist einfach eine andere Hemmschwelle in Bezug auf Technik vorhanden. Der Sound ener Mädels, die produzieren, hat jedoch etwas sehr Intuitives und Organisches. Auch beim Auflegen sieht man das: Die besten Techno-DJs, die ich bisher erlebt habe, waren Frauen. Man hat also auch Chancen und kann davon profitieren.
Wie steht es 2013 um Österreichs Kreativ- und Musiklandschaft? Da hört man ja oft viel Negatives – zu Recht?
Martin: Ich denke, es braucht hierzulande sehr viel Bestätigung von außen. Sobald jemand von außen sagt, „das ist cool, was du machst“, wird deine Kreativität ganz anders wertgeschätzt. Nehmen wir zum Beispiel Dorian Concept: Als Gilles Peterson gesagt hat, dass er dope ist, sind alle auf den Hype aufgesprungen und er wurde auch hier gefeiert.
Joyce: Österreich hat sehr viele kreative Leute. Das Problem ist, dass es keinen starken Markt mehr gibt. Es ist traurig, dass hier super Künstler leben, aber kaum ein eigener Support existiert. Als österreichischer Künstler kannst du nur weiterkommen, wenn das Label gute Kontakte zu Deutschland oder England hat. Und die sind total beschäftigt mit ihren eigenenMusikern. Wien ist eine tolle Stadt, aber wir können uns als Künstler hier schwer entfalten. Wenn du aber in Österreich beim Publikum gut ankommst, dann hast du international große Chancen, weil die Leute hier sehr kritisch sind: Wenn sie etwas Neues hören, sagen sie selten „Leiwand, super!“, sondern „Ja, schau ma mal“. In den USA oder Großbritannien heißt es hingegen gleich einmal „amazing“ oder „dope shit!“.
Martin: Glaubst du nicht, dass das bei uns noch einmal verschärft ist, weil es hier einfach so einen kulturellen Minderwertigkeitskomplex gibt?
Joyce: Jeder Künstler hat das mit seiner Stadt oder seinem Land. Dieses Verhältnis zu den „Locals“ gibt’s auch in Sao Paulo, New York oder Berlin. Man gibt eben erst etwas einen Wert, wenn man es verloren hat. Etwa wenn sie sehen, dass du international erfolgreich bist. Man merkt, dass die Leute zuhause dann plötzlich wieder mehr Lust auf dich haben.
Das heißt, für KünstlerInnen ist das Publikum vor der eigenen Haustüre die wirkliche Nagelprobe?
Katie: Es herrscht hier eine Scheuklappenmentalität vor. Das war ja in Österreich schon immer so, vom Theater bis hin zur Musik, beachtet wurde man doch oft erst, wenn man schon tot war. Sex Jams bewegt sichin einem Genre, das nicht so groß ist. Es wäre also sehr stumpfsinnig, nur in Österreich bleiben zu wollen. Du hast schnell alles hier leer gespielt und unser Sound ist auch eher international. Auf unserem Label Siluh Records sammeln sich auch internationale Künstler wie etwa Mozes and The Firstborn.
Martin: Wobei es eigentlich schon wieder gut für die Kreativität ist, dass der Markt hier so klein ist. Man kann das Geschäft mit Musik hier so stark vernachlässigen, dass jeder eine geringere Hemmschwelle hat, sich in einer Form auszudrücken, die nicht auf Kommerzialisierung abzielt.
Joyce: Es gibt hier eine starke Undergroundszene. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele gute Leute es hier gibt – auf so kleinem Raum. Der Underground kann dich hier aber auch schnell verschlucken. Wien hat zum Beispiel eine eigene Energie, was das betrifft. Man vergisst schnell, sich mit der Außenwelt zu verbinden. Viele Leute bleiben da hängen. Entweder du bist präsent, oder eben gar nicht. Ich versuche deswegen die Mitte zu halten, einmal hier, dann wieder weg.
Martin: Es fehlt hier einfach auch an gegenseitigem Support.
Joyce: Ja, und früher gab es mehr Crews und coole Labels, mit eigenem Sound, wie zum Beispiel G-Stone, Klein Records oder Vienna Scientists. Die hatten international auch viel mitzureden. Es gibt auch jetzt ein paar tolle Labels, wie etwa Affine Records, Luv Shak oder Schönbrunner Perlen. Aber im Großen und Ganzen hat man hier einfach nicht so viele Chancen.
Sind Marketing und Kunst für euch klar getrennte Bereiche?
Katie: Hm, ich bin immer skeptisch, wenn Künstler anfangen, von Selbstmanagement zu reden. Es wird natürlich nicht passieren, dass irgendwer in deinen Proberaum kommt und dich entdeckt, aber ich sehe das Management trotzdem nicht als meine Aufgabe. Joyce: Klar, ich denke, es gibt wenige Künstler, die sich selbst verkaufen können. Die, die das können, sind dann schnell keine Künstler mehr, weil sie dann so damit beschäftigt sind, sich zu vermarkten. Ich kenne viele Musiker, die sehr belastet sind, weil sie alles selber machen wollen: Marketing, Labelarbeit, Releases und so weiter. Das geht aber oft in die Hose. Da sind so viele Emotionen und Erwartungen da, die im Business nichts verloren haben. Das frustriert dich dann total, wenn’s nicht gut läuft. Kunst und Marketing müssen getrennt sein. Das ist ganz wichtig, denke ich.
Katie Trenk ist Sängerin der Band Sex Jams, die mit ihrem ersten Album „Post Teenage Shine“ bekannt wurde. Seitdem gilt die fünfköpfige Formation als österreichische Noise-Pop- Hoffnung. Sex Jams haben soeben ihr Zweitwerk „Trouble honey“ auf Siluh Records und Noise Appeal Records released. Auf Seite 33 findest du eine Plattenkritik on „Trouble honey“.
Martin Unterlechner, auch bekannt als Mosch, hat 2008 das Label DuzzDownSan ins Leben gerufen. Es zählt mittlerweile zu den wichtigsten Raplabels Österreichs. Nebenher ist er als Rapper und Produzent unterwegs – sein Album „Metamorphosis as a Metaphor“ erschien jüngst auf DuzzDownSan.
Joyce Muniz ist DJ, Produzentin und Vokalistin mit brasilianischen Wurzeln und hat sich in den letzten Jahren nicht nur in Österreich, sondern auch international in der House- und Techno-Szene einen Namen gemacht. Soeben ist ihr neuer Release „Trust your Enemies“ am Berliner Label Exploited Records erschienen.